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Alt 04.02.2010, 14:52
Stefans Stefans ist offline
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Standard AW: Sterbehilfe - was meint ihr dazu ?

Zitat:
Zitat von Dirk1973 Beitrag anzeigen
Hier geht es global um Sterbehilfe.
Ja, und das ist m.E. auch Teil des Problems, was das (Miss-)Verstehen angeht. Wie z.B. offenbar zwischen Wolfgang und mir (Wolfgang: bei mir braucht sich niemand entschuldigen, ist doch deine Meinung - aber für eine Klärung, wo das Missverständnis liegen könnte, wäre ich dankbar).

Derjenige, der diesen thread eröffnet - und sich dann sofort zurückgezogen - hat, hat den Begriff halt pauschal verwendet. Und dann denkt sich eben jeder seinen Teil. Und jeder aus seiner eigenen Erfahrung. Der eine, weil er krebskrank ist und den Medizin-Apparat als Patient kennt. Der andere, weil er Angehöriger ist und das Leid geliebter Menschen mit ansieht. Der dritte, weil er im Gesundheitswesen arbeitet und deshalb natürlich ethisch-moralisch von der (überspitzt formulierten) Frage "abschalten oder nicht" ganz praktisch betroffen ist. Der andere, weil...

Das Thema ist nicht nur hier unübersichtlich und schwierig. Wenn man sieht, wie lange und mit welchen endlos langen "Geburtswehen" die Politik (und die Medizin, und die Kirche, und die Moralphilosophen, und und und...) daran herum gedoktert hat, das Thema in Paragraphen zu fassen. Und dass das Ergebnis immer noch nicht zufriedenstellend eindeutig ist (das wird wohl mal wieder ein BGH-Grundsatzurteil in x Jahren klären müssen...).

Das Thema Sterbehilfe direkt anzufassen, darum hat man sich in D bis heute erfolgreich gedrückt. Geändert hat man letzten September die Regelung zur Patientenverfügung ("Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts"). Aber auch die neuen Formulierungen dazu sind immer noch "wachsweich". Und überlassen die Verantwortung in der Praxis wie vorher Medizinern und gesetzlichen Betreuern, sofern vorhanden. Das einzig wichtige, was sich zu früher verändert hat: Eine Patientenverfügung ist auch dann zu befolgen, wenn die Krankheit des Patienten nicht zwangsläufig zum Tode führt. Die klassische Streitfrage aber bleibt bestehen: ob "die (in der Patientenverfügung) getroffenen Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen". Und nur wenn "ja", muss diese Verfügung von den Verantwortlichen befolgt werden.

Was in der Praxis heisst: Eine "wasserdichte" Patientenverfügung kann ich eigentlich nur in Kenntnis meiner aktuellen Krankheit und nach ausführlicher fachlicher Beratung verfasssen. Die "aktuelle Behandlungssituation" für alle Fälle vorab in eine Verfügung zu fassen, geht schlichtweg nicht. Ob künstliches Koma nach Verkehrsunfall oder Schlaganfall... diese Situationen kann niemand voraussehen. Müßte er aber, damit seine Verfügung in jedem Fall wirksam ist. Weil pauschale statements wie die Ablehnung jeglicher lebenserhaltender Maßnahmen im Einzelfall halt unwirksam oder zumindest strittig sind. Und im Notfall eine gerichtliche Klärung erforderlich ist.

Insofern ist das subject "Sterbehilfe" in diesem thread auch nicht ganz passend zur Diskussion, die sich daraus entwickelt hat. Von der Rechtslage in D her und in der medizinischen Praxis besteht Unsicherheit nur in dem Fall, dass der Patient sich selbst nicht mehr klar äußern kann. Und in dem Fall entweder eine Patientenverfügung hat oder nicht.

Kann sich der Patient noch klar äußern, ist die Sache einfach: Aktive Sterbehilfe ist in D verboten, Mediziner stehen dafür mit einem Bein im Knast. Wer das als Patient von Ärzten verlangt, muss nach Benelux zur Behandlung. Privat ist die aktive Sterbehilfe natürlich auch verboten. Wird aber in der Praxis häufig vorkommen - in der privaten häuslichen Pflege, und da oft ohne Zustimmung der Kranken. Da landen wir dann sofort wieder bei der "Euthanasie-Angst" (die so unberechtigt nicht ist - ich hätte auch Angst um mein Leben, wenn ich darauf angewiesen wäre, dass Aasgeier und Erbschleicher mich Zuhause pflegen und mir hoffentlich die richtigen Tabletten zur richtigen Zeit und in der richtigen Dosis geben). Sprich: solchen Angehörigen, wie sie Wolfgang und jede Krankenschwester/-pfleger aus dem Alltag kennt, will wohl niemand auf Leben oder Tod ausgeliefert sein.

Passive Sterbehilfe auf Wunsch des Patienten ist in D grundsätzlich straffrei, ob von privat oder von Ärzten. Ob das nun ein Behandlungssabbruch (z.B. keine künstliche Ernährung mehr) oder "Beihilfe zum Suizid" ist (z.B. das Glas mit dem Giftcocktail auf den Nachttisch stellen - nur es in die Hand nehmen und trinken muss der Patient selbst). Wenn der Patient eine Behandlung nicht wünscht bzw. abbrechen will, obwohl er damit seinen Tod herbeiführt oder beschleunigt, ist das nicht nur für den Behandler straffrei, sondern im Gegenteil Pflicht. Weil jegliche Behandlung eines Patienten gegen seinen erklärten Willen in D Körperverletzung ist und strafrechtlich verfolgt wird.

Dass sowas in der medizinischen Praxis trotzdem sehr problematisch sein kann, weiss jeder, der in dem Bereich arbeit. Vielleicht hat der eine oder andere auch letzten Sonntag in der ARD den Beitrag "schaltet mich ab" aus der Reihe "Gott und die Welt" gesehen? Einfach der Fall einer alten Patientin, die keine Dialyse mehr wollte. Hat sie nicht mehr bekommen und ist nach einigen Wochen an Nierenversagen gestorben. Schwierig der Fall einer alten Patientin, die nur dank Beatmungsgerät leben konnte. Und immer wieder gefordert hat, das abzuschalten. Was ist das nun, wenn der Arzt dem folgt? Ein "passiver" Behandlungsabbruch? Oder "aktive" Sterbehilfe, weil er dafür ja den Schalter umlegen bzw. den Schlauch abstöpseln muss? Und warum macht die Patientin das nicht selbst, wenn sie das immer wieder fordert? Schließlich reicht sie mit dem Arm locker an die Schläuche und den Power-Knopf des Gerätes... Tja, sie will halt nicht qualvoll ersticken, was verständlich ist. Das ist eine der schlimmsten Todesarten überhaupt, weil sich der Körper dagegen instinktiv wehrt und mit letzter Kraft um sich schlägt, um das zu verhindern. Ihr per Beatmungsgerät Stickstoff oder Helium statt Sauerstoff zu geben wäre human. Aber von Seiten des Personals als aktive Sterbehilfe verboten. Und selbst aufstehen, sich die Gasflasche kaufen und anschließen kann die gute Frau halt nicht mehr. Und nun ?!?!

Nun kommt der typisch deutsche und grausame "Kompromiss". Man wartet einfach, bis der Patient sich eine "neue" Krankheit zuzieht, die dann seinem Wunsch gemäß unbehandelt bleibt. Dann darf er irgendwann z.B. an Lungenentzündung sterben, und alle sind fein aus der Verantwortung raus. Das ist das traurige Ergebnis der Rechtsunsicherheit und x fallspezifischer Sitzungen der Klinik-internen Ethik-Kommission zu diesem "Fall". Und zutiefst unmenschlich - aber es ist nunmal für alle Beteiligten "rechtsicher" Dass Mio Menschen in D eine Patientenverfügung haben, um für sich genau sowas zu verhindern... wen interessierts? Hauptsache, uns kann keiner am Zeug flicken, ob ethisch, religiös oder strafrechtlich.

Und solange sich die Legislative erfolgreich um dieses Thema herumdrückt, wird das wohl in D leider ein Problem bleiben, das sich privat individuell oder im Gesundheitswesen in einer großen Grauzone "erledigt". Wenn niemand petzt, kann man vieles tun oder unterlassen. Wo kein Kläger, da kein Richter.

Ich war mir mit meiner Frau einig, dass das Selbstbestimmungsrecht über das eigene Leben und den eigenen Tod für uns unantastbar ist. Und ich hätte sie aktiv und human getötet, wenn sie das von mir verlangt hätte. Darüber hatten wir schon lange vorher Klartext geredet, und die Vorbereitungen dafür waren getroffen. Strafrechtliche Konsequenzen waren mir dabei völlig egal. Es hätte sowieso niemand bemerkt.

Für mich habe ich aus dem langsamen Krebstod meiner Frau und ihren stationären Behandlungen vorher den Schluss gezogen, dass ich, sobald ich an der Reihe bin, wenn ich es irgendwie verhindern kann, nicht in Klinik, Hospiz oder gar Pflegeheim sterben werde, sondern Zuhause, wenn ich es will. Und weil bei mir niemand da ist, der mir diesen Gefallen tun wird, bin ich auf den "final exit" vorbereitet. Klar, eine Patientenverfügung habe ich auch. Aber das Vertrauen, dass die auch in meinem Sinne befolgt wird... das habe ich nicht

Viele Grüße,
Stefan