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Alt 18.12.2016, 05:09
lotol lotol ist offline
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Standard AW: Gibt es wirklich keine Chance???

Liebe Ich2009,

es gibt Situationen in unserem Leben, in denen uns nichts anderes übrig bleibt, als die Realität als solche akzeptieren zu müssen.

Deine Schwester hat wohl keine Chance mehr, überleben zu können.
Sie weiß das, und auch Du weißt das.

Zitat:
Als wir angekommen sind, wurde sie wach und erkannte mich. Sagte zu mir "Hauptsache du bist da. Ich weiß dass ich jetzt sterben muss und wir haben noch soviel geplant". Sie ist immer wieder eingeschlafen und jedes Mal wenn sie wach wurde hat sie mich angelacht.
Es tat gut aber ich bin so unendlich traurig, weil ich nichts mehr für sie tun kann
Ich kann heute Nacht nicht schlafen, weil ich Angst habe, dass ich das Telefon nicht höre. Ich weiß nicht wie ich die nächsten Tage schaffen soll. Zuhause hab ich drei Kinder und die kleine merkt schon dass mit mir was nicht stimmt. Sie lässt mich nicht aus den Augen.
Wie soll ich dieses Jahr Weihnachten feiern? Egal ob meine Schwester bis dahin noch leben sollte oder doch erlöst ist, wird es für unsere Familie ganz schrecklich sein. Ich kann aber meinen kleinen Kindern nicht die Freude nehmen
Du darfst Deinen Kindern nicht die Freude nehmen!
Sie verstehen all das nicht und können nur registrieren, daß mit Dir etwas nicht mehr so ganz "stimmt".
"Reiß" Dich also "zusammen" und verschon Deine Kinder!
Kannst ihnen ja auch noch nach und nach erklären, was Sache mit Deiner Schwester ist bzw. war.

Zitat:
Nun ist der zweite Tag der unendlichen hilfslosigkeit fast zu Ende
Meine Schwester wacht fast gar nicht mehr auf. Sie macht nur kurz die Augen auf und schläft weiter. Sie sagt nichts mehr.
Das ist eine Situation vor der sie am meisten Angst hatte. Einfach nur da liegen und nichts machen können.
Mir zerbricht es das Herz sie so zu sehen und hilflos dabei zu stehen.
Mein Schwager ist Tag und Nacht bei ihr, er muss sich doch auch mal etwas erholen, aber er möchte es nicht
Meine Mama tut mir so unendlich leid. Die verliert ihr Kind
Meine Nichte verliert ihre Mama und ich kann meiner Familie nicht helfen
Ich weiß im Moment nicht wohin mit mir. Meine kleine Tochter versteht die Situation doch nicht und weint sofort los, sobald sie nur sieht dass ich traurig werde. Wie soll ich nun reagieren? Ich kann meine Kinder jetzt nicht alleine lassen aber ich kann nicht so tun, als wenn nichts wäre
Es gibt unendlich viele Fragen, die unbeantwortet bleiben
Ich weiß wirklich nicht mehr weiter
Es gibt nur noch eine einzige Frage, die sich jedoch von selbst beantwortet:
Sei bei Deiner Schwester, wenn sie stirbt!
Halt ihre Hand und sprich mit ihr.
Selbst wenn sie nicht mehr sprechen kann, versteht sie Dich möglicherweise noch.
Vereinbar mit ihr irgendeine Reaktion ihrerseits, die für Dich erkennbar macht, daß sie Dich noch versteht.
Sag ihr dann, was Du willst.
Aber vermittle ihr das Gefühl, daß sie nicht alleingelassen stirbt!

Mehr kannst Du nicht mehr für sie tun.
Aber tu wenigstens das.

"Verfrachte" Deine Kinder sonstwohin.
Die werden das schon überleben können.

Räum rigoros alles aus dem Weg, um Deiner Schwester den letzten Dienst erweisen zu können, zu dem Du verpflichtet bist:
Nämlich, ihr das Sterben erleichtern zu können.
Alles andere ist demgegenüber relativ uninteressant.

All das rate ich Dir in Deinem eigenen Interesse.
Denn nichts ist schlimmer, als sich hinterher fragen zu müssen, ob man möglicherweise versäumt hat, etwas zu tun, das man ohne weiteres auch hätte tun können.

Die peripher Überlebenden werden todsicher weiterleben können.
Deine Schwester wird aber (leider) todsicher sterben.
Also geht es für Dich nur darum, Prioritäten zu setzen.
Und zwar solche, mit denen auch Du (ohne "innere Vorwürfe") weiterleben kannst.

Zur Bewältigung all dessen, sowie auch des Nachfolgenden, wünsche ich Dir viel Kraft.
Es gibt sicher viel Angenehmeres, das um die Weihnachtszeit zu bewältigen ist.
Weder unser Leben, noch das Ableben Angehöriger interessiert das.
Ist halt nun mal so in der Natur.

Ich weiß - das kann nur ein schwacher Trost sein.
Aber immerhin ein bißchen Trost.


Liebe Grüße
lotol
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Krieger haben Narben.
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1. Therapie (2016): 6 Zyklen R-CHOP (Standard) => CR
Nach ca. 3 Jahren Rezidiv

2. Therapie (2019/2020): 6 Zyklen Obinutuzumab + Bendamustin => CR
Nach ca. 1 Jahr Rezidiv, räumlich begrenzt in der rechten Achsel

3. Therapie (2021): Bestrahlung
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