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Alt 13.06.2014, 19:46
Maigloeckchen Maigloeckchen ist offline
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Standard AW: Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Hallo zusammen,

die ersten Tage "danach" sind vergangen. Kann noch nicht mal sagen, wie ich mich fühle. Drei meiner Geschwister sind krank geschrieben, mein Vater ganz froh, dass er ab nächste Woche - nach sechs Wochen daheim und vier Zähnen weniger - wieder raus kommt und arbeiten gehen kann.

Ich gehe arbeiten, seit gestern gibt es wieder Witze im Büro. Irgendwie fühlt sich Alles an, wie immer - nur dass es das nicht ist. Ich warte noch immer auf den großen Knall, vielleicht zur Beerdigung. Die Arbeit lässt mich wenigstens wieder schlafen, morgens sehe ich aus, wie mit einem Fleischwolf bearbeitet - und fühle mich auch so. Mein ganzer Körper tut mir weh.

Im Supermarkt hab ich mich erwischt, systematisch nach Dingen zu schauen, die meine Mama so gern hatte. Das fühlt sich dann schon mies an. Meine Mama wollte mir unbedingt noch eine Strickjacke stricken, weil ich eine hab, die mir irgendwann einfach davon weht, so alt ist sie. Aber ich liebe dieses olle Ding und kann mich (jetzt noch weniger) davon trennen. Vor einigen Wochen fand mein Mann eine fast fertige Strickjacke und war überzeugt, die sei für mich - weil ich die einzige in der Familie bin, die größentechnisch reinpassen würde. Damals hat mich der Anblick des Strickwerks schlichtweg mein Nervenkostüm gekostet. Als ich die Mama drauf ansprach, war die gar nicht für mich sondern für sie selbst. Jetzt kann ich die Jacke haben und nicht stricken, nicht nähen - nichts. Meine Schwiegermama wird sie wohl für mich vollenden.

Ach, mir gehen tausend Sachen durch den Kopf. Warum sind wir Sonntag nicht nochmal zurück gegangen? (weil das merkwürdig aussieht) Warum sind wir nicht noch eine halbe Stunde länger geblieben? (weil sie dann eine halbe Stunde weitergekämpft hätte, bis wir dann gegangen wären) Wollte sie mein Okay? Wen rufe ich jetzt an, wenn ich Liebe oder einen Rat brauche? Wen soll ich jetzt bremsen, wenn die Gedanken zu ironisch und sarkastisch werden? Mama war die letzte Verbindung in die Heimat - sicher, meine Geschwister leben dort weiterhin, aber wenn ich die Mama besucht hab, bin ich nach Hause gefahren. Und jetzt?

Hab ein bisschen Angst vor der Beerdigung. Was ist, wenn dort die ganze Familie hockt - in Tränen aufgelöst - und ich einfach NICHT KANN? Bin ich kalt? Ich heule wegen jedem Scheiß, nur jetzt nicht. Wenn ich in mich rein höre, bin ich stolz und froh für meine Mama, dass sie diesen Kampf bis zuletzt nach ihren Regeln gespielt hat und jetzt nicht mehr leiden muss.
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