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Alt 25.09.2003, 15:59
Gast
 
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Standard ich habe schuld

Lange habe ich überlegt, zigmal habe ich einen Ansatz gemacht und ich weiss auch nicht ob es diesmal gelingt. Gelingt aufzuschreiben was mich auffrisst. Ich bin Schuld am Tod meiner Frau.
Um es zu erklären muss ich von vorne beginnen.
Am 20.01.2000 wurde meine Frau mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Sie war einfach zusammengebrochen. Sie, die nie krank war.
Sie hatte eine chronisch-aktive Hepatitis C, Leberzirrhose, hepatische Encephalopathie uam.
Sie war voll Wasser und Ammoniak. Es war sehr schlimm. Sie wurde ins Koma gelegt, künstlich beatmet und bekam alles was die moderne Intensivmedizin und die Ärzte leisten konnte. Und sie hat es geschafft. Nach 4 Wochen konnte sie das Krankenhaus wieder verlassen. Die Ärzte hatten uns aufgeklärt das irgendwann in absehbarer Zeit meine Frau eine Spenderleber bekommen musste. Wir glaubten da auch noch, gegen die Krankheit gewinnen zu können. Vor allem ich. Ich suchte im Internet alles zusammen was es über Hepatits C und die Folgekrankheiten gab und wir machten uns gegenseitig immer wieder Mut.
Meine Frau wurde an die Transplantationsambulanz der WWU Münster überwiesen, doch für eine Listung bei Eurotransplant waren ihre Leberwerte zu gut. Sie wurde wieder nach Hause geschickt. Eine Chemo gegen die Viren, ( Interferon und Ribavarin ) konnte sie nicht bekommen weil sie zu krank war. Immer wieder musste sie ins Krankenhaus weil Ihr HB Wert zu niedrig war und sie Bluttransfusionen brauchte. Als man meiner Frau in der WWU dann statt einer Listung, vorschlug, einen Stent zu implantieren, um den Druck von der Pfortader zu nehmen und unsere Fragen nach dem Risiko einer solchen OP falsch beantwortete, hatten wir kein Vertrauen mehr und meine Frau liess sich an die Uniklinik nach Essen überweisen. Aber auch dort konnte sie wegen ihrer noch guten Leberwerte nicht gelistet werden.
Unsere Angst, daß sich aus der Leberzirrhose Krebs entwickeln könnte, wurde dann im Mai 2002 bestätigt. Und jetzt endlich wurde sie gelistet. Aber selbst auf der Dringlichkeitsliste dauert es ca 1 Jahr bis eine Leber gefunden ist und diese Zeit hatte meine Frau jetzt nicht mehr. Es ging ihr immer schlechter und die Krankenhausaufenthalte wurden immer öfter und länger. Ich war immer bei ihr. Egal in welchem Krankenhaus, ich kam morgens und abends musste man mich förmlich rauswerfen damit ich ging. Eines Tages dann wurde ich von dem Stationsarzt in Essen darauf angesprochen ob ich nicht für meine Frau eine Leberlebendspende machen wollte. Ich war sofort bereit, erklärte welche Krankheiten ich habe und ob ich damit trotzdem noch als Spender in Frage käme. Drei Tage wurde ich untersucht, vor allem wegen meiner Herzerkrankung, und nachdem ich über das erhöhte Risiko aufgeklärt wurde, von den Kardiologen und Internisten als Spender akzeptiert.
Am Montag den 11.11.2002 wurde meine Frau von dem Stationsarzt zu Hause angerufen und es wurde ihr gasagt das ich als Spender genommen werde. Ihre Freude war riesengroß. Jetzt glaubte sie auch daran das sie es schaffen könnte und machte, was sie lange nicht mehr getan hatte. Sie bestellte sich Anziehsachen in Versandhäusern und machte Zukunftspläne.
Am Dienstag den 12.11.2002 bekamen wir wieder einen Anruf der UniKlinik und wurden für Mittwoch den 13.11. zum Gespräch in die Transplantationsambulanz zu den Chirurgen bestellt.
Und dort wurde uns dann gesagt das ich als Spender nicht genommen würde. Ich wäre zu krank und das Risiko das ich sterben könnte zu groß. Die Kardiologen und Internisten ständen nicht am Operationstisch, Entscheidungen treffen letztendlich die Chirurgen und Anästhesisten und die hatten sich gegen mich entschieden. Stundenlang wurde dann von einem Anästhesiearzt versucht uns diese Entscheidung begreiflich zu machen, doch wir waren am Ende.
Als Ausweg wurde angeboten die Leber einer Patientin zu bekommen, die zwar nicht ganz gesund war aber meine Frau nicht schädigen würde. Wir begriffen nichts mehr. Ich muß sagen wir waren ko. Seit dem frühen Morgen unterwegs, kaum etwas gegessen, diese Enttäuschung und dann ist plötzlich doch eine Leber da. Wir wollten nur noch weg. Meine Frau wiederholte immer wieder, wie eine Schallplatte die einen Sprung hat: "ich will diese Leber nicht, ich will keine andere kranke Leber, ich will deine Leber". Auch zu Hause in der Familie sagte sie das immer wieder. Ihre Blutwerte wurden auch wieder schlechter, ihr Allgemeinzustand wurde so schlecht so das wir einen Termin am 26.11.2002 für eine Bluttransfusion machen mussten. Unterwegs im Taxi bekamen wir dann den Anruf das wir sofort in das OPZ II kommen sollten. Eine Leber war da. Die kranke Leber?
Meine Frau wollte nicht. Ich habe sie überredet und sie hat mir geglaubt. Vorbehaltslos wie immer hat sie mir vertraut. Hätte sie es doch diesmal nicht getan. Als wir in der Klinik ankamen musste alles ganz schnell gehen. Ich habe gefragt was für eine Leber das ist und immer wieder sagte man mir: "die Leber ist für ihre Frau gesund".
Wir hatten kaum Zeit zum Verabschieden. Als sie im Keller durch die Schleuse zum OP geschoben wurde lächelte sie mich noch mal voll Vertrauen an. Es war das letzte mal.
Angeblich hat sie während der Operation eine Lungenembolie bekommen. Sie ist nicht mehr wach geworden und am 01.Dezember 2002 gestorben. Die Kinder waren mit mir bei ihr als sie starb.
Sie war der liebste und beste Mensch den es für mich jemals gegeben hat. Ohne sie ist mein Leben total sinnlos.
Einige Monate später sah ich zufällig im Fernsehen eine Sendung mit dem Titel "Dosierte Ohnmacht". Dort wurde eine Frau gezeigt die eine Lebertransplantation erwartete und auch überlebt hatte. Und die kranke Leber die dort ersetzt wurde hat meine Frau bekommen. Es war ein Versuch wurde gesagt der leider nicht funktioniert hat. Ich bin immer noch entsetzt. Man hoffte so einen Weg zu finden um in sogenannten Dominotransplantationen der Organknappheit zu begegnen. Von einem Arzt der bei der OP meiner Frau dabei war wurde mir später gesagt. "Im Nachhinein, wenn ich es so betrachte, hätten wir doch besser ihre Leber genommen"!
Jetzt sind es fast 10 Monate das sie von mir gegangen ist. Ich habe hier alles so gelassen wie sie es verlassen hat. Ihre Sachen hängen im Schrank. Ihre Kosmetika sind an gleicher Stelle im Bad. Ihre Puppen sind noch am gleichen Fleck. Fast jeden Tag bin ich auf dem Friedhof und sitze, wie früher am Krankenbett, am Grab. Ich weiß nicht wie es weitergehen soll.
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