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Alt 07.03.2007, 16:11
Mark Mark ist offline
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Ausrufezeichen AW: Ich bin so verunsichert

Liebe Irmgard,
Du hast ein Thema angefangen, welches sehr komplex ist.
Aber ich finde es richtig gut, so ein Thema im Forum zu beginnen.
Oft bleiben die Gefühle und die seelischen Dinge hier zu kurz behandelt. Dabei spielen doch viele Faktoren beim Gesunden eine Rolle.
Ich glaube daran, dass viele Dinge bei einer Erkrankung im direkten und viele Dinge im indirekten Zusammenhang stehen. Dazu gehören, der allgemeine körperliche Zustand, der Zustand des Immunsystems, Stressfaktoren, Lebensumstände, Lebensweisen, der seelische Zustand, das soziale Umfeld (Familie, Verwandte, Freunde), die Ernährung und andere Dinge. Alles kann positiv und negativ nach einem Ausbruch einer Krankheit den Verlauf beeinflussen. Genauso sehe ich das bei der Genesung. Wenn du zum Einen schreibst, dass du dir kleine Ziele setzt und zum anderen die Anschaffung eines Schlafzimmers in Frage stellst, in der Form „ob es sich lohnt", stellst du auch die Frage nach der Lebenserwartung. Dabei sind deutliche Zweifel erkennbar.
Jede Investition in deine Lebensqualität ist eine gute Investition. Wenn das neue Schlafzimmer da ist, wird es deine Schlafsituation verbessern, du wirst dich wohl und gut fühlen können. Das bedeutet, das deine Lebensqualität sich verbessert.
Das viele in unserem Umfeld, unsere Situation nicht verstehen können, finde ich ganz natürlich. Zum einen, weil sie auch Angst davor haben, selbst einmal eine so schwere Krankheit zu bekommen, und ein gewisser Abstand eine Art Selbstschutz ist oder auch Unsicherheit ausdrückt.
Aber es liegt auch an unserer Gesellschaftsform. Jemand der krank geschrieben ist, wird als krank akzeptiert.
Jemand, der nach einer Krankheit wieder arbeiten geht, ist also nicht mehr krank geschrieben, muss also wieder gesund sein. Es ist nur schwer zu verstehen, welche Ängste einen begleiten und welche Sorgen sich vor den Nachuntersuchungen in einem breit machen. Ich habe Menschen kennen gelernt, die dachten, Krebs wäre ansteckend, andere gingen davon aus, das wenn trotz Chemo die Haare noch da sind, alles nicht so schlimm ist.
Ein Nachbar sagte zu meiner Frau, dass ich nun, nachdem die Bestrahlung am Freitag (05.01.2007) vorbei sei, ich am Montag drauf noch immer wacklig auf den Beinen gewesen sei. Das sind alles Menschen, die es nicht böse meinen, aber entweder falsches Wissen haben, oder einfach keine Ahnung haben, was eine solche Krankheit und die Behandlungen für Auswirkungen haben und wie lange es dauern kann, wieder in einen ähnlichen Zustand wie vor der Krankheit zu gelangen.
Ist mir auch verständlich, wenn ich eine Erkältung habe und war beim Arzt und das Medikament schlägt an, und ich habe nach einigen Tagen die Erkältung überwunden, dann wird mir keiner etwas ansehen (Z.B.: wackelige Beine) oder in der Regel keine sichtbare Nebenwirkung oder Nachwirkung der Erkältung sichtbar (Z.B.: Haarverlust) sein.

Dass der Amtsarzt sich so geäußert hat, gibt mir leider wieder einmal Recht zur Qualifikation von solchen Ärzten. Wer nicht sehr gut ist, schafft es eben nicht, eine eigen Praxis aufzubauen, oder in einem guten Krankenhaus eine Stelle zu bekommen, und muss sich daher mit einer Stellung und Bezahlung im öffentlichen Dienst in Ämtern zufrieden geben!
Dass du eine Zeit gebraucht hast um das Gespräch zu verarbeiten, kann ich verstehen.
Wie viele Menschen hat so ein Typ schon entsprechend belastet? So ein Arzt ist eigentlich für unser Gesundheitssystem nicht tragbar! Dass du dich da zur Wehr gesetzt hast finde ich toll!

Dass das enge Netz der Untersuchung einen zwar etwas beruhigt, aber auch in einer gewissen Weise lästig ist, kann ich nachvollziehen. Irgendwie kommt man nie zur Ruhe. Dazu die Stimmung in den Wartezimmern. Das bedrückt mich immer wieder und das Warten auf die Untersuchung und die Ergebnisse mit Hoffen und Bangen als Wegbegleiter machen es nicht einfacher.
Deine Unsicherheit wie es weitergeht im Leben, kommt mir bekannt vor. Nicht alles ist sortierbar und Gedanken zu den Bereichen die du genannt hast kommen mir auch bekannt vor. Zum einen das Planen und Vornehmen von Zielen und dann das Hinterfragen, ob die Ziele erreichbar, eben erlebbar sind und die Frage, was passiert mit den Lieben, wenn man selbst nicht mehr da sein sollte. Die Sorgen, die Ängste und die Fragen, die man sich stellt, sind mannigfaltig und weil geballt, oft nicht befriedigend und in einem Zuge beantwortbar.

Ich denke, dass wir da aber einen gewissen Vorteil haben. Niemand, der bei einem Verkehrsunfall stirbt, hat die Möglichkeit bestimmte Dinge vorher zu klären. - Der kleine Streit am Morgen, das Testament, was schon seit Jahren geschrieben sein sollte, das Sicherstellen der Altersversorgung des Partners, die Zukunft der Kinder oder Enkelkinder usw.

Ich selbst, habe diese Dinge aufgrund meiner Erkrankung versucht zu klären, in den Grenzen, die mir möglich waren. Testament, Patientenverfügung, meine finanziellen Dinge habe ich geregelt und sogar Briefe an Freunde und bestimmte Organisationen vorbereitet.
Manche Dinge blieben offen! Man kann nicht alle Weichen für das Leben der Lieben sicher stellen und alles festlegen! Mir wurde klar, dass alles auch ohne mich weiter gehen würde.
Für den einen oder anderen Fall kann man bestimmte Grundlagen schaffen, aber für viele Dinge nicht!
Aber danach habe ich das Ganze als erledigt abgehakt. Auch habe ich beschlossen, manche Dinge viel bewusster zu erleben. Egal wie alt man ist, so ist doch der Wille und der Wunsch noch eine Zeit lang so zu leben, dass man Spaß und Freude am Leben hat, ganz natürlich. Ich glaube nicht, dass es da eine Altersbegrenzung gibt. Ich bin zwar mit 43 Jahren noch ein paar Jahre jünger als du, aber auch mit 60, 70 oder mit mehr 80 Jahren, kann ich mir ein schönes Leben vorstellen, wenn Geist und Körper noch relativ gut funktionieren. Und selbst wenn die eine oder andere Einschränkung vorhanden sein sollte, so denke ich, das ich jemand bin, der trotzdem am Leben hängt und sich auch mit Einschränkungen verbunden, noch ein paar schöne Tage, Wochen Monate und Jahre wünschen und vorstellen würde.

Dass du viele Dinge unternimmst, sehe ich nicht als Flucht an, sondern das du das Leben genießt. Jeden Tag, den du mit Freude erlebst, ist doch ein guter Tag!
Ich fände es schlimm, wenn du dich zu Hause einschließen würdest!
Ob wir zu Hause sind oder unterwegs, die Welt wird sich weiterdrehen und die Tage werden
ganz normal vorübergehen. Ich selbst geniesse jeden Tag heute mehr und anders, vielleicht auch intensiver als vor meiner Erkrankung.


Ich nehme bestimmte Dinge anders war, beurteile Dinge anders als früher. Auch hat sich meine Werteskala bei Dingen die wichtig oder unwichtig sind sehr verändert.
Auch finde ich gut, das du so offen mit deinen Problemen und Gefühlen umgehst und auch bereit bist, dir externe Hilfe zu holen. Viele sind nicht bereit sich zu öffnen und nehmen sich nach meiner Meinung so die Chance, die Situation zu verbessern und Probleme zu verarbeiten.
Wenn wir mit unseren Gefühlen, Wünschen, Sorgen und Problemen offen umgehen, haben unsere Familien, Freunde und die hilfeleistenden Stellen, an die wir uns wenden, erst die Möglichkeit auf uns einzugehen und uns zu helfen.

Es gibt einen Spruch, der nicht der neuste ist, aber die Situation vielleicht trifft:

Nur wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren!

In diesem Sinne - grüßt dich herzlichst
Mark
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