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Alt 16.12.2002, 14:15
Gast
 
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Standard Liebe Angehörige von Krebspatienten

Liebe Anne,
ich denke, das Wichtigste ist, dass Du und Deine Familie verstehen, dass Deine Mutter nicht aus Desinteresse an ihrer eigenen Erkrankung so handelt. Das alles hat viel mit Schock und Depression zu tun. Ich sehe das an meiner eigenen Mutter, die mich gerade aus dem Krankenhaus angerufen hat, weil sie bis heute nacht dort an ihr Bett gefesselt ist, wegen der Chemo-Infusionen. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass sie ihren BK-Rückfall, sprich die Metastasen im Halsbereich, schon Wochen vor ihrem Arztbesuch bemerkt hatte. Aber da sie kurz vorher ihren Mann verloren hatte, dachte sie, sie könne das alles nicht ertragen und hat versucht, es zu verdrängen. Was natürlich nicht ging, ich habe gemerkt, dass sie neben dem Verlust meines Vaters noch etwas anderes belastete. Erst als ihre Stimme weg war und sie kaum noch was schlucken konnte, hat sie sich von mir dazu überreden lassen, zum Arzt zu gehen. Man kann ihr da aber keinen Vorwurf draus machen, denn dieses Leid und diesen Schockzustand kann man nur nachempfinden, wenn man ihn selber erlebt! Zunächst hat sie auch jegliche Chemo abgelehnt, weil sie sich dazu nicht in der Lage fühlte. Ich habe ihre Entscheidung erstmal so hingenommen, es ist ja schließlich ihr Körper! Ich habe ihr aber gesagt, dass sie sich, wenn sie sich doch anders entscheiden sollte, auf mich verlassen kann. Nachdem es ihr jetzt allgemein etwas besser geht, hat sie sich doch für die Chemo entschieden. Ich denke, manche Menschen brauchen für solche Dinge auch einfach mehr Zeit. Und dann darf man sie auch nicht zwingen! Man muss nur zeigen, dass man da ist und bei allen Dingen zur Seite steht. Wenn meine Mutter allerdings weiter darauf bestanden hätte, dass sie keine Chemo machen will, dann hätte ich das akzeptiert, auch wenn es sehr schwer gewesen wäre.
Zu der Frage hier im Forum, wie man sich verhalten soll: Ich denke, das hängt stark von dem Verhältnis ab, das man vorher zueinander hatte. Meine Mutter und ich hatten immer schon ein zwar sehr enges, aber auch ein recht "nüchternes" Verhältnis. Im Gefühle zeigen sind wir beide nicht so gut. Das von heute auf morgen zu ändern wird nicht klappen. Über praktische Dinge können wir sehr gut reden, z.B. habe ich eine General- und Gebrechlichkeitsvollmacht für den Notfall von ihr bekommen. Aber wie es in ihr drin aussieht, darüber zu sprechen fällt uns ziemlich schwer. Ich lasse sie auch nicht spüren, wie sehr mich die ganze Situation belastet, vor allem nachdem gerade erst vor 5 Monaten mein Vater tödlich verunglückt ist. Ich habe einfach das Gefühl, ihr jetzt das Gefühl geben zu müssen, dass ich für uns beide stark genug bin.
Viele Grüße, Tina
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