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Alt 03.12.2004, 23:01
Gast
 
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Standard es tut so weh...

Der Arzt kann sich nicht entscheiden (ob das Metas sind), aus reinerA bsicherung schlägt er Strahlterapie (10 Sitzungen) vor. Lora möchte einen anderen Arzt noch aussuchen. Bin aus so einer Meinung.

Teil 3
21.11.03, Freitag
Um 9 Uhr sind Tanja und ich im Onkoinstitut, von mir aus könnte ich schon um 6 Uhr hier sein, aber Tanja wollte nicht so früh. Na gut... Lora wurde gerade aus der Intensivstation entlassen und per „Taxi“ ins Zimmer gebracht.
Tanja spricht ganz kurz mit Lora und fährt zur Arbeit. Ich bleibe.
Der Tag verläuft ganz gut.
Lora spricht viel mit Lena und Saschiko. Da sie schon operiert und ca einen Monat (Meine Güte! Das werden wir bestimmt nicht tun!) hier sind, erzählen sie, wie hier alles abläuft.
Ich beobachte Lora ganz genau. Weiß genau, sie wird nicht sagen, dass sie Schmerzen hat.
Aber ich sehe ihre Lippen. Ich hab Tropfen gegen Schmerzen (Novaminsilfon ratiopharm Tropfen) mitgebracht. Wenn ihre Lippen blau sind, dann unterbreche ich die Diskussion und gebe ihr die Tropfen.
Lora schläft heute viel. Drei Frauen aus Nachbarzimmer kommen vorbei, und fragen mich aus.
- Ist das deine Mutter?
- Nein.
- Deine Schwester?
- Nein.
- Aber ihr seht euch ähnlich. Wer ist Lora für dich?
- Meine Freundin.
- Ehrlich?! Nur Freundin?!
- Die beste.
- Lass sie hier nicht alleine. Es wird Zeit kommen, sie hilft dir genauso, wie du es jetzt für sie tust. Aber besonders diese Nacht lass sie nicht alleine. Lena und Saschiko sind operiert, sie können ihr nicht helfen.
- Kann ich denn hier bleiben?!
Die Frauen lachen.
- Natürlich. Die zwei Betten sind doch frei.
Lena ist nur tagsüber im Institut, ihre Tante wohnt hier in der Nähe, Lena übernachtet bei ihr. Ich frage sie, ob ich ihr Bett haben kann. Sie ist einverstanden, ich erzähle, woher ich komme.
Die Frauen sind erstaunt. Lena übersetzt alles Saschiko. Ich bin für sie ein Mensch von einem anderen Planet. Sie fragen viel, hören sehr aufmerksam zu. Auch sie erzählen mir viel.
Abends gehen Lora und ich spazieren!!! Nur Flur entlang, aber schon am ersten Tag nach der Operation! Ich kann es kaum fassen, Lora auch.
Ich kann nicht sagen, ob ich diese Nacht geschlafen hab.
Wir haben die Nacht überstanden.

22.11.03, Samstag
Tanja ruft an, sie hat uns ihr Handy gegeben, das war eine gute Idee. Mein Handy funktioniert hier nicht.
- Bist du im Zimmer?
- Ja
- Geh bitte raus!
Ich verstehe, sage Lora, dass die Verbindung im Zimmer schlecht ist und gehe raus.
- Was ist los?
- Loras Vater ist gestern abend gestorben.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Blitzschnell wird mir klar, dass Lora nicht bei der Beerdigung sein wird. Hier werden die Toten am 3. Tag zu Grabe getragen. Die Beerdigung wird schon morgen sein, 200 km mit dem Auto schafft sie nicht. Unmöglich ist es!
- Ich werde es ihr nicht sagen! Nicht jetzt! Sie muss zuerst zu Kräften kommen. Erst dann. Und das soll schon ihre Mutter tun. OK?
Tanja ist einverstanden, aber weigert sich, Lora jetzt zu besuchen: „Ich kann nicht lügen, ich werde weinen.“ „Bleib zu Hause“
Gehe ins Zimmer rein, meine Hände zittern, ich verstecke sie in die Hosentaschen, die Stimme bleibt mir treu.
-Es ist alles in Ordnung, Tanja kann nicht kommen, hat Probleme.
Lora nickt. Heute hat sie Fieber, aber es ist normal, der Arzt hat uns gewarnt.
Wir gehen spazieren. Loras Tochter kommt heute zu Besuch. Wir haben uns geeinigt, dass wir schweigen, und ich lasse sie alleine.

23.11.03, Sonntag
Unerwartet kommt Loras Chirurg vorbei, sie sprechen zum ersten Mal nach der OP mit einander. Als er geht, gehe ich mit ihm raus, erzähle ihm vom Tod Loras Vaters.
- Ihr habt ihr nichts gesagt?
- Nein. Die Stadt ist 200 km von hier entfernt.
- Sie wird es auf keinen Fall schaffen.
- Das dachten wir auch, aber wann dürfen wir es ihr sagen?
- Das ist eure Sache. Für mich sind die lebenden Menschen wichtiger.
Er geht. Ich kehre ins Zimmer zurück. Lora guckt mich scharf an:
- Du sprichst nie mit Fremden. Und so lange...
- Das ist kein Fremder, das ist dein Chirurg.
- Worüber habt ihr gesprochen? Ist mit meiner OP doch was nicht in Ordnung?!
- Über deine OP haben wir nicht gesprochen. Ich verspreche dir alles genau zu erzählen, aber nicht jetzt. Er sagt nur, dass ihm die Lebende wichtiger sind als die Toten.
Lora fragt nicht weiter, ich bin erleichtert. Aber falls ihre Mutter morgen nichts sagt... Dann sage ich es ihr.
Lora wundert sich, dass ihre Mutter nicht gekommen ist, sie hat auf sie und auf ihre Schwester gewartet. Ich sage, dass sie bestimmt viel Arbeit haben. Wenn sie nur wüsste, was für Arbeit... abends ruft ihre Schwester. Lora fragt nach Mutter. „Sie schläft schon, ist sehr müde“ „Gruß an Vater“...

26.11.03, Mittwoch
- Morgen kommen deine Mutter und deine Schwester. Es wird ein schwerer Tag für dich sein.
- Mach keine Tragödie! Natürlich werde ich weinen, aber das ist doch meine Mutter!
- Ich weiß. Aber ich kaufe trotzdem die Beruhigungstabletten, du trinkst die, bitte-bitte!
- Gut, mach ich.
Lora macht große Fortschritte. Die Wunde heilt ganz gut. Lora kann sich nicht angucken. Ich mache ihr frische Verbände und erzähle ihr, was ich sehe. Es sieht nicht so schlimm aus, finde ich. Na ja, die Tatsache – die Brust ist weg – ist schon schlimm, aber der Heilungsprozess verläuft super. Am 3. Tag hat Lora schon diese kleine Pumpe (die diese blutige Flüssigkeit aus der Wunde aufnimmt) nicht gebraucht. Und sogar ohne Pumpe, sammelt sich keine Flüssigkeit unter der Haut. Mit der Gymnastik klappt es auch wunderbar. Lora kann ihr Arm besser bewegen als Saschiko.

27.11.03, Donnerstag
Ich hab die Krankenschwester und den Arzt gewarnt, was Lora heute erwartet. Die sollen eine Beruhigungsspritze bereit haben, falls es sehr schlimm wird. Zwar hab ich schon 2 Tabletten gegeben, aber glaube nicht, dass das ausreicht.
Mutter und Schwester kommen, Lora weint, beruhigt sich und sie sprechen über alles mögliches.
- Was macht Vater?
- Er liegt...
Lora hat es zuerst nicht verstanden. Ich hab Angst, dass sie es doch richtig versteht. Nein, hat sie nicht.
Dann fragt Mutter mich: „Jetzt?“ Ich nicke mit dem Kopf. Und sie sagt es:
- Also, Tochterchen, du warst tapfer, du sollst auch weiter tapfer sein, so wie ich jetzt. Dein Vater ist tot.
Loras Augen... Schrei „Vati!!!“... Krankenschwester und Arzt kommen sofort...
Wir haben auch das überlebt...

1.12.03, Montag
Ich putze Zähne und sehe eine Kakerlake. Zwar hatte ich gleich am 2.Tag einen Kakerlakenkrieg im Zimmer durchgeführt, sie kommen aber immer wieder. Ich putze meine Zähne und denke nur: falls wir heute von hier nicht verschwinden, drehe ich durch.
Wir gehen zum Chirurgen und bitten um Erlaubnis, das Bett frei zumachen. Er guckt uns an, bittet Lora ihr Arm hoch zu heben, sie macht das, er gibt uns grünes Licht. Nichts wie weg!!!
Rufe Tanja an, sie kommt mit dem Auto, wir packen unsere Sachen, verabschieden uns von Lena und Saschiko, Lena weint, wir fahren.
Zum ersten Mal ist Lora an der frischen Luft.
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