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Alt 29.08.2011, 19:44
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Klaus 48 Klaus 48 ist offline
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Standard AW: TROTZALLEDEM Club humortragender Magenloser

Hallo liebe Leute, ich bin durch Zufall auf Eure Seite gestoßen, die ich interessant finde und auch wichtig für „Neueinsteiger" halte. Die wichtigste Nachricht: Man kann ohne Magen sehr gut leben!

Hier ganz kurz meine Story:

Ende November 2005 wurde bei mir Magenkrebs festgestellt; man meinte, der Magen müsste entfernt werden. Selbstverständlich habe ich mich dann in einem anderen Klinikum mit der Diagnose vorgestellt, wo man meinte, man könnte „einen kleinen Teil des Magens" retten. Damit war die Entscheidung gefallen.

Andererseits meinte man, ich sollte Weihnachten noch im Schoße der Familie feiern, jedoch noch im selben Jahr auf jeden Fall den Magen entfernen lassen. Also „feierte" ich Weihnachten im Schoße der Familie. Für alle, die vor einer solchen oder ähnlichen Wahl stehen sollten: Macht es nicht! Es war ein „Scheiß Weihnachten". Jeder versuchte fröhlich zu sein, alle (meine Frau und meine beiden erwachsenen Kinder sowie ich) schlichen umeinander herum und alle versuchten, das eine Thema zu vermeiden und trotzdem dachte jeder nur an dieses eine Thema! So ein Weihnachten möchten weder meine Familie noch ich noch einmal erleben.

Am 26. Dezember (2. Weihnachtsfeiertag!) musste ich dann ins Krankenhaus einrücken und am 27. Dezember nach 10 stündiger Operation war ich sowohl Magen als auch Milz los.

Schon am nächsten Morgen kam ich von der Intensivstation auf die normale Station und nach einer Woche begleitete ich bereits meine Besucher zum Ausgang des Krankenhauses. Dadurch dass ein Schmerzkatheder gelegt war, habe ich während der gesamten Zeit keinerlei Schmerzen gehabt.

Leider bekam ich dann den berühmten und berüchtigten „Krankenhauskeim" (MRSA), was dazu führte, dass drei weitere Revisionsoperationen durchgeführt werden mussten, ein anus praeter gelegt, ich ins künstliche Koma gelegt, künstlich beatmet wurde und meiner Familie eigentlich keine Hoffnung mehr auf ein Durchkommen gemacht wurde. Man aber hatte wohl nicht die Rechnung mit meinem westfälischen Dickschädel gemacht, nach zwei Wochen wurde ich aufgeweckt, nach zwei Monaten wurde der künstlichen Darmausgang entfernt. So wurden aus angedachten 4 bis 6 Wochen 3 1/2 Monate Krankenhaus.

Ich muss sagen, während dieser Zeit hat meine Familie, insbesondere meine Frau und meine Tochter durch ihre ständigen Besuche (mein Sohn ist räumlich zu weit entfernt, er konnte nur alle 2-3 Wochen kommen) mir einen großen Halt gegeben. Ein wesentlicher Teil meiner doch dann recht schnellen Genesung ist auch ihnen zuzuschreiben.

Nachdem ich vor der Operation schwer übergewichtig war (109 kg bei 168 cm) war nach der Operation das Essen bei mir nur noch ein „durchlaufender Posten"; ich wiege jetzt nur noch 72 kg.

Anfangs hatte ich durch das s.g. „Dumping Syndrom" nicht unerhebliche Probleme mit Durchfällen gleich nach dem Essen. Ich kannte beispielsweise zwischen Hamburg und Osnabrück bzw. Hannover und Osnabrück jeder Autobahntoilette. Hier hat mir „Lopedium", geholfen, das ich auch ohne Sorge prophylaktisch nehmen konnte und auch heute noch vor langen Flug- oder Bahnreisen prophylaktisch nehme. Auch hier kann ich die „Leidensgenossen" beruhigen: allerspätestens nach 2 Jahren hat sich auch das beruhigt.

Heute, 5 1/2 Jahre später, merke ich eigentlich nicht mehr, dass ich keinen Magen habe. Ich bin leidenschaftlicher Hobbykoch und esse nach wie vor gerne, wenn auch anders und nicht mehr so viel. Wenn sich die anderen beim Italiener ihre dicken Pizzen bestellen, bestelle ich mir eben Scampi. Ich esse also anders, aber sicher nicht schlechter als vorher. Auch darf ich dazu einen (oder auch zwei oder drei …) trockenen Wein trinken und nachher zur besseren Verdauung einen (oder auch mehrere) guten Grappa. Ein Problem habe ich jedoch mit dem Alkohol: Dadurch, dass der Alkohol nicht mehr durch den Magen geht, sondern über den Darm direkt aufgenommen wird, tritt die Wirkung schneller ein; ein Problem das man kennen muss und auf das man sich einstellen kann. Also auch hier: zwar nichts anderes aber eben etwas weniger.

Abgesehen davon, dass ich nach wie vor jedes halbe Jahr zur Nachsorge gehe (auf Jahresfrist zu gehen, ist mir zu riskant) und alle drei Monate meine Vitamin B 12 Depotspritze brauche, kann ich sagen, dass ich eigentlich, bedingt durch den radikalen Gewichtsverlust, sogar eine höhere Lebensqualität habe, als vor der Erkrankung.

Ganz im Gegenteil, wenn meine Freunde essen und jammern, wie dieses wieder auf ihre Hüften schlägt, antworte ich ihnen, dass es durchaus vorteilhaft ist, keinen Magen mehr zu haben; ich kann im Prinzip essen was ich will, die Grenzen ergeben sich von ganz allein. Das einzige, womit ich Probleme habe, ist Sahne, Schokolade oder fetter Kuchen (das war allerdings auch schon vorher nicht mein Fall, ich habe lieber dann ein Schinkenbrot gegessen).

Man kann also diesen Sachen durchaus auch positiv und humorvoll gegenüberstehen; ich bedauere mittlerweile die Leute mit Magen, die sich so an die Leine legen müssen.

Letztlich hat aber auch diese Grenzerfahrung, die ich gemacht habe, ein weiteres Stück Lebensqualität gebracht. Ich genieße mein Leben sehr viel mehr als ich es vorher gemacht habe und sollte „das böse Tier" eines Tages wirklich wiederkommen (was von den Ärzte allerdings für sehr unwahrscheinlich gehalten wird), so kann ich sagen, dass mir in den letzten Jahren eine sehr schöne Zeit geschenkt worden ist.

Deshalb liebe „Neueinsteiger" die Welt geht nicht unter ohne Magen.
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