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Alt 15.04.2010, 01:56
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Sterbehilfe - was meint ihr dazu ?

Hallo Stefan,

du hast recht, wenn du sagst, der/die Überlebende muss mit seinem Gewissen fertig werden. Er MUSS, der oder die Verstorbene nicht. Der oder die ist fein raus. Hört sich jetzt grass an, ist aber de fakto so. Eine absolut nüchterne Feststellung, sonst nichts.

Für mich als Angehörigen ist das ein ganz wichtiger Fakt. Ich selbst bin inzwischen sowohl Vollmachtgeber als auch Bevollmächtigter. Die Dringlichkeit einer Patientenverfügung wurde mit und durch den Tod meiner Frau ganz deutlich. Wir haben sie umgesetzt. Dazu waren auch Gespräche mit den Menschen nötig, welche z.B. für mich später irgendwann vielleicht die Verantwortung übernehmen müssen oder sollen. Intensive Gespräche, denn auch die Bevollmächtigten müssen sich im klaren sein, was da auf sie zukommen kann. Sie müssen sich im klaren sein, ob sie das auch durchhalten können und welche Verantwortung auf sie zu kommt. Zumindest zu dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.

Die Patientenverfügung, auch wenn sie keine spezielle Person zur Durchführung der eigenen Interessen und Wünsche benennt, ist ein Vertrag. Zu einem Vertrag gehören IMMER Zwei. In diesem Fall eben ein Vertrag mit der Gesellschaft im allgemeinen. Die Rahmenbedingungen werden/sind gesetzlich geregelt.

Erkläre ich verbindlich einfach meine Wünsche, ohne jemand spezielles als Bevollmächtigten einzusetzen, dann ist die Gesellschaft angesprochen. Die gesetzlichen Bedingungen für die Erfüllung dieser Wünsche sind gegeben und es besteht eine gewisse Rechtssicherheit für die ausführenden Personen. In diesem Falle stehen die Angehörigen, falls vorhanden, ganz klar aussen vor. Als Verfasser einer Patientenverfügung hab ich also einen gesicherten Rahmen, in welchem ich mich als Vollmachtgeber bewegen kann, ohne von irgendjemandem etwas zu verlangen, was ungesetzlich wäre. Wobei der Vertrag hinfällig wäre, wiederspräche er dem Gesetz.

Setze ich eine andere Verfügung auf, in der ich jemand ganz persönlich als Bevollmächtigten einsetze, so verhält sich das grundlegend anders. Das kann man nicht machen, ohne dessen Einverständniss. Es ist ein Vertrag, auch der Bevollmächtigte muss damit einverstanden sein. Andersrum läuft das nicht. Der Bevollmächtigte muss sich also zu diesem Zeitpunkt sehr genau überlegen, ob er solch einen Vertrag annimmt. Wie immer der auch aussehen mag. Die beiden Extreme hab ich bereits angesprochen.

Per Gesetz hat der Vollmachgeber zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, diesen Vertrag zu ändern. Das ist auch gut so. Auf der anderen Seite muss ich dann aber auch dem Bevollmächtigten zugestehen, seine Auffassung zum Vertrag zu überdenken und jederzeit ändern zu können. Er kann seine Vollmacht jederzeit abgeben. Dieses Recht muss ihm zustehen, genauso wie o.a. Recht des Vollmachtgebers. Auch diese Art der Patientenverfügung ist keine einseitige Angelegenheit.


Das gesellschaftliche Gewissen ist ihr Gesetzeswerk. Oberste Instanz für mich ist mein Gewissen. Nicht immer und überall muss es mit dem jeweilig gerade gültigen Gesetz übereinstimmen. Wenn sich also in bestimmten Situationen mein Handeln mit meinem Gewissen vereinbart, so tu ich das "reinen Gewissens". Welche gesellschaftlichen Konsequenzen das eventuell nach sich zieht, ist mir in dem Moment völlig egal und ist eine völlig andere Geschichte.

Im Gegensatz zum Sterbenden kann ich, in der Regel, als Bevollmächtigter oder auch als Nichtbevollmächtigter bis zur letzten Sekunde meine Entscheidungen vor meinem Gewissen überdenken. Ich kann(!) den Vertrag erfüllen, ihn abändern, ablehnen oder eben ignorieren. Wie gesagt: vor meinem Gewissen und in meinem Verständnis FÜR UND IM SINNE des Sterbenden.

Auch du hast nicht anders gehandelt und würdest es jederzeit wieder tun, in allen Varianten, die du bereits angesprochen hast.

Es kann jedoch nicht sein, dass da Verträge aufgesetzt werden, die absolut egoistischer Art sind, ohne auch nur im geringsten zu überlegen, welche Konsequenzen dieser Vertrag für andere haben könnte. Zumal diese Verträge ja im Vollbesitz der geistigen Fähigkeiten aufgesetzt werden. Was wiederum bedeutet: nicht nur Rechte sondern auch Pflichten!

Ich habe versucht, diesen Beitrag so nüchtern wie möglich zu schreiben, ohne Emotionen. Soweit das überhaupt geht. Ich hoffe, dass jetzt klar ist, was ich mit dem, zugegeben, provokanten "oder ...... ich gehe!" ausdrücken wollte. Selbstverständliche werde ich mit allen Mitteln versuchen, diesen Vertrag zu erfüllen. Ginge jedoch die Erfüllung des Vertrages, auch Teile davon, in der dann bestehenden Situation gegen mein Gewissen, so müsste ich mich entscheiden. Wie, brauche ich wohl nicht zu erläutern und mein Gewissen brauche ich nicht auf dieser Welt zu verantworten. Dafür gibt es eine höhere Instanz.


Einen schönen Tag wünsch ich euch

Helmut
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