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Alt 12.08.2003, 11:11
Gast
 
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Standard Angst aber auch Hoffnung

Liebe Romy,

bzgl. der Aussetzung der Immun-Chemo bis zum Vorhandensein weiterer Weichteilmetastasen kann ich Heino leider nicht zustimmen.
Es ist leider eine Tatsache, daß Knochenmetastasen ( wenn es denn eine am Schädel ist - ist für mich aus Deiner Beschreibung nicht ganz klar, ob die Metastase auf den Knochen übergegriffen hat oder ob evtl. nicht alles Weichteilgewebe entfernt werden konnte???? )von der Immun-Chemo nur sehr schlecht angegriffen werden. Aber es ist eine weitere Tatsache, daß, wenn der Primärtumor gestreut hat - und das hat er sogar dann schon, wenn "nur" in der Umgebung der befallenen Niere Lymphknoten positiv sind - Krebszellen im Körper vorhanden sind. Die Metastasierung findet entweder über die Lymphbahnen oder die Blutbahnen statt. Diese winzigsten Krebszellen (mikroskopisch klein) können evtl. wochen-, monate- oder sogar jahrelang unterwegs sein, ohne sich als sichtbare Metastase in Organen oder Lymphknoten ERKENNBAR festzusetzen. Und wenn ich Dich richtig verstanden habe, ist bei Deinem Vater jetzt zum 2. Mal ein Nierentumor in der Niere selbst festgestellt worden und zusätzlich eine Metastase am Kopf und an den Rippen, d.h. dieser Krebs HAT gestreut und es können sch durchaus weitere Krebszellen in den Blut- bzw. Lymphbahnen befinden. Und wenn dies so ist (was keiner weiss) ist es m.E. eine Frage der Zeit, wann sie sich als sichtbare Metastase "zusammengerottet" haben.
Ich will Dir damit keine Angst machen, aber es ist leider immer wieder ein Irrglaube (der von manchen Ärzten -Chirurgen-unverantwortungslos teilweise geschürt wird), daß der Patient "geheilt" ist, keinen Krebs mehr hat, weil ja der Tumor und die Metastasen vollständig chirurgisch entfernt wurden. Mit dieser Methode ist man zwar ein ganzes Stück weiter, aber leider immer noch nicht auf der "sichereren = geheilten" Seite. Jetzt beginnt die Tumornachsorge, die gleichzeitig auch Vorsorge ist oder sein sollte. Und dazu gehört m.E., daß der Organismus geschult werden muß, um Krebszellen zu erkennen und zu eleminieren. Denn nur so kann verhindert werden, dass weitere Metastasen auftreten.
Es ist richtig, daß man bei vielen Krebserkrankungen, die nach Primärtumor- und Metastasenchirurgie derzeit keinen weiteren Nachweis für das Vorhandensein von weiteren Metastasen bringen, sicherlich nicht zu diesem Zeitpunkt mit einer hochagressiven Chemo-Therapie arbeiten würde. Aber selbst in diesen Fällen wird häufig sicherheitshalber eine "leichte" Chemotherapie oder Bestrahlung gemacht.
Der Nierenkrebs ist ganz anders geartet. Hier hilft eine übliche Chemotherapie alleine nicht. Die Hauptbestandteile der Immun-Chemo-Therapie (Interferon und Interleukin) sind körpereigene Substanzen, die das Immunsystem "schärfen". Diese Substanzen sorgen dafür, dass bestimmmte Zellen des weißen Blutbildes vermehrt aktiviert werden, Krebszellen im Körper erkennen und diese durch körpereigene Abwehr ausrotten.
Und das angestrebte Ziel ist letztendlich, Metastasen (wenn vorhanden) und auch kleinste Krebszellen restlos zu entfernen.
Oder zumindest weitestgehend in "Schach zu halten".
Aus dem Grunde ist es wichtig, die körpereige Immunabwehr, auf die die Immun-Chemo beim Nierenzellkarzinom gerichtet ist, möglichst frühzeitig einzusetzen, wenn ein Tumor gestreut hat.

Auch bei meinem Mann Jürgen sind z.Zt. Metastasen nicht 100%-ig nachweisbar. Es gibt kleinste Veränderungen in der Lunge, die Metastasen sein könnten - aber auch durchaus andere Gründe haben könnten. Aber der Tumor hatte mit Sicherheit gestreut: Bei der Entfernung der 1. Niere war ein Lymphknoten in der Nierenumgebung von Tumorzellen befallen (obwohl der Tumor in der Niere NICHT seine Hülle überschritten hatte). Damit hatte der Tumor Anschluß an das Lymphsystem und konnte über die Lymphbahnen seine Zellen streuen, die sich ( wie kürzlich festgestellt wurde ) in einem Lymphknotenpaket im Mediastinum als Metastase festgesetzt hatten. Diese wurde operativ entfernt. ( Das für uns erfreuliche Ergebnis hatte ich Dir glaube ich schon mal geschrieben). Wir MÜSSEN also davon ausgehen, daß weitere Krebszellen (noch nicht als Metastase erkennbar) in Umlauf sind. Aus diesem Grund stecken wir in einem weiteren "Akut-Kurs" (8 Wochen) Immun-Chemo.

Ich betone an dieser Stelle "Akut-Kurs 8 Wochen", da die Schulmedizin mittlerweile nicht nur ein, zwei oder drei 8-Wochenkurse insgesamt durchführt und dann aufhört, wenn nichts mehr (keine Metastasen) nachweisbar ist. Auch bei Nicht-Nachweis von Metastasen (hier würde der Laie jetzt von Heilung sprechen) wird die Immun-Chemo-Therapie als "Erhaltungstherapie" in gewissen Abständen über dann nur noch jeweils 5 Tage fortgesetzt. Man hofft, daß ein Fortschreiten der Erkrankung nicht mehr eintritt und man dann nach Jahren der Tumorfreiheit auch die Erhaltungstherapie absetzen kann und von Heilung sprechen kann.

Auch in der Altenativ-Medizin (Mistel) scheint man so zu verfahren. Wie ich von Rudolf gelesen habe, wird er die Mistel wohl lebenslang weiterspritzen, obwohl er seit geraumer Zeit keinen Tumornachweis mehr hat.

Ich gebe Dir völlig Recht, dass es ungemein wichtig ist, dass Dein Vater an etwas "glauben" muß. Egal, welche Therapie er macht, muß er "hinter" dieser Therapie stehen, und das von ganzem Herzen. Es nützt nichts, eine Therapie über sich "ergehen" zu lassen ohne von ihr überzeugt zu sein. Vielleicht braucht er dazu noch Zeit und vor allen Dingen noch menschlich gute Gespräche mit Medizinern. Er hat ja leider hier etwas sehr, sehr Negatives erlebt, was sein Vertrauen in die Medizin nicht gerade stärken kann! Vielleicht hilft es Euch, wenn Ihr Euch eine weitere ärztliche Meinung einholt, bei einem onkologisch geschulten Urologen. Ich weiß nicht mehr, wieviele Ärzte wir im vergangenen Jahr konsultiert haben, bis wir letztendlich einen Entschluß gefasst haben, welche Therapiemassnahme jetzt durchgeführt werden soll. Es waren etliche. Und die Zeit sollte man sich auch nehmen, auch wenn es schwer fällt.

Du fragst, ob wir alternative Methoden ganz ablehnen. Nein, das tun wir persönlich nicht, wenn Du damit unterstützende Massnahmen meinst, die auch sinnvoll und seriös sind. Ich betone dies absichtlich so, da auch auf diesem Gebiet vieles angeboten wird, das mit Alternativmedizin jedoch nichts mehr zu tun hat, sondern nur noch mit Geschäftemacherei mit Schwerkranken und falschen Heilungsversprechen und Hoffnungen hoffnungsloser Patienten. Auch wir haben uns seinerzeit mit dem Thema "Mistel" beschäftigt, die ich auch in der Schulmedzin als sinnvolle Ergänzung bei vielen Krebserkrankungen kennengelernt habe. Leider ist sie in Verbindung ( = zusammen ) mit der Immun-Chemo kontraindiziert. Wir mussten uns also entscheiden, ob Immun-Chemo ODER Mistel. Und da muß ich sagen, daß unser persönlicher Weg zunächst eher Vertrauen zu randomisierten Studien hatte, die bie der Immun-Chemo NACHWEISBARE Erfolge mit 30 bis 40 % aufweisen konnte. In der Alternativmedizin gibt es leider "nur" Erfahrungswerte, oder "Studien", die ganz anders durchgeführt werden als in der Schulmedizin. Und ich persönlich habe die Mistel immer nur als therapiebegleitende Massnahme erlebt. Auch ein anderer Aspekt hat bei uns seinerzeit zu der Entscheidung geführt, mit der Immun-Chemo zu starten. Ich wußte bereits aus meiner Klinikerfahrung, daß die Immun-Chemo NUR bei kräftigen Patienten in sehr gutem bis gutem Allgemeinzustand durchgeführt werden kann. Eine Therapie bei einem Patienten, dessen Zustand nicht besonders gut ist, halte ich für unverantwortlich. Wir wollten deshalb nicht das Risiko eingehen, daß aufgrund einer Zustandsverschlechterung durch fortschreitende Erkrankung evtl. auch unter Mistel eine Immun-Chemo-Durchführung unmöglich macht. Aber das ist nur unsere ganz persönliche Meinung.Die Mistel und auch weitere schulmedizinische Therapiemassnahme (Tumorimpfung mit dentritischen Zellen - noch in Versuchsreihe) sind nach wie vor als Alternative in unseren Köpfen. Ich kann Dir auch nicht sagen, ob unser Weg der "Richtige" ist. Ich werde auch nie versuchen, jemanden zur Immun-Chemo-Therapie zu drängen. Ich kann Dir nur eines sagen: Es gibt die Möglichkeit Immun-Chemo, evtl. die Möglichkeit Tumorimpfung mit dentritischen Zellen, es gibt die Mistel.WIR haben uns nach reiflichen Überlegungen für die Immun-Chemo entschieden. Wie es momentan aussieht(s. Lymphknoten-Metastase) ist das z.Zt. für uns der richtige Weg. Ob das immer so bleibt, wird die Zeit zeigen. Rudolf hat sich nach (denke ich) reiflichen Überlegungen für die Mistel entschieden - mit Erfolg. Wie EUER Weg ist, könnt nur Ihr selbst entscheiden. Nehmt Euch die Zeit für dementsprechende Überlegungen, konsultiert mehrere Ärzte und holt Euch deren Meinung ein und überlegt dann neu. Das ist der einzige Rat, den ich Euch dazu geben kann.

Ich habe jetzt eine fürchterlich lange Abhandlung geschrieben - so lang sollte sie gar nicht werden. Hoffe aber trotzdem, daß ich Dir ein wenig mehr Wissen vermitteln konnte und Dich nicht total verunsichert habe.
Liebe Grüße an Dich und Deinen Vater
Ulrike
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