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Alt 05.12.2005, 12:53
Monika D Monika D ist offline
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Registriert seit: 28.11.2005
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Standard AW: komm' nicht mehr raus....

Liebe Jule,

es tut mir so leid, dass du da in deinem Loch sitzt und keinen Ausweg mehr siehst. Auch ich kenne diese Situation zu genau. Ich bin heute 41 Jahre alt und vor etwa genau 10 Jahren stellte man bei meinem Papa Bauchspeicheldrüsenkrebs fest. Er wurde operiert und keiner aus der Familie wollte eigentlich wissen, wie es denn nun weitergehen wird. Mein ältester Bruder meinte: "der ist zäh, der schafft das schon", der 2. Bruder verkroch sich und wollte gar nichts darüber hören, meine Mutter meinte: "er ist operiert und alles kommt in Ordnung" und ich ging zu seinem Arzt und erfuhr dann eigentlich das, was ich gar nicht wissen wollte - es war Ende März - und er würde das Jahr nicht überleben. Ich konnte es einfach nicht fassen und keiner wollte mit mir reden. Einfach der blanke Horror. Ich kannte nun die Diagnose und zählte auf einmal rückwärts.

Ich entschloss mich, jede freie Minute mit meinem Vater zu verbringen, egal wo er sich aufhielt (ob Krankenhaus, zu Hause oder sonstwo). Jeden Abend fuhr ich nach der Arbeit zu ihm, rieb ihm den Rücken ein, aß mit ihm oder erzählte ihm von der Arbeit etc. Meine damalige Beziehung drohte ebenfalls daran zu zerbrechen. Mein Mann teilte mir mit, dass er mich ja gar nicht mehr zu Gesicht bekäme und die Beziehung doch eigentlich schon gar keine mehr sei. Ich muss ganz ehrlich sagen, liebe Jule, da entbrannte in mir solche eine Stärke und ich sagte nur: "weißt du, da ist mein Vater und der wird in diesem Jahr sterben. Das heißt, ich werde so viel Zeit mit ihm verbringen, wie ich und er braucht und wenn dir das nicht passt, dann zieh ich eben aus. Dies ist mein Vater und für ihn werde ich alles tun." Mein Vater starb dann am 03.11.1995 und bis heute weiß ich, dass diese Entscheidung, so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen, die absolut richtige war. Nie hatte ich anschließend das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben oder etwas verpasst zu haben. Ich war halt immer für ihn da.

Vor ca. 6 Wochen ist nunmehr mein Bruder (44 Jahre) an Lungenkrebs erkrankt und auch er wird nicht mehr lange zu leben haben. Auch hier versuche ich, jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen, meine Zeit mit ihm zu verbringen.

Ich kann dir nur einen guten Rat geben, nutze deine Zeit mit deiner Mutter. Sei für sie da, wann immer es sein muss. Es ist immer sehr schwer, wenn man einen geliebten Menschen verliert. Aber diese Zeit, die euch noch bleibt, ist auch eine Zeit zu lernen loszulassen. Du solltest später nie einmal das Gefühl haben, dass du hättest etwas anders machen können. Ich glaube nämlich, dass man dann noch mehr daran kaputtgeht. Also nutze jetzt eure Zeit und genieße jeden Tag. Saug alles in dich auf, denn dies sind nachher die Sachen, die dir Kraft geben werden, an die du dich erinnern wirst. Natürlich wirst du sie vermissen, aber du weißt, dass du alles für sie und für dich getan hast.

Alles alles liebe und gute für dich und deine Mama.

Gruß Monika
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