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Alt 23.11.2005, 10:02
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Kerstin63 Kerstin63 ist offline
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Standard AW: Mein kleiner Bruder

Hallo Marco,

offenbar haben alle Trauernden, egal welchen Alters und woher sie auch immer kommen, immer wieder die gleichen Erlebnisse. Die Umwelt ist häufig entweder hilflos oder gleichgültig. Wenn ich gerade nicht sauer darüber bin, versuche ich den anderen zugute zu halten, dass es "nur" Hilflosigkeit ist.

Leider habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass in so einer schweren Zeit sich manche vermeintliche Freunde richtig abwenden. Aber was soll man machen? Hilft uns der Groll irgendwie weiter? Ich versuche inzwischen, nicht mehr so wütend zu sein und lieber etwas nachsichtig. Es gibt auch Menschen von denen ich "mehr" erwartet hätte und die mich bitter enttäuscht haben und denen ich (noch?) nicht verzeihen kann, dass sie mich allein gelassen haben bzw. auch meinen Vater als er noch lebte. Mein Vater ist am 13.6.04 gestorben. Sogar gegenüber meinem Bruder und meiner Mutter kann ich nicht über meinen Vater reden, weil er in 2. Ehe verheiratet war uind beide dies nie akzeptieren konnten und es schon vor dem Tod meines Vaters zu Streit darum kam, wer zu wem hält und wer welche "Rechte" an ihm hätte.... Na egal, auf jeden Fall gehört es zu meinen bittersten Erfahrungen dass meine Familie sich in der schwersten Zeit so entzweit hat. Anstatt zusammen zu halten.

Viele Themen die mich seitdem beschäftigen kann ich nur mit ganz wenigen Menschen überhaupt besprechen, kaum jemand will über Krankheit und Tod und Sterben hören, nicht mal über Grabpflege oder sowas... das ist das absolute Tabu, anscheinend.... wenn ich Freundinnen (?) erzähle was ich für Pflanzen für den Garten aussuche, dann hört jeder zu, aber wenn ich das gleiche übers Grab erzähle und was ich da plane dann ist betretenes Schweigen und keiner sagt mal wenigstens "oh das sieht bestimmt schön aus....".

Aber ich muss ehrlicherweise sagen, dass ich auch aufgrund meiner Erziehung immer grosse Probleme mit Friedhöfen hatte (es gab bei uns keine "Friedhofskultur", habe ich jetzt für mich selbst entdeckt), mit Tod und all dem. Wenn bei uns in der Familie jemand starb dann war der/die immer nur plötzlich weg, in meiner Kindheit wurde das immer ganz fern von uns gehalten. Wenn es dann später in der Nachbarschaft oder im Kollegenkreis einen Todesfall gab, war ich auch immer sehr unbeholfen und habe im Zweifel wohl auch die Flucht ergriffen.

Es gibt offenbar nicht viele Menschen, die einen da begleiten wollen und können. Es gibt bestimmt Menschen, die das auch können OHNE so einen Verlust erlitten zu haben. Aber die meisten lernen es vielleicht erst wenn sie selbst betroffen sind, so wie ich. JETZT würde ich nicht mehr ausweichen. Aber das musste ich auch erst lernen. Also denke ich, darf ich mir nicht erlauben die anderen zu verurteilen, im Gegenteil denke ich oft beschämt an Situationen in denen ich so steif und unbeholfen weggekuckt habe. Bei einer ehemaligen Kollegin habe ich mich inzwischen deswegen entschuldigt. Aber damals konnte ich es offenbar nicht besser.

Ich weiss nicht, ob Dir das jetzt irgendwie weiter hilft. Du stehst nicht allein da mit diesem Problem.... Natürlich kotzt es einen auch oft genug an (ich denke ich höre mich jetzt auch vesrtändnisvoller an als ich es oft empfinde), aber ich VERSUCHE es zu akzeptieren. In der ersten Zeit hat mir vor allem mein Therapeut enorm geholfen, weil ich bei dem alles immer und immer wieder loswerden konnte....

Wenn Du 1 oder 2 richtig gute Freunde hast, versuch doch noch mal es anzusprechen wie wichtig das für Dich ist... dass dein Bruder nicht vergessen ist, dass es wichtig ist über ihn zu reden und über die Trauer... vielleicht schafft es der eine oder andere ja doch, sich zu öffnen.

Dieses Gedicht hat mir eine Freundin geschickt die auch trauert, weiss nicht von wem es ist, hat mir aber sehr gut gefallen.

MEINE BEIDEN GESICHTER

Geht es Dir gut,
werde ich gefragt
im Vorübergehen.
Doch, gut, sage ich
und zeige
das passende Gesicht;
mein gutgehendes Gesicht

Mein anderes Gesicht
verberge ich liebevoll
unter meiner Kleidung.
Zuhause ziehe ich mich
aus.
Dann darf es
seine Trauer tragen

......................

Alles Gute
Kerstin
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