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Alt 30.07.2007, 23:37
ulla46 ulla46 ist offline
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Standard AW: Das Leben nach der Erkrankung in all seinen Aspekten

Liebe Irmgard,
ich finde dieses Thema sehr interessant, da ich mich selbst auch immer wieder frage, wie es anderen wohl nach Abschluss der Therapien geht, was sich ändert usw.
Ich versuche also mal auf einige deiner Fragen einzugehen. Grundsätzlich kann ich sagen, dass in meinem Lebens fast nichts mehr so ist wie vor der Krankheit, was aber nicht negativ ist! Mir war sehr schnell klar, dass ich in dem Falle, dass ich das alles überleben würde, vieles ändern würde. Ich hatte ja im KH Zeit genug darüber nachzudenken, warum mein Immunsystem wohl so versagt hat. Was hat mich so belastet? Ein Hauptübeltäter war schnell gefunden: Stress. Ich bin freiberuflich tätig, war viel unterwegs, musste mich immer um Aufträge bemühen usw. Das alles hat mir aber Spass gemacht, deshalb habe ich das nicht als belastend empfunden, nur mein etwas erhöhter Blutdruck sprach eine andere Sprache. Als Konsequenz habe ich meine berufliche Tätigkeit sehr stark eingeschränkt, anfangs auch notgedrungen, da ich durch mein "Chemohirn" für einen Text erschreckend viel länger brauchte als vorher. Das 2. war die Trennung von einem alkoholkranken FReund, der mich mit seiner ewigen Lügerei und was sonst so alles mit Alkoholismus zusammenhängt, über Jahre zur Verzeiflung gebracht hat. Ich habe mir prof. Hilfe geholt, um das zu bewältigen.
Psychologisch hat mir sehr geholfen, dass ich immer Tagebuch geführt habe (daraus wird bald eine Homepage) und eine private "Selbsthilfegruppe" von FRauen, die auch gerade eine Therapie beendet hatten.
Im ersten Jahr hatte ich, nachdem es zuerst in jeder Beziehung steil bergauf ging, jede Menge körperlicher und seelischer Probleme. Alles kreiste eigentlich um die Angst vor einem Rezidiv. Geholfen haben da die Gespräche mit den anderen betroffenen Frauen, denen es genauso ging und die Ablenkung mit meinem Enkelkind. In den eher "schwarzen" Zeiten habe ich mich sehr zurückgezogen, viel gelesen, spazieren gegangen usw. und gewartet, dass diese Zeit vorbei ging. Außer Geduld hat mir da nichts geholfen und bei gut gemeinten Ratschlägen bin ich aggressiv geworden!. Aber das waren manchmal schon sehr heftige Durchhänger! Heute ist die Angst vor einer neuen Erkrankung zwar da, aber sehr im Hintergrund, da ich wenig Beschwerden habe, die mir Angst machen könnten. Ich kann alles essen, sehr langsam natürlich. Sehr selten ( wenn ich mal hastig geschluckt habe) bleibt mal ein Stückchen hängen, das dann nicht runter, aber auch nicht oben raus will. Das ist unangenehm, aber es geht ja irgendwie vorbei.
Sichtbare Folgen der Strahlentherapie ist mein "Schlaffhals", also da bin ich um 20 Jahre gealtert!
Zu den Änderungen in meinem Leben gehört auch, dass ich mir keine großen Ziele mehr stecke, nichts großartig plane, sondern die Dinge auf mich zukommen lasse. Da ich jetzt nur noch wenige Verpflichtungen habe und Single bin, kann ich das tun, worauf ich gerade Lust habe und das ist ein echter Luxus.
Ein absoluter Lichtblick ist mein Enkelkind, das mir mein Lachen wieder geschenkt hat. Ich verbringe viel Zeit mit ihr, was mir sehr viel Sinn und Glück schenkt. Dagegen habe ich Probleme bei Geselligkeiten, die ich früher sehr geliebt habe. Nach etwa 2 Stunden kommt bei mir ein Punkt, wo ich alles nur noch als anstrengend empfinde und mich verdrücke, wenn es geht. Kennt das auch jemand??? MIch irritiert es. Auch so mancher Kleinkram im Haushalt fällt mir recht schwer und so insgesamt gesehen fühle mich schon so um 10 Jahre gealtert.
Was ich als sehr positiv empfinde, ist, dass meine Familie sehr viel enger zusammengerückt ist. Sie ist mir auch viel wichtiger geworden.
Mitterweile sind seit der Diagnose ja mehr als zwei Jahre vergangen. Mein Optimismus hat sich wieder gemeldet und ich danke Gott jeden Abend dafür, dass ich soviel Glück im Unglück hatte und das bitte noch lange anhalten möge.
So, das fiel mir zum THema ein und ich hoffe, es ist nicht zu wirr!
Ulla
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SPK 2005, ED T4, Nx, Mx, G2. Chemo und anschl. Chemoradiatio bis Ende 2005. Seitdem ohne Befund.
www.mein-krebs.de
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