Einzelnen Beitrag anzeigen
  #1  
Alt 30.03.2008, 23:33
Fahrradklingel Fahrradklingel ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 05.12.2006
Ort: Kassel / Darmstadt
Beiträge: 84
Standard Das langsame Abschiednehmen - Glioblastom IV

Liebe Leute,

ich poste ja hier schon eine ganze Weile mit, und einige hier kennen mich ja auch schon ;-) Ich dachte, nun mal einen eigenen Thread zu eröffnen, in dem ich über unsren Weg mit meinem Vater berichte.

Mein Vater hat seit November 2006 ein Glioblastom, er ist 70 Jahre alt und lebt gemeinsam mit meiner Mutter im Großraum Stuttgart. Ich bin 29 und wohne / arbeite in Darmstadt und Kassel. Also nicht ganz um die Ecke aber glücklicherweise einigermaßen flexibel.
Das Glioblastom meines Vaters sitzt im Sprachzentrum, das bei ihm ausnahmsweise in der rechten Gehirnhälfte liegt, daher hat es sich anfangs v.a. in Form von Wortfindungsstörungen bemerkbar gemacht. Im Dezember 2006 wurde er in Tübingen (Crona-Kliniken / Uniklinik) erfolgreich operiert und 30x bestrahlt. Leider bildete sich schon im März 2007 ein Rezidiv. Mein Vater hat bis Dezember 2007 Temodal genommen (wöchentlich wechselnd eine Woche Temodal / eine Woche keines); das hat er sehr sehr gut vertragen, aber leider sind dann einige Tumorzellen resistent geworden, sodass er es nicht länger nehmen konnte. Im Dezember hatte er daher 4 hypofraktionierte Bestrahlungen mit dem Linearbeschleuniger; eigentlich ein recht erfolgreiches Verfahren, aber bei ihm hat es nichts genützt. Seit März macht er daher die nächste Chemo mit ACNU, und hat am Freitag die zweite Infusion bekommen. Dummerweise hat er seit etwa 2 Wochen ein beträchtliches Hirnödem, durch das massive Sprach- und Bewegungsstörungen aufgetreten sind. Dagegen nimmt er Fortecortin (d.h. Cortison, zur Zeit 12 mg) und auch die wohlbekannten Weihrauchkapseln, was bisher immer geholfen hat, nur gerade scheint der Erfolg nur sehr langsam vonstatten zu gehen. Sprechen geht fast gar nicht, und über die linke Körperhälfte hat er wenig Kontrolle; auch ist er was zielgerichtetes Handeln oder Entscheiden angeht nicht ganz klar und manchmal ganz schön stur. Das ist nun die aktuelle Situation, leider eine ziemlich beschissene, weil Verständigung so schwer geworden ist, weil er körperlich zusehends auf Hilfe angewiesen ist und natürlich weil mein Vater sehr sehr traurig ist (mit einigen heiteren Momenten). Gesten will er nicht so gern benutzen, und mein nächster Versuch wären Symbolkarten, wie sie in der Sonderpädagogik eingesetzt werden (wen's interessiert, ich schaue mir gerade v.a. das PECS-System an).

Im Grunde bin ich ja dankbar, dass viele der vergangenen MOnate ein großes GEschenk waren, dass bei einem Glioblastom ja nun alles andere als selbstverständlich ist. Der Sommer und Herbst 2007 waren sehr sehr schön, mein Vater konnte wieder mit seinen Kollegen Volleyball spielen, radfahren, Gartenarbeit machen, und sich weitgehend verständigen. Es war eine lange stabile und für Wochen auch sorgenfreie Periode, die seit Anfang des Jahres nun vorbei ist. Natürlich frage ich mich, was die nächsten Schritte auf unserem gemeinsamen Weg sind. Ob noch eine andere Chemo in Frage kommt und in Sachen Lebensqualität sinnvoll ist, was das nächste MRT Anfang Mai bringt, wie meine Mutter den Alltag bewältigt bekommt, wie wir drei es schaffen, gut miteinander umzugehen und den Bedürfnissen meines Vaters gerecht werden können, aber auch für uns selbst genug Stärke und Gelassenheit finden. Ich bin auf jeden Fall sehr froh über dieses Forum hier, das habe ich in den vergangenen 15 Monaten noch nicht oft genug gesagt, und ich danke allen, die dafür gesorgt haben und sorgen, dass man sich hier mit all seinen Gedanken, Grübeleien, Fragen und Ängsten aufgehoben fühlen kann.

Viele liebe Grüße
Fahrradklingel
Mit Zitat antworten