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Alt 03.08.2008, 12:13
estella estella ist offline
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Registriert seit: 25.04.2007
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Standard AW: Verzweifelt, traurig und wütend

Meine Lieben,

ich habe mich lange nicht gemeldet, denn es ist kaum ein Tag vergangen,an dem ich nicht völlig erschöpft ins Bett gegangen bin. Meinem Vater geht es sehr schlecht. Seit einigen Tagen liegt er in der Onkologie des Virchows, er kann seit ca 2 Wochen nichts essen und trinken, wird über den Port ernährt, hat Schmerzen und bekommt Morphium. So weit die Kurzfassung. Dem Einzug ins KH waren viele Tage vorangegangen, in denen mein Vater leugnete Schmerzen zu haben. Er nahm dramamtisch ab, weil er mir gegenüber verheimlichen konnte, wie wenig er ißt und dass er sich ständig übergibt.
Mein Onkel Angel ist mal wieder hier, um bei ihm zu sein. Eigentlich eine große Hilfe, aber leider hat er die Strategie meines Vaters, meinem Bruder und mir "etwas vorzumachen" unterstützt. Meinem Vater kann man sein verhalten nicht vorwerfen, denn er will uns schonen, er will nicht, dass wir leiden. Aber mein Onkel hätte uns gegenüber ehrlicher sein können - dann hätte ich eher gemerkt, dass die Schmerztherapie nicht richtig eingestellt war.
Irgendwann einmal, als er kaum noch aus dem Bett kam (und mein Onkel immer noch zu mir meinte, meinem Vater gehe es gut), war sein Zustand klar und ich ließ sofort einen Notarzt kommen und ihn ins Virchow bringen.
Der zweite Zyklus der Chemo, wurde ausgesetzt. Ein CT zeigte, dass der Tumor erheblich gewachsen ist und gegen die Speiseröhre drückt.
Eine ziemlich unsensible Ärztin meinte gestern (im Beisein seines Zimmergenossens!!!!!!), dass er ca 6-8 Wochen hätte. Dass eine weitere Chemo keinen Sinn macht. Zu mir meinte sie, ob ich mich schon um einen Platz in einem Hospiz gekümmert hätte, die Wartezeit wären 6-8 Wochen und da sollte ich mich sputen...ich war wie versteinert. Nicht nur, weil der Inhalt einen, bei aller Gedanken, die ich mir schon gemacht hatte, trotzdem völlig aus der Bahn wirft, sondern weil ich nicht fassen konnte, wie man als Ärztin so wenig gesunden Menschenverstand besitzen kann.
Bisher hatten wir mit allen Ärzten viel Glück, auch mit dem Pflegepersonal. Nur nette, warme Menschen, doch ausgerechnet jetzt, wo liebevolle Zuwendung extrem wichtig ist, muss eine so blöde Kuh Dienst haben!!!
Sein Onkologe ist in Urlaub, er hat mir allerdings seine Handy Nr. gegeben, um ihn im Notfall zu erreichen.
Bevor er fuhr mobilisierte er "seinen" HOME CARE Arzt, so dass mein Vater von Zuhause aus versorgt werden kann. Home Care kümmert sich auch um die Auswahl des Pflegedienstes.
Mein Onkel hat angekündigt, dass er sobald alles geregelt ist nach Spanien zurückkehrt. Er hat lange nicht akzeptieren wollen, wie krank mein Vater ist. Jetzt erträgt er kaum den Gedanken, dass mein Vater sterben wird.

Meinem Bruder und mir geht es zwar genauso, aber damit die Zeit, die er hat, erträglich bleibt, muss viel organisiert und abgestimmt werden.

Mein Vater "packt" sie Sitution wie seine ganze Krankheit bewundernstwert gut: er ist ruhig, er will nicht, dass wir traurig sind (also "hübsche" ich mich so viel es geht auf, um so nett wie möglich auszusehen), er will die Kinder sehen, aber nach einiger Zeit merkt man, dass er ermüdet und der Lärm ihn stört. Er ließt immer noch viel, aber er döst viel vor sich hin. Seine Gedanken wandern ab und er erzählt von seinen Eltern , von seinen Reisen durch Lateinamerika, von unserer Kindheit. Abders als bisher, hat mein Vater angefangen Abschied zu nehmen - ohne dass er ein Wort über seine Tod verliert.

Meine Mutter ist hier, denn mein Sohn kommt erst jetzt in den Kindergarten, unsere Nanny ist für drei Wochen in Urlaub und ausgerechnet jetzt muss ich zwei Projekte, an denen ich ein Jahr gearbeitet hab zuende bringen. Ein Projekt übernimmt ein Kollgege, das andere aber ist eng an mich gebunden. Ohne meine Mutter ginge gar nichts mehr, denn sie bekocht uns und passt auf Pablo auf.

Nächste Woche kommt mein Onkel der Mönch , dann Adrian, dann mein Bruder,der mit seiner Familie in Urlaub gefahren ist und entsetzlich darunter leidet, nicht hier zu sein. Mein Vater hat ihm verboten aus dem Urlaub zurückzukehren. Irgendwie haben wir alle nicht geglaubt, dass er so schnell abbauen würde - selbst mein Bruder nicht.

Ich bin völlig überlastet. Seit einigen Tagen hab ich ein Pfiepsen im Ohr, Tag und Nacht und ich hoffe, dass ich keinen Tinitus hab, sondern dass es mit der heftigen Sommergrippe, die mich ereilt hat in Verbindung steht.

Allen liebe Grüsse,

alicia
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