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Alt 07.01.2009, 18:58
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Tine70 Tine70 ist offline
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Registriert seit: 28.06.2008
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Standard AW: Meine Schwester hat BSDK

Guten Abend,

es ist so kalt...jetzt ist es richtig Winter geworden und ich bekomme noch nicht mal die Gedanken des letzten Sommers aus dem Kopf, die Diagnosestellung, die Hoffnung in eine Whipple-OP, die Fahrten in die Klinik....das hat sich alles eingebrannt und wenn ich die Nummer der Zapfsäule, an der ich getankt habe, auf dem weg zur Kasse schon wieder vergesse, so habe ich die letzten Monate haarklein vor Augen, es lässt mich nicht los...
Vorgespräch war grenzwertig, es gibt wohl durchaus Bedenken bezüglich einer Vollnarkose und weiter kann und will ich gerade nicht denken. Habe meine Tochter bei Freunden angekündigt und werde mich freitag den lieben langen Tag in dieses Krankenhaus setzen, hoffen, beten und was weiß ich noch tun. Meine Mutter ist am Rande, sie hat ihre Mutter aufgrund einer Krebserkrankung verloren, als sie 12 war- und nun verliert sie jeden Tag ihren Mann ein bisschen mehr...Ich kann nur erahnen, was sie durchmacht und was in ihr vorgeht und ich kann einfach nur da sein und sie stützen. Sie hat, als ich ihr sagte, dass ich Freitag mitkomme, nicht mal widersprochen. sonst kamen da immer Antworten wie "Du hast eh so wenig Zeit, geniße deinen Urlaub" usw.- und dieses Mal kam kein Gegenargument...
Oh Mann, ich hab solche Angst vor Freitag, überhaupt Angst vor dem, was kommt...


Ja, ich kann sehr gut verstehen, was dich so startet bezüglich des Verhaltens deiner Schwester. ich gehöre ja auch zu den Menschen, die alles genau wissen müssen, um klar zu kommen und alle Eventualitäten besprechen müssen, um sich auf alles einstellen zu können. Fakt ist, BSDK ist eine Krankheit, die sehr, sehr ernst ist und bei der ganz häufig sämtliche Therapien erst gar nicht anschlagen oder aber irgendwann nicht mehr druchführbar sind. Das sind unumstößliche Tatsachen. Was wir haben, ist die Hoffnung, die ja auch in mnachen Fällen durchaus berechtigt ist und die wir haben müssen, weil wir sonst leider wahnsinnig werden.
Ich vermag mir aber gar nicht vorzustellen, wie es in einem Menschen aussieht, der diese Krankheit hat:Wenn ich mir vorstelle, ich muss in betracht ziehen, meine Tochter nicht mehr aufwachsen zu sehen, die Route 66 nicht mehr von Küste zu Küste im Cabriolet mit ihr fahren zu können,meine Freunde, meine Familie nicht mehr zu sehen, weil ich im schlimmsten Fall leider nicht mehr lange leben werde- das ist an Grausamkeit nicht zu überbieten. Mein Stiefvater stellt keine Fragen. Er spricht nicht darüber, kein Wort. Er will nicht wissen,was die Untersuchungen ergebne haben. Gar nichts.ich bin damit auch erst nicht klar gekommen, doch ich fange an zu verstehen, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was ich als Angehörige wissen will und dem, was einer als Betroffener ertragen kann.
Wenn deine Schwester auf keinen Fall hören will, dass die Chemo nicht anschlagen könnte, keine befunde lesen will, dann weil sie Angst hat, sich mit ihrer eigenen Sterblichkeit zu befassen. Ich denke, sie kann diese Angst und diesen Druck nicht ertragen,leider ergeben Angst und Druck häufig Aggression, und weil es ein ventil geben muss- dann ist sie natürlich, weil extrem angefressen, ausgerechnet denen gegenüber am ungerechtesten, die sie am meisten lieben...Verstehst du, was ich meine? Ich dürfte meinem Stiefvater gegenüber nie erwähnen, dass die Chemo nicht so gut gegriffen hat, als das sie eine weitere Metastasierung verhindert hätte- das würde er nicht verkraften. Ich denk, er spürt es ja auch, aber er will es nicht wissen und das muss ich im Moment so hinnehmen.Um meinen Anspruch geht es nicht. Manche Patienten wollen alles wissen, manche verdrängen, wo es nur geht, weil sie es nicht ertragen können und sich deshalb nur darauf fokusieren, dass alles wieder gut wird, weil die andere Möglichkeit zu unerträglich ist.Schmerzhaft, dass du diejenige bist, die gerade allen hilflosen Zorn abbekommt, weil sie sich engagiert und nachfragt und das mit den Spannungskopfschmerzen kenne ich nur zu gut... die letzten Nächte gingen nur mit Muskelrelaxansen, die machen soooo schön locker und müde...

Ach liebe Queeny, wie sehr wünsche ich mir manchmal ein bisschen Sorglosigkeit, wie gerne würde ich morgens mal wieder aufwachen, ohne sofort daran denken zu müssen... ich hoffe, ich habe die von dir geschilderte Problemtaik richtig verstanden, ich erhebe da keinen Anspruch auf Gültigkeit, ich versuche nur, zu verstehen.Ich dneke, letztendlich weiß deine Schwester, was sie an dir hat und vermutlich ist sie dermaßen auf ihr Ding konzentriert, dass sie gar nicht wahrnimmt, wie weh sie dir tut, wenn sie verbal um sich schlägt. Vielleicht kommt ein guter Moment, in dem du ihr sagen kannst, dass das, was du tust, nur aus Sorge um sie geschieht und du weit davon entfernt bist, ihr die Hoffnung nehmen zu wollen, aber einer eben auch die Fakten berücksichtigen muss, um adäquat handeln zu können und es dir, obgleich du gesund bist, verdammt nochmal auch weh tut!Und Hilfe von außen wird sie annehmen müssen, wie soll man denn mit sowas alleine klar kommen? Das kann sie nicht und wird sie auch eigentlich nicht wirklich wollen!Ich denke, die Akzeptanz dieser Diagnose ist ein sehr langer prozess- insofern es pberhaupt möglich ist und man da von Akzeptanz reden kann. Ich stelle an mir fest, dass ich nun zwar sehr viel weiß, es aber einfach nicht hinbekomme, auf uns zu transferieren. Die Schutzmechanismen greifen manchmal verdammt gut...

So, das war das Wort zur guten Nacht,Tippfehler werden bitte ignoriert...
Ich wünsche dir, dass du es dir nicht zu sehr zu Herzen nimmst, denn angst haben wir alle, der unterschied ist nur, wovor (hat mal ein schlauer mensch gesagt...).
Und ich wünsche dir noch mehr, dass deine Schwester in all ihrem Zorn und ihrer Ungerechtigkeit am Ende sogar noch recht behält und wieder gesund wird!!!!

Lass dich auch virtuell drücken,nimm es nicht zu schwer, es ist schon übel genug...

Alles Liebe,
Martina
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An den Scheidewegen des Lebens stehen keine Wegweiser

-Charlie Chaplin-

Geändert von Tine70 (07.01.2009 um 19:06 Uhr)
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