Einzelnen Beitrag anzeigen
  #20  
Alt 02.05.2006, 11:36
Lillyana Lillyana ist offline
Neuer Benutzer
 
Registriert seit: 30.04.2006
Beiträge: 3
Standard AW: An alle jungen Hinterbliebenen

Liebe Jessie,

weißt du, mir fiel die Verarbeitung des Todes meiner Mutter relativ leicht, deswegen denke ich manchmal, dass ich anderen Leuten, denen es sozusagen "von Natur aus" schwerer fällt, keine Tipps geben sollte. Und wenn ich es doch tue, klinge ich womöglich irgendwie oberschlau...

Ich will damit nicht sagen, dass Mamas Tod mich nicht getroffen hat. Aber die Nachricht von ihrem Tod war nicht halb so schockierend wie zum Beispiel die Nachricht ihrer Krebsdiagnose. Die Zeit als sie krank war, war die schlimmste meines Lebens. Nach der Diagnose hatte sie noch ein halbes Jahr, und in dieser Zeit war mein "normales" Leben komplett auf Eis gelegt. Ich wollte nur noch für sie da sein. Und nichts, nicht einmal ihr Tod, kann so schlimm sein wie diese Zeit des Leids, die sie durchgemacht hat.

Ich denke immer noch viel an sie. Ich habe nach ihrem Tod mein Studium fortgesetzt, mein Diplom gemacht und völlig unerwartet sofort einen Job gefunden. Wie gerne wäre sie bei all dem dabei gewesen, und wie gerne hätte ich sie bei mir gehabt! Niemand wird je wieder so an mich denken wie meine Mutter es tat.

Ich weiß nicht, wie ich es durchstehen würde, wenn noch jemand aus meiner Familie oder mein Partner schwer erkranken würde. Es kostet so viel Kraft, jemandem beizustehen. Würde nun noch jemandem etwas zustoßen, vielleicht könnte ich das dann nicht so "einfach" verarbeiten, wie es mir bei dem Tod meiner Mutter gelungen ist. Aber ich habe ihren Tod verarbeitet, soweit es mir möglich war. Und soweit das überhaupt möglich ist. Manchmal kommen die Bilder ihres Leids noch in mir hoch, und der alte Schmerz wird spürbar. Aber damit kann ich leben. Sie war meine Mutter, und ich habe sie geliebt - deshalb wird wohl mein Leben lang ein Schmerz zurückbleiben, egal, wie alt ich bin. Und sie fehlt mir, ich wünschte, ich könnte sie einfach anrufen und ihr alles mögliche berichten, wie ich es früher tat. Doch so, wie es mir jetzt mit ihrem Tod geht, ist es in Ordnung. Ich wende mich dem Leben zu, ich kümmere mich um meine Lieben.

Man kann sich auch zu nichts zwingen. Wenn du schon weißt, welche Rituele du für dich gerne haben möchtest, ist das doch schön. Wann dafür die richtige Zeit kommt und du dich richtig damit beschäftigen kannst, wirst du selbst spüren. Als wir zum Beispiel die Kleider meiner Mutter aussortiert haben, bin ich irgendwann heulend aufs Bett gesunken. Ich wusste, dass es eigentlich keinen Unterschied machen wird, ob diese Kleider jetzt im Schrank sind oder nicht. Aber mein Herz hat trotzdem geblutet. Also haben wir verschiedene Sachen behalten. Wozu sollte man sich zu etwas zwingen? Man muss sich für alles die Zeit nehmen, die man braucht.

Jetzt muss ich aber mal Schluss machen, die Arbeit ruft! Liebe Grüße an dich Jessie und natürlich auch an alle anderen hier!
Mit Zitat antworten