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Alt 14.11.2005, 16:09
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Kerstin63 Kerstin63 ist offline
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Standard AW: ich weiß nicht mehr weiter

Hallo Heike,

natürlich ist das die schwerste aller Entscheidungen. Aber wenn nun mal niemand anders da ist, der sie treffen könnte? Ich kenne deine familiäre Situation nicht, weiss nicht ob das das mit irgendwem der dir/Euch nahesteht zusammen tragen und teilen kannst? Ich kenne natürlich ebenso wenig die Geschichte Deiner Mutter und ob wirklich keine Aussicht mehr auf Heilung oder Erwachen besteht.... ich kann nur erzählen wie es bei uns war. Falls Dir das was hilft.

Bei meinem Vater wurde letztes Jahr im März ein Darmkrebs-Rezidiv festgestellt, ca. 2 Jahr nach der Erstbehandlung. Er wurde wieder operiert, nach der OP gab es eine Lungenembolie, Komplikationen, Koma, aus dem er dann nur hin + wieder mehr oder minder erwachte, über die nächsten 9 Wochen bis zu seinem Tod lag er auf der Intensiv, konnte auch wenn er "wach" war nie mehr sprechen wegen der Beatmung. Ständig ging es rauf + runter, einen Tag war er wacher, nächsten Tag wieder Fieber, Pilze, Infektionen... nachher war er so dünn, die eine Niere die er noch hatte funktionierte nicht mehr, die Leberwerte wurden immer schlechter. Nach diversen Arzt-Besprechungen legte man uns nahe dass die Intensivmassnahmen limitiert würden, d.h. Beatmung bleibt aber nur noch mit "Raumluft", die medikamentöse Herz-Kreislaufunterstützung die er die ganze Zeit hatte würde eingestellt, was sie noch genau weggelassen haben weiss ich nicht, auf jeden Fall wurde sein Morphium noch mal hochgefahren, man versicherte uns er würde auf keinen Fall was merken (mein Alptraum war: er merkt dass da irgendwelche Stöpsel rausgezogen werden). Die Ärzte legten es nahe und wir sollten "ja" sagen. Andererseits sagten sie uns, wir trügen die Verantwortung ja nicht allein, denn schliesslich würden die Ärzte ja letzten Endes doch bestimmen was getan wird und was nicht. Wir sollten es nur "bejahen".... es wäre unmenschlich die WIRKLICHE Entscheidung den Angehörigen zu übertragen und das würde kein Arzt tun.... (Mein Vater hatte keine Patientenverfügung). Da stand ich also mit der zweiten Frau meines Vaters, wir waren total am Ende und vollkommen überfordert, sie konnte nichts sagen, also sagte ich das magische Wort. Daran schleppe ich immer noch herum. Ich denke man hört vielleicht nie auf sich wenigstens ab+zu zu fragen ob das alles so richtig war. Andererseits: das einzige was es mir damals ermöglichte Ja zu sagen war das wir dachten es sei das letzte was wir für ihn tun könnten, die Ärzte meinten er wäre so oder so gestorben, es hätte mit den Maschinen und allen Medis nur noch länger gedauert. Er wäre da nicht wieder rausgekommen. Also, was hätte man tun sollen: nein sagen und noch 1 oder 2 Wochen zukucken?

Die schwerste Entscheidung meines Lebens, ich bin manchmal immer noch entsetzt dass ich das getan habe, andererseits.... was sonst....? DIE Verantwortung tragen, dass es dauert und dauert? Man entscheidet ja wirklich nicht ganz allein, die Ärzte sind ja auch noch da, wir bringen unsere Lieben ja nicht um (auch wenn es sich manchmal genauso grausam anfühlt und ich denke "was habe ich getan...".... aber wie würde ich mich heute fühlen wenn er noch wochenlang weiter gelitten hätte?)

Es gibt schon extrem unsensible Ärzte, davon hatten wir da auch welche, komischerweise war die einzige Ärztin im Team sowas von aalglatt und kalt... Es hat ja auch nicht ein einziger Arzt allein entschieden, sondern alle behandelnden Ärzte waren zu dem Ergebnis gekommen.

Wenn Deine Mutter ein Patientenverfügung hat, ich weiss nicht, ich nehme an dann solltest Du danach handeln. WENN die Ärzte sagen das wäre jetzt eigentlich zu tun.... Ohne Zweifel, damit muss man dann leben, aber vielleicht muss man dies als letzten Liebesdienst tun.

Alles Gute
Kerstin
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