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Alt 20.10.2005, 19:13
tine tine ist offline
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Daumen hoch AW: Annhemen, glauben, Kämpfen! Mein Weg...

Hallo Johanna,

Du fragst, was man tun kann oder was Krebspatienten erwarten.

Ich kann Dir nur sagen, was ich erwartet habe und hätte. Dass die Angehörigen und Freunde eben nicht wegbleiben. Ich hatte auch nicht erwartet, dass jemand kommt und fröhlich ist und die Krankheit ignoriert oder so tut als wär nix oder den Pausenclown macht oder sich irgendwie verstellt. Natürlich ist Trost von anderen sehr wichtig, aber ich hätte auch gern zusammen mit jemandem geweint, der mir nah ist. Und Dein Onkel kennt Dich wohl und weiß, wie sensibel Du bist. Tränen sind nicht schlimm, und wenn man zusammen weinen kann, hilft das auch.

Dass die Krankheit da ist, ist ja nicht zu übersehen und zu ignorieren. Mir hat es gutgetan, dass einige auch mit mir geweint haben, sie waren da und das brauchte ich. Sie haben mir gezeigt, es kümmert sie, dass ich krank bin. Von denen, die nicht da waren, dachte ich, es kümmert sie nicht, es ist ihnen egal. Wie sie sich verhalten hätten, ob fröhlich aufgesetzt, tröstend oder auch traurig, wäre völlig nebensächlich gewesen, Hauptsache da. Das tat mir weh, dass ich allein war.

Einfach da sein, dem Kranken zeigen, er ist nicht allein, man denkt an ihn, wie eben vorher auch, und kommt zu ihm hin, das denke ich ist wichtig. Es ist doch klar, dass man eine so lange Beziehung nicht einfach abbrechen kann und erst recht nicht, wenn es dem Freund so schlecht geht.

Und wenn du es nicht schaffst, dann schreib ihm doch wenigstens einen Brief und erkläre, warum es dir schwerfällt. Er wird es verstehen, wenn er eine Erklärung bekommt.

Natürlich ist es schwierig für Angehörige und Freunde, keine Frage. Aber der Kranke hat doch im Moment die existentiellen Probleme, nicht Du. Sicher bist Du traurig, aber der Tod gehört zum Leben. Er steht im Raum, und das belastet Deinen Onkel sicher noch mehr. Warum ist es nicht möglich, sich etwas zusammenzunehmen (sorry, ich weiss, ich krieg jetzt Schläge von den Angehörigen!) und es über sich zu bringen, um demjenigen in einer Situation zu helfen, in der er selbst hilf- und machtlos ist.

Hat man eine gesunde Beziehung, ist das Gleichgewicht ja auch da. Und genau jetzt ist diese Beziehung im Ungleichgewicht: Der eine braucht den anderen und der andere kommt nicht. So ist es doch. Egal, warum. Der, der da liegt, kann es doch gar nicht anders sehen als enttäuschend.

Am einfachsten wäre es doch, Du versuchst Dich einmal in die Lage Deines Onkels zu versetzen. Schließ die Augen und stell Dir einfach mal vor, Du lägest da, in seiner Situation. Was würdest Du Dir wünschen? Oder ruf ihn an und frag, ob er möchte, dass Du kommst, sag ihm doch schon am telefon, was Du befürchtest, sag ihm, dass es Dir schwerfällt. Alles wird er verstehen, glaube ich, wenn Du es ihm erklärst.

So habe ich das als Kranke erlebt und so würde ich Dir raten.

Aber ich kann eben nur von mir reden. Und ich wünsch Dir Stärke und Kraft, in jedem Fall!

LG Tine
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