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Alt 11.11.2005, 19:53
Laura5555 Laura5555 ist offline
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Standard AW: Thread für junge Angehörige von Krebskranken

Liebe Anna,
wie geht es Dir jetzt? Wie geht es Deinem Vater? Es ist schrecklich, mitzuerleben, wenn man plötzlich komplett die Kontrolle über alles verliert. Mein Bruder ist ja auch seit einiger Zeit in der Psychiatrie, immer wieder mit Unterbrechungen. Vorletzten Winter war es auch so schlimm, daß meine Eltern keine andere Möglichkeit mehr sagen, als ihn einweisen zu lassen. Er war auch schon immer sehr negativ und hatte schon als Kind große Probleme im Umgang mit anderen. Als er dann in der Pubertät war, wurde es ganz schlimm. Er fing an, sich wie ein Grufti zu kleiden, ganz schwarz und nur noch schreckliche Musik zu hören. Er lebte in einer ganz anderen Welt. Meine Eltern konnten nicht mehr mit ihm sprechen, er saß nur noch teilnahmslos in seinem Zimmer und war oft wie von Sinnen und schrie das ganze Haus zusammen, daß er nicht mehr leben wolle, daß er sich gleich umbringen wolle, daß er verrückt sei usw. .An so einem Tag rief meine Mutter den Hausarzt an, der ihn dann in die Psychiatrie eingewiesen hat. Zwischendurch war er immer wieder zu Hause, aber er braucht die Unterstützung dort, um wieder einigermaßen klarzukommen. Auch wenn es sich blöd anhört, aber ich bin froh, daß er dort ist, weil es einfach nicht mehr auszuhalten war mit ihm hier. Und ich denke, daß es bei deinem Vater ähnlich ist. Wenn sich das Verhältnis wieder entspannt, und man sich nicht mehr täglich sieht, und man wieder durchatmen kann, ohne die Nerven bis zum Zerreißen gespannt zu haben, wird es auch wieder leichter werden, aufeinander zuzugehen. Dein Vater ist dort sicher gut versorgt, viel besser, als wenn er weiterhin bei euch zu hause sein würde und die Ärzte dort werden alles tun, damit es ihm wieder besser geht. Eine Depression entwickelt sich oft über einen sehr langen Zeitraum, ohne daß es jemand wirklich wahrnimmt. Man bemerkt zwar Veränderungen, aber will es dann wohl auch nicht wahrhaben. und dann ganz plötzlich bricht alles zusammen und man kann nichts mehr tun. Ich habe mich auch so oft gefragt, wie es so weit kommen konnte und habe meinen Bruder dafür verachtet, daß er unsere Familie kaputtmacht mit seinem Verhalten, aber heute weiß ich, daß es eine Krankheit ist und er für sein Verhalten nichts kann. Er hat den Bezug verloren zu allem und muß erst wieder lernen, sich zurechtzufinden. Es geht ihm heute noch nicht wieder richtig gut, aber ich glaube, er ist auf dem richtigen Weg, auch wenn dieser Weg noch sehr lang sein wird. Das wichtigste ist, daß er akzeptiert hat, daß er krank ist und Hilfe braucht. DAs hat sehr lange gedauert, aber ich bin mir sicher, daß es bei Deinem Vater auch so sein wird und daß man auch ihm helfen wird, mit all dem besser umzugehen. Wahrscheinlich hat er auch deshalb die Krebs-Diagnose so schrecklich aufgenommen, da er zu diesem Zeitpunkt schon depressiv war, ohne daß es jemand wirklich bemerkt hat. Ist euch denn schon vorher etwas an ihm aufgefallen, das ihr erst jetzt im Nachhinein richtig einordnen könnt? Ich drücke Dir auf jeden Fall ganz fest die Daumen, daß Du viel Kraft haben wirst, damit umzugehen und alles zu verarbeiten. Die Neurologin wird dir bestimmt helfen können. Du kannst dich auch jederzeit bei mir melden und ich werde versuchen, Dir zu helfen. Sei ganz fest gedrückt. ganz liebe Grüße von Laura.