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Alt 07.07.2006, 01:20
gaby13 gaby13 ist offline
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Standard AW: Du fehlst mir, und ich möchte von Dir erzählen

Liebes Mami. Ich möchte heute von dir erzählen. Ich habe, seit wir wussten, dass du Krebs hast, fast jeden Tag im Forum gelesen. Habe aber bis heute keinen Eintrag gemacht. Ich hatte in der kurzen Zeit genug damit zu tun, mit mir selber klar zu kommen, mich um dich zu kümmern und nebenbei – wie du es wolltest – mein Leben zu leben.

Im Frühling 2005 hast du und Papi beschlossen, das Haus zu verkaufen und dafür eine neue, moderne Wohnung zu kaufen. Es muss wohl Schicksal gewesen sein, dass dies so schnell klappte, dass ihr im September 2005 bereits in eure neue Wohnung umziehen durftet. Ein wunderschönes, neues Heim, dass du mit so viel Liebe neu eingerichtet hast. Du hattest so viel Freude an der Wohnung und konntest sie nur noch ein halbes Jahr geniessen.

Weisst du noch, am 31.12.2005? Wir waren zusammen ein Glas Prosecco trinken, wir haben es uns gut gehen lassen. Das hatten wir noch nie gemacht. Ich habe das so schön gefunden, dass ich das auf jeden Fall dieses Jahr wiederholen wollte. Niemand hat zu diesem Zeitpunkt gewusst oder geahnt, dass du so krank bist.

Ende Februar hattest du plötzlich, wie angeworfen, Schmerzen, Blutungen und eine Blasenentzündung. Du musst unheimliche Schmerzen gehabt haben, dass du freiwillig zu einem Arzt gegangen bist. Der Arzt hat dir etwas gegen die Blasenentzündung gegeben. Wir alle haben gedacht, jetzt ist es wieder gut. Die Schmerzen wurden nicht besser, so dass du zum Naturheilarzt wolltest. Der meinte, irgendetwas im Unterleib sei nicht in Ordnung. Er hat dich zum Gynäkologen geschickt. Wie viele Male haben dich Papi und versucht dazu zu bringen, wieder einmal zum Gynäkologen zu gehen?! Du wolltest einfach nicht. Und wenn du etwas nicht wolltest, dann war das so – leider… Anfang März hattest du nun den Termin. Ergebnis: Verdacht auf Gebärmutterkrebs. Es folgte das CT, um sicher zu sein. Am 9. März 2006 erhielten wir die Diagnose, Gebärmutter-, Blasen-, Harnleiterkrebs mit Metastasen auf der Leber.

Ich dachte, das überstehe ich nicht. Ich habe dich leiden sehen. Schmerzen, so fest Schmerzen, dass du immer wieder zusammengezuckt bist. Ich habe in den ersten Tagen nur noch geweint. Trotz den Schmerzen, wolltest du mich und meinen Bruder nochmals mit der Guggenmusik hören. Du und Papi seid an einen Auftritt gekommen. Als ich dich am Strassenrand stehen sah, lachend, du hast gewunken, konnte ich nicht mehr spielen, ich musste wieder weinen. Nach dem Auftritt sagtest du zu uns: „Ich weiss ja nicht, ob ich euch nochmals spielen höre“. Ich sagte nur: „ach, sicher, geht ja nicht so lange, bis wir wieder Auftritte haben“. Mein Bruder hat nur noch geweint nachher. Ich habe sehr viel über die Krankheit gelesen, habe Broschüren bestellt, das Internet durchstöbert. Mir war sehr schnell klar, dass deine Krankheit wahrscheinlich nicht mehr heilbar ist. Die Ärzte sagten auch, dass der Krebs sehr wahrscheinlich nicht mehr geheilt werden könne. Sicher weiss man das ja nie. Das Ziel war, den Tumor zu schrumpfen und dir noch ein paar Jahre, ohne Schmerzen, zu geben, die du zusammen mit Papi noch geniessen solltest. Du warst unheimlich stark. Du hast die Krankheit angenommen, hast mit Papi noch gewitzelt, dem geben wir jetzt einen Namen und dann machen wir ihn kalt. Du hast dich nie beklagt, hast dir nur selten Vorwürfe gemacht, dass du nicht früher zum Frauenarzt gegangen bist.

Am Anfang dachte ich, die machen überhaupt nicht vorwärts. Zuerst der Port, den man eingesetzt hat, dann der Versuch, beide Nieren wieder voll funktionstauglich zu machen. Der erste ambulante Versuch missglückte. Ich holte dich beim Arzt ab. Du warst schwach von der Narkose. Konntest aber noch laufen. Ich habe dich noch zur Maniküre gefahren, da du ja wegen der Medikamente nicht mehr Auto fahren durftest. Es folgte der zweite Versuch mit der Niere. Eigentlich solltest du am späteren Nachmittag wieder aus dem Spital entlassen werden. Papi rief uns an, du müsstest die Nacht bleiben, weil du die Narkose so schlecht ertragen hast. Wir kamen dich besuchen. Du musstest viel erbrechen, warst müde und schwach. Am Dienstag konntest du wieder nach Hause. Als ich am Abend zu euch kam erschrak ich. Du lagst im Bett, dir war schlecht, alles was du zu dir nahmst, musstest du wieder erbrechen. Du hattest fast keine Kraft, aufs WC zu gehen um zu erbrechen. Papi hatte immer einen Eimer in der Nähe. Du hast dann einfach nichts mehr getrunken.

Am nächsten Tag, am Mittwoch, 12. April, einen Tag vor meinem Geburtstag, hattest du wieder einen Termin im Spital. Geplant war, dass die Zeichnungen für die Bestrahlung gemacht würden. Soweit kam es aber nicht, denn sie hängten dich gleich an den Tropf. Du warst am Austrocknen und hattest eine Vergiftung der Niere. Es hiess, dass du vielleicht am Wochenende wieder nach Hause könntest. Am nächsten Tag war mein wahrscheinlich schlimmster Geburtstag. Ich hatte mich überhaupt nicht darauf gefreut. Er war überschattet mit Sorgen und Ängsten um dich, mein liebes Mami. Und dazu kommt natürlich, dass es mit 29 Jahren auch nicht mehr dasselbe ist, Geburtstag zu haben, wie wenn ein Kind Geburtstag hat… Papi hat dich mit dem Rollstuhl in die Spitalcafeteria gebracht. Wir „feierten“ meinen Geburtstag dort zu Viert. Sonst gingen wir immer zu Viert fein Essen. An diesem Abend gab es Schinken mit Kartoffelsalat. Das Essen schmeckte mir gar nicht. Ich sagte noch zu euch, nächstes Jahr gönnen wir uns aber ein superfeines Essen in einem edlen Restaurant. Du konntest sogar etwas lachen.

Die nächsten 12 Tage ging es steil bergab. Wasser auf der Lunge, Mühe mit Atmen, Schmerzen, Pilz und Aften im Mund von der Bestrahlung, mit der sie trotzdem begonnen haben, Durchfall, du hast nichts mehr gegessen, es ging dir psychisch ganz schlecht und hattest immer weniger Kraft. Am Sonntag, 23. April durftest du für einen Tag nach Hause, im Rollstuhl. Du musstest immer noch viel erbrechen. Am Abend musste dich Papi wieder ins Krankenhaus bringen. Am nächsten Tag hast du einfach die Therapie abgebrochen und uns dann darüber informiert, dass du das nicht mehr mitmachst. Das sei kein Leben. Du wolltest in das Spital verlegt werden, das fünf Minuten von dir zu Hause weg war. Wir haben dich nicht verstanden, wollten dich umstimmen. Für uns war die Therapie das Einzige, was dich noch retten konnte. Du wurdest am Dienstag verlegt. Wir mussten deinen Entscheid akzeptieren. Im Nachhinein war es das Richtige, was du entschieden hast. Es war so stark von dir zu sagen, das möchte ich nicht, so möchte ich nicht leben. Du wolltest, dass man dich operiert. Das machten die Ärzte nicht. Sie sagten, dann würdest du ihnen auf dem OP-Tisch verbluten, da der Tumor überall festgewachsen sei. Du sagtest immer wieder, wenn mich Gott will, dann bekommt er mich so oder so. Du hast immer daran geglaubt, dass es vorbestimmt ist, wann man gehen muss.

Nun ging es von der „Fast-Hoffnungslosigkeit“ in die Hoffnung über. Dir ging es viel besser, es ging fast so steil wieder bergauf, wie vorher bergab. Du hast dich wohl gefühlt, hattest viel Besuch, warst zufrieden, der Durchfall ging weg, du musstest nicht mehr immer erbrechen, die Aften und der Pilz im Mund waren auch verschwunden. Melonen… das Einzige, was dir im Mund nicht brannte und dir den Mund etwas befeuchtete, waren Melonen. Am liebsten hättest du Wassermelonen gehabt, aber wo findet man im April / Mai Wassermelonen? Papi ist alle Läden abgeklappert. Leider hat er keine gefunden für dich. Du hast mit der Physio begonnen. Ich ging das erste Mai-Wochenende noch Ski fahren. Ich wollte nicht gehen, aber du hast mich geschickt. Du hast gesagt, du möchtest, dass ich gehe. Deshalb bin ich gegangen. Es ging dir ja auch besser, ich musste mir nicht mehr so viel Sorgen machen. Ich wollte dich anrufen, aber die ersten Male hast du das Telefon nicht abgenommen und dann hast du mir gesagt, dass ich dich nicht mehr anrufen soll. Ich habe geweint. Das hat mich verletzt. Ich wusste zwar, wie du es gemeint hast, du wolltest einfach, dass ich mein Wochenende geniesse und nicht immer an dir rumstudiere, und trotzdem, es hat mich verletzt. Am Montag ging ich dich sofort besuchen, als ich wieder zu Hause war. Du lagst im Bett, du hast mich angestrahlt, das werde ich nie vergessen. Du hattest so Freude, dass ich wieder zu Hause war, ich konnte dir in dem Moment nicht sagen, dass mich deine Worte verletzt haben. In ca. zwei Wochen, meinten die Ärzte, solltest du wieder genug Kraft haben, wieder nach Hause zu können. Dann wollte Papi nochmals mit dir hin sitzen und besprechen, wie es mit der Therapie weitergehen soll. Ihr hattet noch so viele Pläne. Ich kam dich auch am Dienstag, am Donnerstag und am Freitag besuchen. Am Mittwoch konnte ich leider nicht. Du wolltest auch nie, dass wir so viel kommen. Du sagtest immer, lebt euer Leben. Du wolltest uns nie „belasten“. Mami, das habe ich gemacht, weil ich das wollte. Ich konnte dir auf diesem Weg viel zurückgeben, was du für mich getan hast. Am Freitag bin ich bereits um 19.00 Uhr wieder aus dem Krankenhaus gegangen. Du warst müde, bist sogar einmal eingeschlafen. Ich sagte zu dir: „bis morn“ (bis morgen). Und ging. Als ich ins Auto stieg hatte ich ein ganz komisches Gefühl im Bauch, wie wenn ich etwas Schlechtes getan hätte. Leider habe ich nicht auf dieses komische Gefühl gehört, denn aus meinem „bis morn“ wurde nichts mehr. Du bist am Samstagmorgen, 6. Mai 2006 um 10.15 Uhr eingeschlafen. Völlig unerwartet. So schnell, dass mein Bruder und ich es nicht mal mehr geschafft haben, dir nochmals zu sagen, wie sehr wir dich lieben. Wir kamen ungefähr fünf Minuten zu spät ins Spital, obwohl wir keine Viertelstunde hatten für den Weg. Papi war bei dir, als du friedlich, ohne Schmerzen eingeschlafen bist. Du hattest in der Nacht Mühe mit dem Atmen. Du wolltest aber nicht, dass man uns benachrichtigt. Der Arzt hat Papi am Morgen angerufen und gemeint, er solle im Verlauf des Tages ins Krankenhaus kommen. Er hat zum Glück auf das komische Gefühl im Bauch gehört, dass er hatte und hat versucht dich anzurufen. Du konntest den Telefonhörer nicht mehr selber halten, deshalb hat die Schwester das Telefon abgenommen. Papi fuhr ins Spital zu dir. Du wolltest ihm noch ein paar Sätze sagen, aber er hat nur noch das Wort „Danke“ verstanden. Als er merkte, jetzt ist etwas wirklich nicht mehr gut, hat er uns sofort angerufen. Und trotzdem, wir kamen zu spät. An was du genau gestorben bist, konnte uns die Ärztin nicht sagen. Sie meinte, evt. ein Tumorteil, dass sich gelöst hat und in die Lunge geraten ist oder eine Lungenembolie. Da du es immer menschenunwürdig gefunden hast, an toten Menschen herum zu schneiden, haben wir darauf verzichtet, den genauen Grund zu wissen. Das hätte dich auch nicht wieder zurück gebracht. Du sahst so friedlich aus, mit dem leichten Lächeln auf den Lippen.

Du bist heute, bzw. unterdessen ist es gestern, zwei Monate nicht mehr bei uns. Zwei Monate in denen viel passiert ist. Die erste Woche war ganz schlimm. Wir haben jeden Tag zu Dritt verbracht, alles Amtliche erledigt, Todesanzeige aufgesetzt… und am Freitag war die – wenn man das so sagen kann – wunderschöne Trauerfeier. Ein schlimmer Tag aber auch ein schöner Tag. Mami, ich weiss, du warst beeindruckt. Ich habe dich gespürt an diesem Tag. Du hast uns die Kraft gegeben, den Tag zu überstehen. Du hast mir die Kraft gegeben, meinen Brief an dich in der Kirche vorzulesen. Du warst da. Die Kirche war voll. So viele Leute, am Schluss so viele Kerzen, alle haben für dich eine Kerze angezündet. Zwischendurch, wenn ich es fast nicht mehr ausgehalten habe, habe ich versucht, sie zu zählen. Ich denke, es waren an die zweihundert Kerzen. Alle nur für dich. Dir hätte das gefallen, dir hat es gefallen. Papi ging dann an in der Woche drauf an Orte, an denen ihr viel zusammen wart. Er macht es gut, Mami. So wie du das auch wolltest. Er versucht, sein Leben alleine zu leben, sich wieder ein Leben aufzubauen, auch ohne dich. Er ist viel unterwegs. Nach zwei Wochen haben wir bereits deine Kleider geräumt. Du hast so viel gesagt, dass das nicht gut ist, die Sachen nicht zu räumen, dass wir alle das Bedürfnis hatten, so rasch als möglich zu räumen. Das war hart. Aber auch gut so. Wenn ich bei dir auf dem Friedhof bin, sage ich jedes Mal „bis morn“. Morgen ist für mich nicht mehr zwingend der nächste Tag, ich sage dir das auch, wenn ich weiss, ich kann morgen nicht gehen.

Etwas mehr als fünf Wochen nach deinem Tod, bekamen wir einen Anruf. Nicht schon wieder!!! Das war alles, was ich in dem Moment heraus brachte. Dein Mami, meine Grossmutter ist auch gestorben. Sie war 95 Jahre alt. Für sie war es gut, sie konnte nun endlich loslassen. Aber schon wieder eine Beerdigung, alles ist nochmals rauf gekommen, alles hat an dich erinnert! Ich weiss nicht, welche Beerdigung für mich schlimmer war. Bei deiner war ich irgendwie wie in Trance, was war noch alles so unwirklich, so fremd. Aber jetzt ist es wirklich, es ist real und dann nochmals dasselbe Spiel, Friedhof, Urne, Abdankung… Derselbe Bibelteil, dasselbe Lied… Es war wie ein schlechter Film. Aber auch an diesem Tag hast du uns die Kraft gegeben, es zu überstehen.

Zwei Monate, kurz, aber doch so lang, Zwei Monate, die wir dich schon vermissen. Jeden Tag. Aber das Wissen, dass dir so viel erspart geblieben ist, gibt uns viel Kraft. Wie lange du noch hättest leben können, wenn dieser Zwischenfall nicht gewesen wäre, kann niemand sagen. Wie viele gute Tage du noch gehabt hättest weiss auch niemand. Du hast mal gesagt: „es kann mir ja niemand sagen, dass ich durch die Therapie, auch nur zwei Wochen länger lebe“. Das stimmt. Und heute weiss ich auch, dass dein Entscheid, die Therapie abzubrechen, ein guter Entscheid war. Du hast das getan, was du wolltest und was du gefühlt hast und das war gut so. Du musstest nicht lange leiden. Du musstest die ganze Therapie nicht über dich ergehen lassen. Das gibt uns die Kraft, positiv zu denken. Mami, wir leben weiter. Du hast es gewollt, mit diesem Wissen schaffen wir das. Wir gehen mit Papi einmal in der Woche Essen. Und da der Apfel nicht weit vom Stamm fällt, kümmere ich mich sehr gut um ihn. Es geht uns gut, mal besser, mal haben wir wieder etwas ein Tief. Wir reden viel miteinander. Papi hatte zuerst das Gefühl, er müsse aus der Wohnung ausziehen. Er halte das nicht aus. Unterdessen sieht er es mit anderen Augen, er sieht, wie schön du die Wohnung noch einrichten durftest. Das hat dir so viel Freude bereitet. Ich glaube, wir sind schon recht weit in der Verarbeitung, das haben wir auch dir zu verdanken. Das heisst aber nicht, dass du uns nicht fehlst!!! Beim Anblick der ersten Wassermelone im Laden liefen mir die Tränen runter. Mami, jetzt gäbe es Wassermelonen. Glaub mir, wir würden dir 50 Stück, 100 Stück am Tag bringen! Du wirst für mich immer die beste Mami bleiben, die ich mir hätte wünschen können. Danke! So viel Liebe zu spüren, ist nicht selbstverständlich. Ich habe dich so lieb, Mami. „Bis morn“!!!

Dini Gaby

PS: Ich wollte gar nicht so viel schreiben...
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