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Alt 24.03.2012, 08:48
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Mirilena Mirilena ist offline
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Standard AW: Wir werden uns wiedersehen...

Lieber Paps,

heute schreibe ich mal an dich! Mir ist irgendwie danach. Ich weiß gar nicht, ob ich dir das jemals so erzählt habe, dass ich so oft im Krebs-Forum bin und es mir so hilft. Für dich hätte ich mir auch gewünscht, dass du dieses Forum für dich genutzt hättest. Hier wärst du Menschen begegnet, die in einer ähnlichen Situation sind und die dich ein wenig hätten auffangen können. Und hier hättest du dir alles von der Seele schreiben können, hättest keine Rücksicht nehmen brauchen.
Meine Güte, wenn ich daran denke, dass du uns mehrere Tage lang nichts von der Metastase erzähltest, die deinen Oberschenkelhalsbruch verursachte, nur weil du uns schonen wolltest... Und da lagst du ganz allein und hast deine Ängste mit dir selbst ausmachen wollen. Dabei hatten Mama und ich es ohnehin vermutet, dass dieser Sch...krebs sich ausgebreitet hat.
Was bin ich dankbar, dass du am Ende offen für alles warst und andere Menschen an dich heranlassen konntest. Du hast ja selbst gespürt, wie gut das Gespräch mit der Seelsorgerin tat. Und wie schön es war, ein eigenes Zimmer auf der Palliativstation zu bekommen! Alle waren so liebevoll und haben dich gleich ins Herz geschlossen... Wie könnte man dich auch nicht ins Herz schließen, mein kleiner Paps?!
Und wir haben noch viele sehr schöne Augenblicke teilen können! Auch wenn es dir körperlich so schlecht ging. Ich erinnere mich an jeden Händedruck und an deine Augen... Da war so viel Liebe... Als du zu Mama sagtest, du bereust es nicht, dass ihr vor 50 Jahren geheiratet habt. Du würdest sie immer wieder heiraten und dich für sie entscheiden. Das hat sie so gefreut und gerührt. Und als Tanja sich von dir verabschiedete an Stelle ihres Papas Ingo und sie dir erzählte, sie habe sich bei uns immer so wohl gefühlt und es sei ihr ein zweites Zuhause gewesen, meintest du: "Tanja, du bist für mich wie Miriam." Da konntest du kaum mehr sprechen und es fiel dir unsagbar schwer, aber du hast ihr etwas so Schönes mit auf den Weg gegeben. Wir sind jetzt sozusagen zu Schwestern erkoren;-) Und da ich ja keine Geschwister habe, bin ich dafür sehr dankbar. Und Frank, dein Patenkind! So ein großer kräftiger Mann, der selbst Arzt ist, sitzt an deinem Bett und erzählt dir, dass er sich immer gern an den Ausflug im Polizeiwagen erinnert. Er sei so stolz gewesen und immer wenn er an dich denke, dann wäre da diese Wärme in ihm. "Onkel Hans-Jürgen, ich habe dich sehr lieb!" Das hat ihn nicht einmal Überwindung gekostet. Und du hast ihm bestätigt, dass auch du ihn lieb hast. Und deine Kollegen! Dieter ist sofort zu dir ins Krankenhaus gefahren, als ich ihn anrief, um ihm auszurichten, dass du ihn gern noch einmal sehen würdest. Ich weiß nicht, was ihr gesprochen habt. Aber ich weiß, dass Dieter geweint hat und daraufhin den anderen Kollegen davon erzählte. Also stand Ole dann vor unserer Tür und auch er sagte, er sei so froh, dass er dich noch gesehen habe. Selbst Thorsten, dem das alles so schwer fiel, hat sich von dir verabschiedet. Und für jeden hattest du noch eine Bemerkung, die du uns mit auf den Weg gabst. So viel Güte, so viel Liebe! Ich bin so stolz auf dich!
Vergangenen Donnerstag haben wir deine Urne beigesetzt unter dem Glockenturm. Es hätte dir gefallen! Alice und Horst waren auch dabei und wir Erwachsenen mussten alle weinen, nur deine Helli war tapfer. Sie ist froh, dass sie sich nie mehr sorgen braucht um dich und dass du keine Schmerzen mehr ertragen musst. Schön, dass sie es so betrachten kann. Dafür hat sie vergangenen 10 Monate viel geweint, getrauert und tausende Male Abschied genommen von ihrem geliebten Opa. Aber das weißt du ja ohnehin!
Für Mama ist es am schwersten! Sie vermisst dich so! Nachts wacht sie oft auch und muss weinen, weil ihr so bewusst ist, dass du nicht mehr da bist. Tagsüber hat sie oft das Gefühl, du würdest in deinem Sessel sitzen, auch wenn sie dich nicht sehen kann. Sie hat noch nie von dir geträumt, ich auch nicht! Das finden wir sehr schade, aber meine Mädels hier im Forum haben mich getröstet. Es würde noch kommen! Und da wir uns alles gesagt haben und alles geklärt sein, bräuchte ich nicht von dir träumen. Stattdessen habe ich geträumt, ich hätte Krebs. Ich stand unter der Dusche und hielt Büschel von Haaren in den Händen. Und da war ich dann wieder ganz klein und rief nach Mama. Sie stand sofort neben mir und ich zeigte ihr die Haarbüschel...

Manchmal finde ich es erschreckend, dass das Leben einfach so weiter geht. Nur eben ohne dich... Die Welt steht nicht still, sie dreht sich einfach weiter. Die Tage und Wochen kommen und gehen. Wir funktionieren. Wir stehen morgens auf, essen Frühstück, Helli fährt in die Schule und ich zur Arbeit. Dann hole ich Helli bei Mama ab und wir reden ein bißchen über den Tag. Ich werde ab 01.04. wieder Vollzeit arbeiten (müssen). Eigentlich könnte ich ganz gut den freien Tag in der Woche gebrauchen. Meistens habe ich dann feste Termine mit Mama. Gestern war es die Bank! Alles muss geändert, umgeschrieben werden. Alles sehr bürokratisch! Und Papa, du wärst stolz auf uns, wie gut wir das alles regeln und wie kämpferisch ich bin. Deine Krankenkasse ist ganz handzahm und zahlt alles, die Beihilfe tut sich schwer, aber ich reiche einen Widerspruch nach dem nächsten ein und nun kennen die mich allmählich. Du hättest deinen Spaß damit!

Ich war mit Muddel zur Trauergruppe. Ich weiß, dass ich nicht alles auffangen kann. Ich bin ja "nur" die Tochter und ich trauere anders um dich als deine Frau es tut. Außerdem ist sie viel zu viel allein. Am liebsten spricht sie mit mir über dich. Mit anderen mag sie nicht sprechen und sie ist wütend, weil alle erwarten, dass es ihr nun wieder "gut" geht. Dass sie die "Alte" ist und wieder unter Menschen geht. Aber dem ist natürlich nicht so. Sie trauert! Sie trauert ganz bewusst um dich und das ist auch gut so. So weh es mir tut, ich weiß, dass es richtig und gut ist, damit Mama mit ihrer Trauer leben kann. Dennoch hält sie sich wacker und du bist bestimmt stolz auf sie!

Danke, dass du uns Zeichen hast zukommen lassen! Der Wind im geöffneten Fenster, der uns sagte, dass bei dir alles okay ist. Diese Taube auf dem Baum gegenüber. (Warum hast du ausgerechnet eine Taube zu mir geschickt?) Du bist bestimmt gut angekommen. Ich spüre das irgendwie. Und weißt du was? Ich werde langsam auch ein wenig weiser;-))) Ich rege mich nicht mehr über jede Kleinigkeit auf. In der Firma... Ich lasse einfach geschehen und denke mir meinen Teil. Leider kannst du mir da keine Tipps mehr geben, aber ich erzähle dir trotzdem immer alles, was mich bewegt. Also weißt du ja auch über das Personalgespräch Bescheid. Ist das nicht dumm?! Aber ich kann diese Menschen nur bedauern. Bei mir gibt es andere Prioritäten. Und ich sage mir immer: Es ist nur ein Job! Wenn der Typ mich tatsächlich loswerden will, dann soll er mir halt kündigen. Was wäre das schlimmste, was mir passieren kann?!

Helli berappelt sich wieder und sie gibt Gas in der Schule. Zwar fallen die Arbeiten nicht immer so aus, wie sie es sich erhofft, aber sie ist schon ein schlaues Mädchen. Sie macht ihren Weg! Wir waren übrigens an der Kunsthochschule in Hamburg. Das war ganz schön desillusionierend für Helli... Nun ja, sie hat ja noch ein paar Jahre Zeit.
Thorsten durfte mal bei den Mediengestaltern reinschnuppern. Das hat ihm so gut getan! Ich wünschte, er dürfte dort bleiben, denn das ist genau sein Ding und macht ihm so viel Spaß.
Und ich, mir wurde Donnerstag von der Wirtschaftsagentur angeboten, die Vorsitzende des Logistikclusters zu werden. Die wollen mich unbedingt;-) Kannst du dir das von mir vorstellen?! Ich finde, das klingt oberwichtig:-) Ich habe angenommen! Denn dadurch bekomme ich Kontakte zu vielen interessanten Firmen und Menschen und wenn ich mich nicht allzu doof anstelle, dann bietet mir dort vielleicht jemand mal einen besseren Job an.

Also Paps, du siehst, wir kommen zurecht! An einigen Tagen schlechter, an anderen Tagen besser. Dennoch fehlst du uns allen, jeder hat das seine individuelle Art, dich zu vermissen. Mir fehlt deine Ruhe und Ausgeglichenheit. Dein Lächeln! Wir freuen uns, dass wir drei Weiber über Ostern gemeinsam nach Dänemark fahren. Es wird uns allen gut tun. Schöner wäre es natürlich mit dir gemeinsam gewesen (ich sag nur Drachensteigen), aber du bist in unseren Herzen dabei!

Ich wollte dich das alles nur wissen lassen, damit du auch beruhigt sein kannst! Lass es dir gut gehen, wo immer du jetzt bist! Und ich weiß ganz genau, wir sehen uns wieder, eines Tages!

In Liebe
Deine Tochter
Miri
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Mein Papa erhielt am 18.04.11 die Diagnose Lungenkrebs mit Knochenmetastasen und ging am 21.02.12 ins Licht. Alles vergeht, aber die Liebe bleibt...

Hand in Hand - gemeinsam sind wir stark!
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