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Alt 12.08.2003, 12:15
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Standard Angst aber auch Hoffnung

Liebe Romy,
ich hoffe, Du hast nach Ulrikes Ausführungen noch die Kraft, von mir was zu lesen.
Ich sehe das alles aus der Sicht des betroffenen Patienten. Im April 2002 war ich "so gut wie tot" - nach meiner Meinung, als ich die Diagnose hörte. Dann kam die Wut und Verzweiflung, weil mir jeder Mediziner (auch meine Krankenschwester !) immer wieder sagte, ich müsse wissen und entscheiden, was gemacht werden soll. Ich habe immer gefragt, ob es jetzt nur noch SB-Krankenhäuser gäbe, wo der Patient bestimmt, wo's lang geht.

Erst Monate später habe ich begriffen, daß ich da einiges nicht richtig gesehen habe.
Erst, als ich "meinen" Weg gefunden hatte, konnte ich auch Entscheidungen treffen. Alles, was Du hörst oder was hier geschrieben wird, kann nichts anderes sein, als eine kleine Entscheidungs-HILFE. Die Entscheidung kann nur einer treffen, der Patient. Und wenn Dein Vater heute noch nicht soweit ist, dass er SEINEN Weg kennt, dann muß er eben noch warten.
Ich habe mich vor einem Jahr entschieden, erstmal 6 Wochen zur Kur zur fahren, -auch, um "meinen" Weg zu suchen. Wochenlang wurde nichts getan, obwohl ich doch Krebs hatte !!!! Eine Katastrophe - aber nicht für mich. Ich konnte mich noch nicht entscheiden, also habe ich erst einen "Umweg" genommen - und dann ging's. Es war letztendlich meine Entscheidung - die ich bis heute nicht bereue. So hatte ich das Gefühl,ICH HABE MEINEN WEG gefunden, und nicht den von Ulrike, von Dr. sowieso oder Dr. Sowieso.
NATÜRLICH ist mein Weg auch Ulrikes Weg - weil wir haben stundenlang und tagelang über Für und Wider diskutiert. Und dann haben wir uns für "unseren" Weg entschieden, mit dem wir BEIDE leben können. Ob er richtig war - das erzähle ich Dir dann in 10 oder 20 Jahren, wenn ich es überlebt habe.
Und zwischendurch sind wir von Uniklinik zu Uniklini, von Arzt zu Arzt gepilgert, um uns "schlau" zu machen. Und dabei war auch z.B. ein Oberarzt, den ich gefragt habe, in welchem KZ er vorher gearbeitet hätte, weil er mich "wie den letzten Dreck" behandelt hat. (Leider hat er mich nicht verklagt, obwohl ich ihn daraum gebeten hatte - seine unmenschlich-arrogante Art und Weise scheint ja bei etlichen Medizinern zum Alltag zu gehören).
Wir sind immer dann gegangen und nicht wiedergekommen, wenn der Weg der Ärzte nicht "unser" Weg war. Ich glaube, irgendwie hat man einfach eine Vorstellung, was man will und mag (auch die Art und Weise der ärztlichen Behandlung gehört dazu. Damit meine ich die Art, einen Patienten als Mensch oder als Stück Fleisch mit Knochen zu behandeln).
Und dann sind wir losgezogen, und haben den nächsten Arzt gesucht. Solange, bis "alles" stimmte: Unsere Vorstellungen mit denen der Ärzte in etwa überein - die "Chemie" zwischen Arzt, Patienten und Angehörigem - die Therapievorschläge einleuchtend waren. Für mich - weil ICH muß verstehen, womit ich zukünftig leben muss.
Irgendwie habe ich als Kaufmann immer versucht, "Soll und Haben" abzustimmen - aber letztendlich glaube ich, habe ich "rein aus dem Bauch" entschieden.
Arzt und Therapievorschlag und Umfeld etc. stimmte - der Rest ist Faktor Hoffnung. Egal ob Immun-Chemo, Mistel oder dentritische Zellen.

Ich will versuchen, aus meiner Sicht als Patient zu beschreiben, was aus meiner Sicht scheinbar von vielen übersehen wird:

1. Ich hatte zwei Nierentumore zur gleichen Zeit
2. Die erste Niere wurde operativ entfernt, mit ihr ein positiv
befallener Lymphknoten
3. Die zweite Niere sollte operativ entfernt werden - damit
wäre ich Dialysepatient geworden, seit 1 Jahr
4. Wir haben uns für Embolisation und Thermoablation entschieden- damit war auch der zweite Tumor "weg"

Damit war ich doch "eigentlich" geheilt, oder? Es gab keinen sicheren Anhalt für weitere Metastasen, zwar kleinste Rundherde in der Lunge - aber das "kann theoretisch" alles mögliche sein, so sagte man uns.

Und hier fängt es immer wieder an, für mich "unangenehm" zu werden. Weil ich bei etlichen Beiträgen, die ich hier gelesen habe, diese Meinung zu lesen glaube.

Warum soll ich jetzt z.B. eine Immun-Chemo-Therapie machen - wo doch der Tumor restlos raus ist, keine Metastasen zu sehen sind oder entfernt wurden, befallene Lymphknoten raus sind -
und das ALLGEMEINBEFINDEN DES PATIENTEN JETZT SEHR GUT IST.

Die Tumore sind doch jetzt alle raus - damit ist der Krebs doch weg und ich als Patient bin doch "geheilt".

Ich möchte keinem Angst machen. Aber: Mein befallener und bei der ersten Nierenentfernung mit entfernter Lymphknoten wäre vielleicht monate- oder jahrelang NICHT in einem bildgebenden Verfahren wie CT, MRT und schon gar nicht Röntgen oder Ultraschall entdeckt worden. Die Krebszellen waren nur "mikroskopisch" klein, also nur unter dem Mikroskop als solche zu erkennen.Der Lymphknoten selbst war weder vergrößert, noch augenscheinlich während der OP auffällig. Woher weiß ich, ob nicht irgendwo ähnliche "unauffälige" - mikroskopisch kleine Tumorherde vor sich her wachsen? Denn Tatsache ist, daß eine Metastasierung nur über Lymphbahnen oder Blutbahnen stattgefunden haben muß.

Ich habe die Befürchtung, dass es nicht bei einer Metastase (und nichts anderes war der befallene Lymphknoten) bleibt.

Und deswegen MUSS ich in meiner persönlichen KREBSVORSORGE in die Zukunft schauen und vorsorglich tätig werden. WEIL mit Sicherheit nicht nur EINE Krebszelle in meinem Lymph- und Blutsystem unterwegs ist, sondern ............... wer weiß wie viele.
Die sich vielleicht morgen, in ein paar Monaten oder irgendwann als Metastase festsetzen können.

(Beweis bei mir: Befallenes Lymphknotenpaket im Mediastinum = Brustbereich) Und da ich, als Therapie und Vorsorge (auch wenn mir jetzt jeder Mediziner widerspricht, ich empfinde es als "doppelte" Therapie) "meine" Immun-Chemo gemacht habe, war als Ergebnis nach OP und patologischem Befund "eine ausgeprägte regressive Veränderung neben hohen Anteilen von abgestorbenem Gewebe" festzustellen.

Wir haben also "instinktiv" mit unserer Entscheidung FÜR die Immun-Chemo die Metastase im Lymphknoten erfolgreich bekämpft (ob so erfolgreich, dass eine OP letztendlich überflüssig gewesen wäre, weiss ich nicht. Andererseits gilt für die Therapie: Tumormasse nach Möglichkeit verkleinern - je weniger Tumormasse vorhanden, je besser die Chancen).

Dieses war mir mal wichtig, zu sagen. Ich will keine Angst machen, aber ich möchte, dass jeder Betroffene wachsam ist und nicht dem ersten Augenschein "ich bin doch jetzt entgültig tumorfrei und geheilt" glaubt. Dazu ist dieser Krebs zu heimtückisch.

Es braucht Jahre der Tumorfreiheit und Rezidivfreiheit, um nach einer Krebserkrankung als "geheilt" zu gelten.

Ich bin jetzt in der 5. Woche des Interferon-Interleukin-5-FU-Zyklusses. Ich bin in gutem körperlichen Zustand gestartet. Jetzt bin ich einfach "down", ich habe wieder meine Nebenwirkungen. Manche weniger als früher, manche mehr oder anders. Fragt nicht, wieoft ich "den ganzen Krempel hinschmeißen" möchte - drückt mir die Daumen, daß ich die restlichen (fast) 4 Wochen auch wieder durchstehe.

Ich wünsche Dir, Romy und vor allem Deinem Vater, daß er seinen/Ihr Euren Weg findet. Und gib ihm die Zeit, die er noch braucht, um dahin zu kommen.

Liebe Grüße
Jürgen
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