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Alt 28.11.2009, 05:54
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anthierry anthierry ist offline
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Meine lieben Mädels, Mitstreiterinnen, Daumendrückerinnen...

wie ihr an der Uhrzeit erkennen könnt, hält mich Morpheus nicht in seinen Armen.
Nachdem ich es nun schon Tage vor mich (mir?) herschiebe, nutze ich jetzt die Gunst der Stunde, um euch über den Stand der Dinge aufzuklären.
Aber ersteinmal vielen Dank für die vielen lieben Wünsche und Daumendrücker. Ich habe es gespürt und sicher waren diese vielen guten Gedanken auch ein Grund für meinen plötzlichen Kraftschub. Seid gewiß, auch meine guten Wünsche und Gedanken begleiten euch jederzeit - ob bekannt oder unbekannt.
Immerhin sind wir eine ganz eigene, leider ständig größer werdende "Familie". Aber der Zusammenhalt ist enorm und doch so wichtig für jede Einzelne von uns.
Also nochmals vielen Dank...
Claudia hat nach unserem letzten Telefongespräch ein paar Sätze hier eingestellt. Ein bissel ist verdreht, sie war auch so geschockt. Ich habe also keine 20 Tütchen Blutplasma bekommen, sondern insgesamt 18 Blutkonserven und 2 x Blutplasma (das meiste davon für die Katz - oder die Bauchhöhle) Auf der Palliativstation wurde ich wieder "aufgerichtet", im vorherigen, mir eigentlich vertrauten KH, war ich am Boden etc. Aber Claudi hat es nur gut gemeint. Ist ja auch egal. Jedenfalls wollte ich soviel Aufmerksamkeit eigentlich nicht, da hier jeder genug mit sich selbst zu tun hat und ich doch weiß, dass so viele untereinander aneinander denken.

Aber nun zum eigentlichen Dilemma:
Ich hatte ja schon seit dem Spätsommer Probleme mit dem Oberbauch. Der Bauch wurde dicker, mein Appetit immer weniger, Unwohlsein, öfteres Erbrechen etc., welches heimlich in mir ein Rezidiv bzw. Metas in BSK, Leber, oder wieder Magen vermuten ließ. Meine Onkologin schickte mich daraufhin zum CT, welches überraschend im Oberbauch alles o.B. (keine Raumforderungen u. keine Hinweise auf Metas) aber Tumore an beiden Ovarien anzeigte. Ein Tumor am rechten Ovar hatte bereits die Größe eines Neugeborenenkopfes - so der Ausdruck meiner Onkologin beim darauffolgenden Ultraschall. Nach jahrelangem Verweigern zog sie nun doch eine Total-OP in Erwägung, wollte sich aber noch mit Kollegen aus der Klinik (in der ich übrigens immer behandelt werde) beraten. Es sei aber auch noch kein Grund zur Panik. Damit ging sie für 3 Wochen in den Urlaub und danach wollten wir durchstarten - mit was auch immer. Aber es sollte anders kommen.
Nach diversen Stürzen mit Nasenbeinbruch und anderen verzichtbaren Zwischenfällen sollte es jetzt erst richtig losgehen - was für ein tolles Jahr!!!
Am 23. 10. hatte ich Spätdienst und im Nachhinein ist es mir ein Rätsel wie ich den noch geschafft habe. Nur gut, dass meine Kollegin Karin gefahren ist, ich hätte uns wahrscheinlich gegen die nächste Hauswand gefahren oder wäre gar nicht erst vom Fleck gekommen, weil ich zu schwach war die Pedale zu treten. Zu Hause bin ich dann in mein Bett aus dem ich bis zum Abmarsch ins KH am nächsten Tag nur noch kurz fürs Nötigste rauskam. Ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten, habe nur noch Magensaft erbrochen, Atemnot, Zittern, Schüttelfrost - Todesangst. Und ich hatte einen Bauch wie im 7. Monat!
Über den Notarzt wurde ich dann ins Sana-Klinikum Berlin-Lichtenberg aufgenommen, auf meine bekannte Station, in der mich die Schwestern und Ärzte kennen.Dort fühlte ich mich erst einmal gut aufgehoben und war mir sicher, die biegen das schon wieder hin.
Nach den ersten Untersuchungen dann die Ernüchterung. Es stand 5 vor 12.
Eingewiesen mit einem Hb-Wert von 3,3 zeigte nun auch das neueste CT das ganze Ausmaß der Katastrophe an. Schwere Aszites im gesamten Abdomen, Pleuraergüsse im Lungenbereich und der große Ovartumor blutete und blutete.
Ich bekam dann täglich 2 Blutkonserven aber so richtig kam ich nicht auf die Beine. Kein Wunder - so wie die Konserven in meine Venen liefen, so liefen sie von da über den Tumor in den Bauchraum. Dies wurde festgestellt, nachdem man per Punktion 5 Liter Bauchwasser abzog, welches blutig war. Ein Schock für alle, denn dadurch änderte sich natürlich auch die gesamte Hoffnung auf eine Heilung. Eigentlich gab es kaum noch eine...Die einzige Option wäre noch eine Chemo mit Taxol, eine andere gäbe es nicht, und wenn diese nicht greift, dann kann man leider nichts mehr tun. Ich konnte und wollte es nicht wahrhaben, obwohl ich ja spürte wie schlecht es mir ging. Aber man klammert sich dann wohl an alles - ich hatte doch immer so viel geschafft, bin dem Tod mehr als 3 x von der Schippe gesprungen, habe mich immer wieder aufgerappelt wenn die Ärzte schon verzweifelt aufgegeben hatten. Warum sollte das jetzt nicht klappen?? Die Gesichter der Ärzte sprachen aber andere Bände.
Mit der Option, dass jetzt schnellstmöglich die ambulante Chemo in meiner onkol. Praxis starten sollte, wurde meine Entlassung für den Freitag vorgesehen und die Chemo für den darauffolgenden Montag. Für mich war es unbegreiflich, wie ich in diesem zustand nach Hause entlassen werden soll und wie ich die Chemo durchstehen soll. Ich war aber fest entschlossen diese durchzuziehen, da dies meine einzige Überlebenschance ist.
Freitagmorgen - Entlassungstag. Ich warte auf meine Eltern, die mich abholen kommen, schleppe mich zur Toilette und kippe dort um. Also nochmal rein ins Bettchen und noch eine Riesentüte mit Elektrolyten - bloß gut dass es das gibt. Dann Richtung nach Hause unter Mamas Obhut. Aber unterwegs noch Stop in der Onkopraxis, da ja wegen Montag noch alles abgesprochen werden musste. Meine Onkologin war sichtlich erschrocken als sie mich sah, wähnte sie mich doch in einer besseren Verfassung. Wir verabschiedeten uns bis Montag und ihr besorgtes Gesicht habe ich jetzt noch im Kopf.
Zu Hause angekommen wollte ich nur noch in mein Bett, ich schlief stundenlang bis das ganze Theater von vorne wieder anfing. Kotzen, Atemnot, Hyperventilieren, Schüttelfrost und der Bauch füllte sich wieder und schwoll an. Samstag vormittag habe ich nach dem KH gebettelt - wieder Todesangst. Es war der 31. 10. - Halloween.
Nach dem üblichen Prozedre in der Notaufnahme kam ich wieder in meine "alte Kemenate" (GsD ein Einzelzimmer), alle Schwstern begrüßten mich wieder und auch der nette Dr. G., welchen ich ja bereits seit 2004 kenne und der mich die vergangene KH-Woche auch betreute. Überrascht - oder nicht überrascht - mich so schnell wiederzusehen.
Er punktierte mir dann noch einmal den Bauch, damit ich wenigstens wieder etwas Erleichterung beim Atmen habe. Nach so einer Punktion sah ich immer aus als hätte mich jemand verprügelt, Hämatome rings um den Körper.
Es waren wieder kanppe 5 Liter. Nach ca. einer Stunde kam er zurück mit sehr ernster Miene und teilte mir mit, dass der Hb-Wert der punktierten Flüssigkeit höher ist als der in meinen Venen (der lag bei 3,0), was hieß, das der oder die Tumore nicht aufhören zu bluten und die Ärzte nicht wissen wie sie diese stoppen sollen. Er nimmt an, dass ich diese Nacht nicht überlebe, es sei denn, ich möchte noch weitere Blutkonserven, dann würde sich dies in den nächsten Tagen "entscheiden". Ich hätte jetzt die Wahl: das "Elend" abzukürzen oder hinauszuzögern - er wäre verpflichtet mir weitere Konserven zu verabreichen wenn ich das wünschte. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, wußte gar nicht was ich denken sollte...sterben...heute...morgen...jetzt...wieso jetzt so schnell...ich will nicht.
Die Oberschwester hatte in der Zwischenzeit meine Familie angerufen, ich in lauter Panik meine Freundinnen. Ich habe geheult und wußte gar nicht was ich da eigentlich ins Telefon stammle. 10 Min. später saß meine Freundin am Bett und ließ meine Hand nicht mehr los, konnte das alles gar nicht begreifen. Genauso ging es meiner Familie. Keiner wollte das wahrhaben und ich habe nur noch nach einer Blutkonserve gejammert - wie man doch an seinem Leben hängt.
Für meine Mutter wurde ein Bett ins Zimmer geschoben. Sie hielt die ganze Zeit meine Hand und wachte. Ich traute mir nicht die Augen zu schließen aus Angst ich würde nicht wieder aufwachen. Dr. G. meinte, das wäre doch ein schöner Abgang. Ich finde auch dass das ein schöner Tod ist, aber nicht unbedingt mit 46 Jahren und wenn man noch nicht alles erledigt hat auf Erden.
Auf Drängen meiner Onkologin sollte die Chemo wie geplant am Montag stattfinden, allerdings im KH. Der "Cocktail" war auch bereits individuell für mich gemixt und hing am Ständer, nur fand sich niemand, der diesen anschloss. Ab gegen 19 Uhr "opferte" sich mein Dr. G. Meine Schwiegertochter saß auf meinem Bett und wir beschworen den Cocktail er möge helfen und den Krebs für alle Zeiten verjagen. Dabei drehten wir den Schlauch in unseren Fingern wie einen Rosenkranz. Dr. G.machte und wieder "Mut" mit den Worten, er wäre schon froh, wenn ich diesen Cocktail überhaupt überlebe. Schon aus Trotz habe ich ihn überlebt und wie durch ein Wunder - entweder durch die Chemo, die Gebete, guten Wünsche, Daumendrücker oder wie auch immer - hörte es auf zu bluten. Dennoch waren die Ärzte in diesem KH der Meinung, nichts mehr für mich tun zu können, es würde keine Chemo dort weitergeführt, keine Punktion etc. - austherapiert. Ich könne da auch nicht bleiben, es sei ja ein Mamazentrum und keine Pflegestelle. Man müsse jetzt schnell überlegen wohin. Häusliche Krankenpflege, Palliativstation oder Hospiz. Das kriegt man alles vom Chefarzt so vor den Latz geknallt, wo man doch wieder etwas Hoffnung geschöpft hat.
Ich glaube, der ganze Trotz in mir hat mich wieder aufbäumen lassen. Ich hatte so eine innere Wut auf die A.....löcher in weiß! Ich habe am 5. 11. dort noch meinen 47. Geburtstag gefeiert. Morgens weckten mich die Schwestern (die übrigens alle Klasse sind, Mut machen, trösten) mit den Worten: Happy Birthday, ein strahlender Sonnentag mit wunderschönem blauen Himmel für eine Strahlefrau, die es wieder allen zeigen wird. Gibt es schönere Geschenke??
Am Nachmittag kam dann auch noch die OÄ mit einem weiteren "Geschenk" - sie werden morgen ins Klinikum Havelhöhe in Berlin-Spandau auf die Palliativstation/Hospiz verlegt. Meine Familie und ich saßen da wie versteinert. Das hieß: 1 mal quer durch die Stadt, eine Strecke ca. 1,5 Stunden. Da kann nicht mal einer schnell ins Krankenzimmer gucken...Das hieß, weniger Besuch und das Gefühl ganz, ganz weit weg zu sein. Ich habe so geschluchzt und gedacht, jetzt schieben die dich zum sterben auch noch an den A..... der Welt. Undin dieser Verfassung bin ich am 6. 11. auch in der Havelhöhe eingerückt... Aber die haben mich wieder aufgepäppelt. Ganz liebevoll, mutmachend, ehrlich, nichts beschönigend, aber behutsam. Mit ganz viel Zuwendung, Massagen mit Aromaölen und vor allem einer Schmerztherapie. Natürlich hat es gedauert bis die Medikation gefunden war, die mich schmerzfrei macht, aber jetzt ist alles entspannt. Ich bekomme Morphin, welches ich mir morgens und abends selbst spritze. zusätzlich wurde noch mit der Misteltherapie angefangen - vorher hatte das die KK abgelehnt.
Das spritze ich mir auch selbst. Im Moment bin ich voller Hoffnung und sammle Kraft. Ich möchte noch leben. Ich habe die schlimmsten 4 Wochen meines Lebens hinter mir, die mich völlig umgekrempelt haben. Ich lasse mir nichts mehr gefallen - auch nicht von Weißkitteln - und werde den Rat der Ärztin der Palliativstation befolgen:nur noch das an mich heranzulassen, was mir guttut - alles andere weg damit! Das ist ein hartes Stück Arbeit.
Gestern habe ich meine 2. Chemo in meiner vertrauten Ambulanz bekommen. Dort habe ich mich wieder "zu Hause" gefühlt, wurde mit den Worten begrüßt: schön, dass sie wieder bei uns sind - wir schaffen das auch diesmal! Die aktuelle Diagnose (nachzulesen im Entlassungsschreiben) hat mich aber doch umgehauen:
Peritonealkarzinose sowie begleitende mesenteriale Karzinose, Paraaortal vergrößerte LK. Massiver, geamtes Abdomen einnehmender blutiger Aszites mit schwimmenden Darmschlingen - inoperabel
Das will ich mal hoffen. Diese ganzen Schmerzen und Tortouren der letzten Wochen müssen ganz einfach ein Happy End haben. Hoffnung stirbt zuletzt!
Jetzt kommt aber doch etwas Müdigkeit gekrochen. Ich werde mich einfach wieder einkuscheln und versuchen etwas abzutauchen.
Habt noch einmal vielen Dank für euren lieben Wünsche! Mit Sicherheit haben sie dazu beigetragen dass ich jetzt da bin wo ich bin.
Ich wünsche auch euch nur das beste, aber das wißt ihr ja.
Versuche euch regelmäßiger auf dem neuesten Stand zu halten.
Alles, alles Liebe und viele Grüße
Anja
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Erstdiagnose Jan. 2004
pT4a(mf)pN2a (5/6) M1 G1-2 ER 80% PR 80% C-erb Score 1+) Ablatio links, 6 Knochenmetas - Rezidive 2007 und 2009
Krebs ist nichts für Feiglinge. Krebs ist eine Erfahrung, auf die ich gern verzichtet hätte.

Geändert von anthierry (28.11.2009 um 06:14 Uhr)