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Alt 13.12.2002, 00:49
Gast
 
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Standard Lebenserwartung

Meine Mutter starb am 22.10.02. Bisher war ich nur 2 mal in diesem Forum. Jeweils "nur" zum lesen. Seit Januar ging alles los. Zunächst Vorstadium Brustkrebs. Aus Sicherheitsgründen entschied sie sich, die Brust wegmachen zu lassen. Danach angeblich eine Lungenentzündung. Es war aber dann doch Lungenkrebs. kleinzellig. Hier las ich: Lebenserwartung in der Regel bis 3 Jahre.

Trotz mehrmaligen Gesprächen bei den Fachärzten bekam ich nie eine genaue Aussage! Chemo musste nach 2 Behandlungen abgesetzt werden. Die Nebenwirkungen waren so stark, dass sie 2 mal das Bewusstsein verlor. Sie konnte nichts mehr essen. Irgendwann bekam sie dann endlich eine Magensonde, über die sie ernährt wurde.

Mitte Juli kam sie nach Hause. Sie wusste, dass sie 3 Monate zuhause sein durfte. Man erklärte ihr, sie sei zu schwach für Bestrahlungen. Für Chemo sowieso - aber die lehnte sie jetzt auch ab - lieber wollte sie sterben - das hat sie so gesagt - und ich gab ihr zu verstehen, dass ich sie verstehe und ernst nehme. Ich akzeptierte Ihre Entscheidung ohne wenn und aber!!! Man muss die Patienten ernst nehmen!

Wenigstens mein Hausarzt war so fair und klärte mich nach Fragen meinerseits auf, dass sie höchstwahrscheinlich nur noch 6 Monate habe. Mir kamen die Tränen. Und ich schämte mich nicht deshalb!! Dankte dem Hausarzt für die offenen Worte und auf dem Heimweg machte ich Rast. Ich musste mich wieder fassen. Vor meiner Ma wollte ich nicht weinen. Nicht zu diesem Zeitpunkt. Ich gab ihr aber in den nachfolgenden Wochen zu verstehen, dass ich Hoffnung habe - und erst, wenn die wirklich schwinde - weil ihr Gesundheitszustand nachlässt - wäre ich auch bereit, mit ihr den Weg in den Tod zu gehen - d.h. Begleitung für sie sein. Sie nicht alleine lassen.

Wir machten das einzig richtige. Wir besuchten die Verwandten, wenn sie sich einigermaßen fühlte. Ich fuhr mit ihr im Rollstuhl spazieren. Wir spielten Karten. Wir knuddelten - wie wir es früher getan haben!!

Ich sagte ihr oft, dass wir das einzig richtige machen sollten: Jeder Tag einzeln betrachten und für sich genießen. Und das haben wir auch gemacht.

Parallel dazu hatten wir auch Aussprachen - über den Tod - übers Sterben u.s.w. Wir redeten offen! Ich weinte auch später bewusst auch vor ihr. Sie sollte wissen, dass ich sie liebe!!! Sie sollte wissen, dass ich sie nicht verlieren wollte! Das tat ihr gut!

Wir hatten beide auch jeder für sich alleine schlimme Phasen. Ihre hab ich natürlich nicht mitbekommen. Aber ich weiß, dass es sie gab. Und meine? Nun ja, mein Lebenspartner war für mich und auch für meine Mutter da. Er tröstete mich. Und tut es jetzt auch noch. Und ich betete oft zu Gott, dass er entweder ein Wunder geschehen lassen sollte oder aber sie schnell und schmerzlos zu sich nehmen sollte...

Er erhörte mich! Nach 3 Monaten starb sie in ihrem Bett zuhause.

Sie ist erlöst. Lebte ihr Leben. Genoss mit mir die Zeit!

haraldthul@aol.com

P.S.: Ich denke immerwieder daran, wie sie im Krankhaus lag und ein Fussball-WM-Spiel mittags mit Deutschland kam. Ich holte sie mit dem Rollstuhl ab - ich fuhr sie ins Kino - dort wurde es live übertragen... Sie war glücklich, dass ich für sie da war. Ich habe alles möglich gemacht. Selbst Einfälle gehabt und sie eingeladen. Sie machte alles mit, was ging. Das ist Leben! Sie war eine großartige Frau. Mit Tränen der Trauer aber auch des Glücks, dass ich so eine Mutter haben durfte, ende ich nun.