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Alt 25.07.2008, 12:05
teich1 teich1 ist offline
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Standard AW: Diagnose GLIOBLASTOM IV

Liebe Mirjam,

mach´Dir keine Gedanken, ob Du uns irgendwann etwas zurückgeben kannst.
Erstens gibst Du uns Deine Geschichte, Deine Ängste und Zweifel, und das Vertrauen, dass wir vielleicht für Dich da sind (so wie gute Freunde) und zweitens wirst auch Du die Gelegenheit haben, mit dem Erlebten und Deinen Erfahrungen anderen Menschen zu helfen. Es ist ein Nehmen und Geben, mach´Dir darüber keine Gedanken.

Ich habe auch erst direkt nach dem Tod meines Papas hier im Forum geschrieben und das hat mir, genau wie Daggi auch, so eine Last vom Rücken genommen, dass es mir danach oft besser ging.

Natürlich muß man auch weinen, wenn man darüber schreibt, weil die ganzen schlimmen Erlebnisse - die Qual von Papa, die Hilflosigkeit und Tränen von Mama und Papa, das Mitansehen müssen, dass es kontinuierlich schlechter wird- wieder so vor Augen hat, als wäre man jetzt soeben von dort gekommen. Dieses Erinnerung und das Bild werde ich immer vor Augen haben.

Aber ich weiß auch, dass sich mit jeder Träne, die ich hier im Forum beim Schreiben verloren habe, ein Stück von dem Kloß in meinem Hals und ein Stück von dem "Magengeschwür", welches ich gefühlsmäßig hatte, verschwunden ist. Genau wie Daggi bin ich mit den letzten Monaten mit meinem Papa und vor allen den letzten Tagen bei meinem Papa stark geworden und habe auch wirklich keine Angst mehr vor dem Tod. Ich habe die Erlösung meines Papas gesehen und gespürt.

Dieses Gefühl brachte mir eine innere Zufriedenheit und Zuversicht, auch wenn ich unendlich traurig bin, dass meine Mama mit 57 Jahren jetzt alleine ist. Das ist nicht fair, hatten meine Eltern doch im Januar noch ihren 40ten Hochzeitstag und waren nach wie vor glücklich miteinander. Sie gingen immer noch händchenhaltend spazieren und küßten sich auch in unserer Gegenwart.
Das sie das nicht mehr hat, ist eigentlich jetzt noch schlimmer für mich, als das Papa nicht mehr da ist. Weil ich, wie gesagt, die Gewißheit habe, dass es ihm dort, wo er nun ist, besser geht, als hier...

In den letzten Wochen vor Papas Tod habe ich mich regelrecht zerrissen, um alles zu bewerkstelligen und oft bei Papa zu sein. Ich war vor meiner Arbeit dort - brachte jeden Morgen Brötchen -, ich war jeden Mittag dort, obwohl ich nur ein dreiviertel Stunde Pause hatte und nach Abzug des Hin- und Rückweges im Prinzip nur 15 Minuten bei ihm bleiben konnte, und oft abends und am Wochenende oder Sonn- und Feiertagen. Zwischendurch die Arbeit,
Erledigungen für meine Mama, dann habe ich selber ein großes Haus mit großem Garten und natürlich meinen Mann, mit dem ich ja auch Zeit verbringen wollte. Aber er war verständnisvoll und sagte auch immer, dass nur noch zählt, soviel Zeit wie möglich mit meinem Papa zu verbringen.

Ich habe sogar überlegt, ab Juli die Pflegeversicherung in Anspruch zu nehmen, wo Angehörige zu Hause bleiben können, um einen Kranken zu pflegen. Meine Mama war ja schon zuhause -sie hatte sich krank schreiben lassen- und irgendwie soetwas in der Art hätte ich vielleicht auch gemacht, um ihr mit Papa zu helfen...Irgendwie hätten wir es gemeinsam geschaftt, aber es war ja im nachhinein nur ca. 1,5 Wochen, wo er nur noch im Bett lag und selber gar nichts mehr mithelfen konnte, bevor er verstarb.
Während dieser Zeit bin ich immer wie blind durch die Gegend gerast, habe meine Pause überzogen -weil ich mich nicht von Papa trennen wollte- und einige Kilos abgenommen.

Was ich Dir sagen will: Mehr als aufopfern geht nicht und Du leistest wirklich alles, was Du kannst. Sei stolz auf Dich, auch wenn Du es jetzt noch nicht so siehst, irgendwann kannst Du es ruhigen Gewissens sein und es wird auch so sein. Da kannst Du uns "alten Hasen" glauben und vertrauen.

Zu Papas Lebzeiten, vor allem die letzten Wochen, hatte ich immer Angst, ihn womöglich einen Tag nicht zu sehen, zumal man ja nicht wußte, wie es so weitergeht. Auch Samstags und Sonntags wollte ich möglichst viele Stunden mit ihm verbringen und das habe ich auch. Ich bin froh darüber, auch wenn in diesen Wochen mein eigenes Leben wie in Trance stattgefunden hat... Mein Leben war zur Nebensächlichkeit geworden, alles was zählte, war Papa. Bei Papa zu sein und Papa mit zu zeigen, dass ich Mama auch helfe. Wo ich nur kann. Und wenn wir uns zu zweit abgemüht haben, ihn im Bett hinzulegen, anzuziehen etc., er hat gespürt, wir schaffen es. Wir haben die Kraft und wir sind für ihn da.

Das war der Streß und all die schrecklichen Momente wert, denn es schweißt zusammen und verbindet. Diese Verbindung, gerade zu meiner Mama, gab es vorher nicht. Jetzt gibt es sie, so dass das Schreckliche widerrum auch etwas Gutes hatte. Vorher haben wir nur Belanglose Sachen besprochen, in der Zeit mit Papa -am Anfang als er die Gewebeprobeentnahme hatte - und wir oft zusammen nach Münster (ein Weg eine Stunde Fahrtzeit von uns) gefahren sind, haben wir schon die ersten tiefgründigen Gespräche geführt, und als ich dort ein paar Tage gewohnt habe (bevor und als Papa starb) noch viel intensiver. Ich denke, es wäre sonst nie zu soetwas gekommen...

All das führt dazu, dass ich heute sagen kann:"Ich brauche nichts bereuen, ich habe wirklich meine ganze Aufmerksamkeit und meine Liebe Papa und Mama gegeben. Vielleicht habe ich auch aus diesem Grunde zu einer inneren Ruhe gefunden. Es ist ein gutes Gefühl und ich weiß, dass wirst Du auch bekommen.

Es ist schön, wenn diese schreckliche Krankheit wenigstens dazu führt, dass man sich gegenseitig versucht zu helfen. Menschen, die man vorher nicht kannte und nie gesehen hat. Wir hoffen zusammen, wir freuen uns zusammen und weinen wahrscheinlich auch zusammen, ohne uns zu kennen.

Unsere verstorbenen Papas und Mamas wären glücklich darüber und wüßten, dass ihr Leid etwas in der Welt verändert hat.

Die Menschen nehmen sich Zeit füreinander und beschäftigen sich nicht nur mit sich selbst. Plötzlich spielen wieder Gemeinsamkeit und Hilfsbereitschaft
eine große Rolle in unserem Leben.

Und das war auch immer die Einstellung meines Papas. Erst den anderen Menschen helfen, dann an sich selber denken. Und darum bin ich stolz.
Auf ihn und vielleicht auch ein bißchen auf mich, weil er mir ein paar von seinen besten Genen vererbt hat.

Ich finde Euch alle ganz tapfer und bin froh, dass wir einander haben.

Ganz, ganz liebe Grüße und eine dicke Umarmung für jeden einzelnen von Euch.

Ich wünsche Euch ein schönes, sonniges Wochenende. Und wenn Ihr die Wärme der Sonne spürt, dann fühlt Euch von mir umarmt...

Petra

P.S. Verzeiht die vielen Zeilen, aber wenn es einmal aus einem heraus sprudelt
kann man es kaum bremsen.
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