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Alt 27.09.2005, 20:08
Delia1 Delia1 ist offline
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Standard AW: Die Liebe meines Lebens

Mein lieber Schatz,

das war er also, unser erster Italienurlaub nach 34 Jahren ohne dich.
Wir haben in diesem Urlaub mehr Leid und Freude erlebt, als wir uns hätten vorstellen können. Ganz zu schweigen von den "Dingen" die es gar nicht geben kann und wenn mir jemand anderer davon erzählt hätte, ich könnte es nie glauben, dass so was möglich ist.

Schon bei der Ankunft am Flughafen von Venedig war alles anders als sonst. Es "regnete" zum ersten mal in 34 Jahren. Als würde auch der Himmel mit uns trauern. Auch unser alter Taxifahrer, dessen Frau letzten Mai an Krebs starb war noch sehr traurig und meinte, dass seine Trauer eigentlich immer mehr würde statt weniger.
Während der ganzen Stunde Fahrt hat es geregnet und kurz vor unseremZiel gab es dann noch einen schlimmen Unfall. Vor uns fuhr ein Wagen und ein anderer kam uns entgegen, als ein junger Mopedfahrer noch dazwischen überholen wollte. Wir sahen ihn erst, als das Moped auf die eine Strassenseite flog und er über den Kühler des Wagens vor uns schleuderte. Aber er hatte wirklich jede Menge Glück, denn er konnte sofort aufstehen und es hat ihm wohl auch nichts gefehlt, nur der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Als wir endlich im Dorf ankamen, ging es dann schon los und wir mußten an der Rezeption erzählen, dass du nicht mehr dabei bist und so ging es auch den ganzen Tag weiter. All die Leute die dich 34 Jahre lang kannten und liebten. Uns ging es sehr schlecht und am Liebsten wären wir wieder heimgeflogen. Am Abend dann der leere Stuhl an unserem "Stammtisch" im Restaurant und dann nachts, das leere unbezogene Bett neben mir. Am Morgen als die Sonne mich weckte und ich rübersah, wo du doch eigentlich schon wach gelegen und in einem Buch gelesen hättest. Ich konnte nur noch weinen. Als ich nachher mit Carina sprach gestand sie mir, dass sie in dieser Nacht, genauso wie ich, schreckliche Angstzustände und Beklemmungen hatte. Wir schworen uns, wenn es am dritten Tag nicht besser ist, fliegen wir wieder zurück.

Der zweite Tag war auch nicht sehr leicht, denn wo wir auch hingingen, folgten wir deinen Spuren von all den Jahren, die du auch mit uns dort gelaufen bist. Und immer wieder trafen wir Bekannte, die es noch nicht wußten und entsetzt waren und weinten. Auch das Abendessen an diesem Tag war noch nicht sehr schön. Und als wir zu Bett gingen, dachten wir eigentlich schon an den Rückflug.

Aber am dritten Tag schien beim Aufwachen die Sonne etwas heller zu scheinen und ich hatte ein unglaubliches Glücksgefühl in mir. Als ich zu Carina ging und es ihr erzählte, meinte sie, dass es ihr genauso gehen würde. Auch sie hatte zum ersten mal sehr gut geschlafen und nun das Gefühl es würde ein schöner Urlaub werden. Wir haben plötzlich beide das Gefühl gehabt, als wolltest du nun deinen Urlaub mit uns geniessen. Und wir haben den ganzen Tagesablauf geändert. Sind zum Markt und haben "natürlich" wieder etwas Kleidung gekauft und hörten auch schon wieder von dir :"Na ja ihr müßt es ja schleppen". Dann nachmittags im Ort spazieren und abends nicht ins Restaurant, sondern Pizza al taglio im Stehen gegessen und nachher in der Bar unseres Restaurants ein Weißbier und einen Grappa getrunken. Unser lieber Wirt war so begeistert, dass wir wenigsten noch auf einen Drink reinschauen, dass er den Grappa für uns ausgab. Nach einem sehr schön verbrachten Tag, gingen wir beide glücklich ins Bett. Hätten wir ahnen können, was am nächsten Tag passiert, hätten wir sicher nicht so seelig geschlafen.

Unser vierter Tag begann sehr früh. Schon um halb sieben ans Meer den Sonnenaufgang anschauen und weil es so nett war, liefen wir gleich die paar Kilometer den Strand hinauf bis zur Insel Albarella. Natürlich war es in der Zwischenzeit schon ganz schön heiß geworden und Carina meinte auf dem Rückweg man könne ja im nächsten Ort ein Eis kaufen, wie immer. Ich erklärte ihr, daß ich doch gar kein Geld dabei hätte und sie meinte, dass ich dich doch ersetzten müßte, denn du hattest ja immer etwas Geld in deiner Shorts. Auf meine Antwort, dass ich mich daran auch erst gewöhnen müsse, schaute sie mit einem vorwurfsvollen Blick nach meiner Seite in den Himmel und meinte:" Siehst du Dad, sie kann dich einfach nicht ersetzten und du fehlst auch bei den wirklich wichtigen Dingen. Jetzt gibt’s kein Eis für dein Kindi." Nun liefen wir also in der Hitze weiter den Strand entlang. Bei diesem Strand handelt es sich um einen sogenannten "wilden" Strand, das heißt er wird nicht gepflegt und es gibt da auch kaum Leute nur ab und zu ein paar Spaziergänger. Wir liefen noch ein paar Minuten, als ich am Boden eine angeschwemmte Wurzel sah und darunter etwas rosa silbernes. Als ich Carina darauf hinwies und meinte sie solle es doch mal anschauen, bückte sie sich und hob das Stück Papier auf. Ich sah ihre Verblüffung als sie sie es entfalltete und ihren Blick in den Himmel mit einem :"Danke Dad". Es war ein nagelneuer 10 Euroschein!! Man kann es nicht glauben. Wie und breit war kein Mensch zu sehen und der Schein war auch wirklich ganz neu und schön gefaltet und nicht nass, obwohl der ganze Boden vom Meerwasser patschnass war. Man könnte nun sicher viele Erklärungen finden, aber für uns gab es nur eine. Du wolltest uns eine Freude machen und den Urlaub wieder so richtig mit uns geniessen. Wir haben uns also das Eis doch kaufen können und auch gleich die Einkäufe für mittag und das Gefühl, dass du bei uns bist wurde noch stärker. An diesem Abend sind wir wieder ins Restaurant und der leere Stuhl war plötzlich nicht mehr so leer und der Abend klang wunderschön aus.

Auch am nächsten Tag liefen wir wieder den Strand hoch und unterhielten uns über dich, wir haben seit deinem Tod noch nie so viel über dich geredet wie hier. Ist ja auch kein Wunder Strand rauf und runter sind drei Stunden. Wir waren auf Muschelsuche, weil es in der nacht etwas gestürmt hatte und da findet man oft welche. Aber es gab keine wirklich schönen Muscheln und wir waren schon etwas enttäuscht, als Carina sich plötzlich bückte und meinte:"Schau mal, die sieht ja interessant aus." Sie hielt mir eine Engelsflügelmuschel hin. Die gibt es eigentlich hier gar nicht und wir hatten uns vor vielen Jahren mal eine sehr teuer in England gekauft, weil es sie nur in Amerika und der Südsee gibt. Und nun lag sie hier am Strand von Rosolina Mare. Carina meinte, dass du uns die wohl geschickt hast. Ein kleines Engelsflügelchen. An der Muschel fehlte die Spitze und sie hatte einen kleinen Sprung und Carina meinte:"Siehst du, wie Dad. Er war auch nur ein Mensch und nicht perfekt und hatte auch seine kleinen Fehler und hiermit zeigt er es uns, dass er es auch weiss."

Am letzten Tag sind wir wieder den Strand hoch zum Abschied und haben über dich geredet. Ich war mal wieder sehr traurig, weil du mir ein paar Tage vor deinem Tod Blumen schenken wolltest. Du hattest Carina gebeten, schöne zu besorgen. Doch es gab gerade da keine und du hast zu ihr gesagt, sie solle dann morgen welche besorgen. Leider ging es dir dann so schlecht, dass sie nicht mehr daran dachte und dann hast du uns verlassen. Ich habe die Blumen also nicht mehr rechtzeitig bekommen. Und während wir noch so davon reden und am Strand laufen, bückt Carina sich plötzlich und meint:" Ich glaube Dad möchte dir jetzt seine Blume schenken." Und sie hält mir eine kleine wunderschöne rote Seidenrose entgegen. Und auch sie war total trocken im Sand gelegen, obwohl der Sand nass vom Wasser war und weit und breit kein Mensch zu sehen. Ich hielt die Rose in meinen Händen und sie war wunderschön und ähnelte etwas der kleinen Plastikrose, die du mir bei unserem ersten Oktoberfestbesuch geschossen hattest. All das war zuviel für mich und ich begann hemmungslos zu heulen. Carina meinte, ich solle doch aufhören, weil du uns doch zeigen willst, wie sehr dir der Urlaub gefallen hat. Und wie um es zu bestätigen, erschien in diesem Moment der größte und schönste Regenbogen über dem Meer, den ich je sah. Er ging von einem Ende des Horizonts bis zum anderen. Und Carina meinte, dass du uns nun wohl nach Hause begleiten möchtest. Den ganzen Weg bis Nachhause war er da und er verblasste von hinter uns, so als wolle er uns den Weg nach vorne noch zeigen. Als wir wieder an den belebten Strandteil kamen, standen alle Leute da und staunten über diesen herrlichen Regenbogen. Ich fühlte mich so getröstet und beschützt und wußte, dass auch du diesen Urlaub genossen hast.

Nun sind wir wieder zuhause, aber in meine Trauer mischt sich immer mehr dieGewissheit, dass vielleicht stimmt was schon in alten Büchern steht: Wenn die Liebe sehr groß ist, wird sie auch nach dem Tod nicht enden. Ich glaube, es gibt wirklich Dinge zwischen Himmel und Erde, die man nicht erklären kann. Aber warum sollte man das auch wollen, wenn es so herrliche Dinge sind, wie wir sie erlebt haben.

Bis bald
mein Schatz
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