Thema: verzweifelt
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Alt 02.10.2001, 16:27
Gast
 
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Standard verzweifelt

Hallo liebe Liane und liebe Sabrina,

ich kann Eure Verzweiflung gut verstehen und natürlich auch den Wunsch, dass Eure Freundin und Schwiegermutter kämpfen. Ich kann die Überlegungen verstehen, dass die bisherige Lebensführung vielleicht zu anstrengend war und geändert werden müsste und alles andere, was man so überlegt, wenn man sich fürchterliche Sorgen um jemanden macht.

Als Gesunder verfällt man gerne in wilde Betriebsamkeit, wenn ein nahestehender Mensch schwer erkrankt ist und vergisst darüber manchmal das Wichtigste: zuhören und mitfühlen, einfach nur in den Arm nehmen und vielleicht sogar zusammen weinen.
Eure Freundin und Schweigermutter sind sehr, sehr krank und sie bekommen von den Ärzten garantiert täglich tausend Anweisungen und Tipps, was sie tun und bleiben lassen sollen. Wie erholsam muss es da sein, sich bei nahestehenden Menschen auch zwischendurch einfach mal fallenlassen zu können.

Bei meiner Mutter habe ich auch manchmal gedacht, dass sie zu wenig kämpft bzw. die falsche Mittel einsetzt. Aber sie brauchte einfach oft nur mehr Zeit. Zeit sich mit der schrecklichen Diagnose abzufinden, Zeit sich darüber Gedanken zu machen, dass sie vielleicht sterben muss, Zeit, sich auch ohne Haare im Spiegel angucken zu können, Zeit, sich über ihren Körper zu ärgern, der plötzlich nicht mehr belastbar war ... Mich hat das oft völlig verrückt gemacht, weil ich die ganze Zeit dachte: Zeit ist das, was einem diese Krankheit ja gerade nicht lässt.

Nur langsam habe ich gemerkt, dass für einen kranken Menschen die Energie und Tatkraft der Gesunden manchmal unerträglich ist und meine Mutter sehr wohl gekämpft hat. Aber auf die Art und Weise wie es ihrem Typ und ihrem Leben entsprach und nicht so, wie ich es wollte. Irgendwann war ich soweit, dass ich es auch akzeptiert hätte, wenn sie nicht gekämpft hätte. Ich hatte endlich kapiert, ihre Entscheidungen zu respektieren. Natürlich habe ich weiterhin recherchiert und nach weiteren Behandlungsmöglichkeiten Ausschau gehalten. Aber anders als am Anfang habe ich ihr "nur" davon erzählt und es dann ihr überlassen, ob es für sie von Interesse ist. Ich habe aufgehört, Druck auf sei auszuüben, denn noch mehr Druck konnte sie beim besten Willen nicht gebrauchen!

Das Buch "Mut und Gnade" von Ken Wilber schleppte ich damals Tag und Nacht mit mir rum. Ich weiß nicht, wie oft ich es gelesen habe, unzählige Male. Dort gibt es unter anderem mehrere Seiten zum Thema "Helfer eines erkrankten Menschen" und mir wurde bewusst, wie verletzend manchmal so gute gemeinte Tipps sein können wie bspw. "ändere Dein Leben". Beinhaltet dieser Satz doch, dass man sein Schicksal immer und jederzeit in der Hand haben kann, wenn man es nur richtig anstellt und selbst Schuld hat, wenn man den Kampf dann vielleicht am Ende doch nicht gewinnen kann.

Ich weiß, dass Ihr es gut meint und Euch fürchterliche Sorgen macht. Ich weiß auch, dass Ihr das Gefühl habt, doch irgendetwas tun zu müssen. Aber so wie Ihr die Freundin und Schwiegermutter beschreibt, helfen liebevolle Anteilnahme und geduldiges Zuhören zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht besser als alle noch so gut gemeinte Tipps. Fragt sie doch auch mal, womit Ihr sie am besten unterstützt, was sie sich am meisten von Euch wünschen.

Alles Liebe, Josefine
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