Einzelnen Beitrag anzeigen
  #32  
Alt 12.10.2007, 13:08
Stefans Stefans ist offline
Gesperrt
 
Registriert seit: 27.01.2007
Beiträge: 428
Standard AW: mein Sohn hat Panikattacken

Hallo Nikita,

Zitat:
Zitat von nikita1
ich tabuisiere nicht
Das war auch nicht auf dich bezogen. Sondern darauf, dass meine Schwester sich in Sachen "meine Nichte und ich" auch ganz anders hätte verhalten können - wie es manche Eltern wohl getan hätten: sie von mir wegziehen und ihrem Kind erklären, dass Onkel Stefan krank ist, dass man mit dem keinesfalls über das und das sprechen darf, und dass man ihm am besten aus dem Weg geht.

Zitat:
Man sollte Kinder sehr wohl schuetzen, wenn man es kann
Ja, wenn man es kann. Meiner Nichte ist vor längerem ihre einzige Tante innerhalb von 6 Monaten an Schilddrüsenkrebs gestorben :-( Sie war oft am Krankenbett, sie hat den schnellen Verfall und die Beerdigung miterlebt. Schuetzen ging da schlecht. Allerdings war sie da noch in einem Alter, wo sie sich mit der Erklärung, dass ihre Tante jetzt im Himmel lebt statt auf der Erde, zufrieden gab. Und auf die Frage WARUM mit der Erklärung, dass der liebe Gott das nunmal so bestimmt hat. Sie hat bei der Beerdigung in den Himmel geguckt und ihrer Tante zum Abschied gewinkt (gewunken?).

Auch das hat ihr nicht geschadet. Andere Eltern hätten nie erlaubt, dass meine Nichte ihre Tante sterben sieht, geschweige denn zur ihrer Beerdigung geht. Die hätten aus ihrer Angst, dass das arme Kind ein Trauma davon bekommen könnte, ihr etwas vorgelogen und nur hinter ihrem Rücken davon gesprochen. Halt so, wie ich das aus meiner Kindheit kenne. Und was ich letztens als Atmosphäre der "Verlogenheit" bezeichnet habe, von der ich überzeugt bin, dass schon (oder erst recht?) kleine Kinder sie durchschauen. Dass meine Schwester dieses Thema so "normal" gehandhabt hat, hängt sicher auch damit zusammen, dass sie seit ewigen Zeiten als Krankenschwester in der Intensivmedizin arbeitet. Die hat täglich mit Sterben und Tod zu tun. Und wenn sie damit nicht "pragmatisch" umgehen könnte, könnte sie diese Arbeit nicht machen. Dass sie diesen "Pragmatismus" (mir fällt kein besseres Wort ein; Ehrlichkeit? Offenheit?) ihrer Tochter vermittelt hat, rechne ich ihr hoch an.

Zitat:
Und man sollte als Mutter oder Vater auch nicht "schwach" sein , obwohl die Krebserkrankung an sich ja schon Schwaeche in der uebelsten Form darstellt - ich hoffe, du verstehst , was ich meine mit "Schwaeche" aus der Sicht eines Kindes. Da schliesst sich der Kreis, wenn man ans "sich behuetet fuehlen" denkt.
Ich glaube, wir liegen da gar nicht soweit auseinander. Vielleicht verbinden wir mit dem Begriff "Schwäche" nur etwas anderes. Als Beispiel: Für mich ist es nicht Schwäche, wenn auch Erwachsene mal zugeben, dass sie einer Situation nicht gewachsen sind. Was ich dagegen z.B. als Schwäche betrachte, die man Kindern niemals zumuten darf, ist das, was meine Mutter perfekt beherrschte. In Kreisenzeiten die Verantwortung für sich selbst abzugeben und sie ihren Kindern aufzubürden, die damit völlig überfordert sind. Da ist nämlich nichts mehr mit "behütet fühlen". Sondern einfach völlige Überforderung, Ratlosigkeit und Verzweiflung bei Kindern. Dass man seinen Kindern so etwas niemals antun sollte, da gehe ich mit dir völlig konform!

Zitat:
wenn man mal von pathologischen Ursachen absieht, kan man sehr wohl als Mutter auf die seelische Gesundheit eines Kindes Einfluss nehmen, und zwar von Geburt an - im negativen oder positiven. Hat das Kind eine glueckliche Kindheit , fuehlt es sich behuetet und verstanden, wird es keine Depressionen und oder andere seelische Krankheiten bekommen.
Das mit der positiven Einflussnahme glaube ich schon auch. Woran ich aber im Laufe meines Lebens immer mehr Zweifel bekomme: ob die Möglichkeit der Einflussnahme der Eltern wirklich so groß ist, wie du meinst. Oder wie man das in meiner Jugendzeit generell gemeint hat, als es modern war, fast alles der "Sozialisierung" zuzuschreiben.

Was du pathologisch nennst, würde ich eher als "Charakter" eines Kindes bezeichnen - oder in der Folge vielleicht als "Disposition" für bestimmte seelische Krankheiten. Soll meinen: deine These, dass ein glückliches, behütetes und verstandenes Kind keine seelischen Krankheiten bekommt, erscheint mir immer unwahrscheinlicher. Das ist natürlich auch nur Spekulation. Auf die ich gekommen bin, als ich erstmals in stationärer Psychiatrie und Psychotherapie war. Wo man viel Zeit hat, sich mit Mitpatienten zu unterhalten. Und ich da plötzlich ganz oft keinen "Kausalzusammenhang" mehr zwischen der (nicht)behüteten Kindheit und den Krankheiten gesehen haben, an denen die Menschen als Erwachsene leiden. Da gab es Leute aus (sofern man das von aussen überhaupt sagen kann) glücklichen Mittelstandsfamilien, die extrem auf kleine Vernachlässigungen und Kränkungen reagiert haben. Und andere aus völlig asozialem Umfeld (Suff, tagliche Prügelei der Eltern usw.), die das bedeutend besser "weggesteckt" haben.

Ich weiss es nicht. Aber ich denke, jeder hier kennt von seinen eigenen Kindern oder denen aus Verwandschaft und Freundeskreis, dass es halt Kinder gibt, die "vom Naturell her" eher verdruckst und schüchtern sind, die sich für alles, was was passiert, erstmal selbst die Schuld geben, usw... und andere, die mit einem "was kostet die Welt"-Lächeln eher locker nach vorne schauen. Und die mit (familiären) Krisen einfach besser umgehen können.

Bsp.: Meine Schwester hat eine Freundin, verheiratet, 4 Kinder, im kurzen zeitlichen Abstand geboren. Alle gesund und "gut geraten", bis auf eine der "mittleren" Töchter. Die ist 13 und hat gerade wegen Borderline und Suizidalität über 6 Monate in der stationären Jugendpsychiatrie hinter sich. Die Eltern fragen sich verzweifelt: WARUM? Und warum gerade dieses Kind von den vieren? Wenn die wirklich eines ihrer 4 Kinder vernachlässigt haben (wenn man das als Ursache für diese Krankheit annimmt), dann muss es "unbewußt" geschehen sein. Sie finden keine Erklärung. Und natürlich haben sie Schuldgefühle ohne Ende - weil sie offenbar "etwas falsch gemacht" haben. Aber beim besten Willen nicht sehen, was...

Zitat:
Hat das Kind eine glueckliche Kindheit , fuehlt es sich behuetet und verstanden, wird es keine Depressionen und oder andere seelische Krankheiten bekommen.
Nochmal zitiert, weil: wenn du davon überzeugt bist... dann müsstest du dich jetzt mit dem Wissen herumschlagen, dass du bei deinem Sohn offenbar als Mutter versagt hast - der hat nämlich so eine Krankheit bekommen. Weil er nicht glücklich, behütet und verstanden war ??? Warum auch immer: er hat - und nach deiner Theorie müßtest du jetzt erstmal "Selbstanklage" als Mutter führen :-(

Ich hoffe sehr, dass du dir diesen Schuh nicht anziehst! Solche Überlegungen halte ich einfach für destruktiv. Du kannst dir Schuldgefühle machen und dein Handeln endlos reflektieren. Und sicher findest du, wenn's sein muss, sogar einen Diplom-Psychologen, der dir erklärt, wie und warum du das und das mit deinem Sohn falsch gemacht hast.

Ich finde aber das viel besser, was ihr tut: nach vorne schauen und so eine Krankheit schnellstmöglich gut behandeln lassen. Über die Vergangenheit kann man endlos reden; und auch über die Unzulänglichkeiten, die jeder Mensch aufweist. Aber ändern kann man die Vergangenheit nicht. Weswegen ich es sinnvoller finde, nach vorn zu schauen. Wenn mensch irgendwas beeinflussen kann, dann ist es die Zukunft - auf die kommt es an. Und da glaube ich, dass ihr schon das richtige "Rüstzeug" habt, um das positiv zu meistern!

Viele Grüße,
Stefan
Mit Zitat antworten