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Alt 15.12.2007, 22:23
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Redaktöse Redaktöse ist offline
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Registriert seit: 08.12.2007
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Standard AW: Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Hallo ihr,

ich muss gestehen, dass diese Seite schon fast eine Tagebuchfunktion für mich bekommen hat. Viele andere Krankheitsgeschichten lese ich hier, vergleiche, finde Gemeinsamkeiten und nehme sie in mich auf wie die Erzählungen von Bekannten, auch wenn ich hier ja niemanden kenne; jedesmal bin ich auch froh, mir etwas von der Seele schreiben zu können.

Unsere Woche war bewegt. Am Donnerstag brachte ein Arzt die Diagnose auf, die angeblichen Metastasen im Gehirn seien nur Blutgerinsel und der angebliche Tumor in der Lunge nur nekrotisches Gewebe. Was hatten wir wieder Hoffnung! Noch einmal davongekommen!
Am Freitag folgte eine weitere Untersuchung, die leider aber die ursprüngliche Diagnose wieder erhärtete: Lungenkrebs mit zwei Metastasen im Gehirn, alle drei Tumore höchst virulent. Welche Art von Lungenkrebs wissen wir immer noch nicht. Auch die versprochene Liste der Medikamente, die mein Vater bekommt, haben wir nicht erhalten.

Nun hat Papa sich dieses Wochenende wieder auf eigene Verantwortung aus der Klinik entlassen lassen und ist daheim, wie ich zurzeit auch. Was vor zwei Wochen noch unvorstellbar schien, wird nun langsam Realität: Die Krankheit beginnt, sich auch nach außen zu zeigen.

Mein Vater ist nur noch aggressiv und macht uns Vorwürfe wegen allem. Er schläft überhaupt nicht mehr und wird auch nicht müde. Dafür hört man ihn jetzt immer laut atmen. Auf seinem Kopfkissen im Krankenhaus waren seltsame blassrote Blutspuren zu sehen.

Ich dachte, wir hätten innige letzte Wochen zusammen, mit vielen Gesprächen. Aber mein Vater ist in seiner eigenen Welt, wichtige Fragen können wir gar nicht besprechen. Schon gar keine Gefühle. Er beschimpft uns immer nur, wir würden ihn ja lieber tot sehen wollen.

Und ich? Ich fühle mich so gar nicht verständnisvoll. Ich kann nur enttäuscht schweigen. Es fällt mir schwer, ihn so zu lieben. Allein dieser heutige Tag mit ihm war so unglaublich kraftraubend. Dabei bin ich doch zu meinen Eltern gefahren, um Kraft zu geben. Nun erwarte ich nur noch morgen Mittag, wenn ich mich in den Zug nach Konstanz setzen kann und eine ganz normale Arbeitswoche vor mir habe.
Mir graut vor Weihnachten. Gleichzeitig bin ich so enttäuscht über meine eigene Mangelhaftigkeit, mein Unvermögen, großzügig über alles hinwegzusehen.

Und das ist erst der Anfang.

Regine

Geändert von Redaktöse (15.12.2007 um 22:25 Uhr)
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