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Alt 08.08.2007, 18:55
estella estella ist offline
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Standard AW: Das Leben nach der Erkrankung in all seinen Aspekten

Liebe Lima-Mali,

deine Worte berühren mich ungemein - ich kann dieses Gefühl, das man das "alte" Leben zurück haben will, so gut verstehen. Man mag sich umdrehen und danach greifen.
Die Reaktion meiner sehr pragmatischen Mutter, als sie von der Erkrankung meines Vaters hörte, war: "Der natürliche Verlauf des Lebens ist nun mal so, dass zuerst die Eltern gehen. Wir können froh sein, dass es nicht umgekehrt ist...".
Meine Eltern leben getrennt, beide sind sehr gläubig, das mag die etwas kühl wirkende Antwort erklären. Nichtsdestotrotz kam sie, um uns zu helfen und wird im September erneut nach Berlin reisen. Mein Bruder und ich sind unglaublich traurig - wir wollen nicht, dass mein Vater stirbt, nicht so früh, nicht jetzt, nicht so lange die Kinder noch so klein sind, nicht solange er noch so viel Energie hat...Die Würfel sind in seinem Fall nicht gefallen, aber wir wissen alle, dass das was er hat, kein Schnupfen ist.
Meine Mutter hat trotzdem recht: wie unfassbar schlimm ist der Verlust eines noch jungen Partners oder eines Kindes. Wie stark muss man sein, um damit umgehen zu können?

Ein Freund schenkte mir kurz nachdem die Diagnose feststand ein Buch, über das Leben und das Sterben, so wie der Buddhismus es lehrt. Immer mal wieder lese ich darin und kann in einem den Verfasser, ein Buddhistischer Mönch namens Sogyal Rinpoche, folgen: wir im Westen können schwer loslassen. Ich kann gar nicht loslassen. Ich weine am Flughafen als gäbe es kein Wiedersehen, ich trenne mich nie von geliebten Dingen. Kinokarten, Bücher, Einpackpapier, Postkarten, besondere Kleidungsstücke, kaputte Haarspangen,Muschel , Steine, Äste, kleine Schachteln, große Schachteln, all möglicher Kram bevölktert meine Regale.
Menschen kann ich nicht loslassen, Erinnerungen begleiten mich immer überall hin. Ich lebe viel in der Vergangenheit, viel in der Zukunft. Wenig im Jetzt. Durch die Krankheit meines Vaters ist mir dies bewußt geworden. Wie kostbar das Jetzt ist. Die Sonne, die gut tut, die Schönheit der Blumen, die Gefühle, die Musik auslösen kann. Der Kuss meines Sohnes.

Ein schöner Tag mit Pablo ist mehr als ein flüchtiger Moment geworden - ich erlebe die Stunden mit den Menschen, die ich liebe als ein Geschenk. Ich glaube, dass mein Vater sein Leben seit einigen Jahren (genauer seit der Trennung von meiner Mutter) genauso empfindet und lebt. Er ist jetzt 72, er wird am 21. September 73. Dann wird er aller Vorraussicht nach keinen Magen mehr haben. Er wird auf viele gute Momente,die wie Geschenke waren zurückblicken. Und wir werden ihm dabei helfen, dass noch viele weitere Geschenke hinzukommen.

Genau das wünsche ich euch auch.

Von Herzen,
e
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