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Alt 28.07.2008, 20:06
Annika0211 Annika0211 ist offline
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Beiträge: 884
Standard AW: 3 Monate und die Trauer fängt jetzt erst an

Zitat:
Zitat von Noroelle Beitrag anzeigen
... ich habe das Gefühl, dass erst jetzt die Trauer richtig hochkommt.
Mich quälen zunehmends die Erinnerungen insbesondere an ihre letzten Monate, als sie zunehmends pflegebedürftig wurde und immer mehr aushalten mußte.
Liebe Noroelle.
Erstmal möchte ich dir sagen, wie leid es mir tut, dass du auch einen lieben Menschen verlieren musstest.
Viele hier haben diese Erfahrung leider schon hinter sich gebracht und auf die vielfältigste Art und Weise beschrieben, wie sie darauf reagierten und damit klarkommen bzw. klargekommen sind.

So einen schweren Verlust wegzustecken, gehört wohl zu den schwierigsten Dingen im Leben - so habe ich es bislang erfahren.
Ich war noch nie so intensiv mit einem derartigen Verlust konfrontiert - mein Opa starb, als ich 3 Jahre alt war, aber damals verstand ich das nicht. Ich hatte auch kaum Bezug zu ihm.
Als mein Papa so krank wurde - vor 8 Jahren begann seine erste Krebserkrankung, dann folgte eine weitere, die er erfolgreich bekämpfen konnte, und zum Schluss kam wieder ein Rezidiv der 1. Krankheit in den Vordergrund - wurde ich langsam mit der Situation vertraut gemacht, was es bedeuten kann, so krank zu sein.
Mein Papa war immer der starke, der hoffnungsvolle, positive Mensch, der lebensbejahend alle Hürden in seinem Leben annahm und auch meisterterte. Er hat vieles mit sich selbst ausgemacht, damit er die Familie nicht "unnötig" belastet und traurig macht.
Die Situation meines Papis verschlechterte sich Weihnachten 2007 sehr stark. Nach Weihnachten war er noch für 4 Tage im Hospiz, bis er Silvester 2007 verstarb.
Diese Erfahrung, dass er nun einfach nicht mehr da und bei und um uns ist, habe ich lange Zeit wie betäubt aufgenommen. Ich habe mich um den Verwaltungskram für meine Mama gekümmert, die Beisetzung mit ihr organisiert, sie von Hinz zu Kunz gefahren, bei ihr gewohnt. Nach 3 Wochen bin ich zuhause im Umzugsstress gewesen, weil ein gemeinsames Leben mit meinem Freund geplant war. Also hieß es für mich: Zähne zusammenbeißen und durch. Erst ca. Mai 2008 begann meine Trauer etwas mehr durchzuschlagen. Ich habe sehr viel mit meiner Mama geredet, sehr, sehr viel und spontan geweint, hier im Forum sehr viele Beiträge geschrieben, liebe Menschen dadurch kennengelernt, die verstehen, was man nach so einem Erlebnis durchmacht und wie es einem geht. Seit ein paar Wochen geht es mir viel besser, die Trauer ist nicht mehr präsent. Klar vermisse ich meinen geliebten Papi mit Haut und Haaren, würde alles dafür geben, wenn ich ihn gesund und munter noch einige Jahre um mich haben könnte - aber sein schlechter, kraftloser Zustand hat ihn fertig gemacht und ich habe erleichtert aufgeatmet, als er friedlich und mit einem Lächeln auf dem Gesicht eingeschlafen ist. Der Rest meiner Familie empfand es ebenso, weil wir ihm die Ruhe und die Erlösung gegönnt - sogar gewünscht haben. Niemand möchte seinen Liebsten beim Leiden der Qualen zusehen - wir wollen sie ihnen am Liebsten abnehmen, aber wir sitzen hilflos dabei und müssen es einfach ertragen.

Zitat:
Zitat von Noroelle Beitrag anzeigen
... Ich bin nicht alleine, ich habe einen tollen Mann und eine tolle beste Freundin, mit denen ich reden kann. Doch ich habe festgestellt, daß mich beide nicht wirklich "verstehen" können (auch wenn sie es wollten), weil ihnen (zum Glück!!) dafür die eigene Erfahrung fehlt...
Ich bin auch nicht alleine, habe meinen wunderbaren Freund, der still im Hintergrund bei mir ist und mich aufgefangen hat, ich habe eine wunderbare Familie mit Mama, 4 älteren Geschwistern und deren Partnern sowie ein paar sehr gute Freundinnen.
Du hast schon Recht - diese lieben Menschen, die versuchen, einem zu helfen, können das nicht vestehen, nicht nachvollziehen. Ich sagte auch mal: zum Glück. Sie wollen alles tun, einen ablenken etc. - aber das wesentliche, das verstehende Gespräch, kann mit ihnen schlecht stattfinden.

Zitat:
Zitat von Noroelle Beitrag anzeigen
... Momentan hadere ich mit der Situation, daß es mir so schwer fällt, an meinem Glauben festzuhalten, daß mit dem Tod nicht alles vorbei ist. Ich habe schon immer viel zu diesen Themen gelesen und habe auch selbst ein paar außergewöhnliche Erfahrungen gemacht, aber trotzdem will sich in letzter Zeit immer mehr der Zweifel einschleichen, daß alles, das ganze Leben, einfach völlig sinnlos ist; nichts von uns übrigbleibt.
Ich vermute, daß diese Gemütslage einigen von Euch auch bekannt ist. Wie geht ihr damit um? Was hat Euch geholfen?...
Ich weiß, dass ich diesbezüglich eine andere Meinung vertrete, die nicht unbedingt jedermanns Sache ist. Ich weiß auch, dass ich andersgläubige absolut akzeptiere. Jeder soll an das glauben, was ihm im Leben weiterhilft und das Leben einfacher gestaltet.
Ich persönlich bin aus der Kirche ausgetreten, als mein Papi krank wurde. Davon abgesehen war ich schon immer ein christlich skeptischer Mensch, meine Geschwister waren bereits ausgetreten, mein Papa Prostestant und nicht gläubig - einzig meine Mama. Sie fand oft Halt in ihrem Glauben. Das war auch ok für uns und für sie. Bedingt. Sie hatte viele Monate, in denen sie zweifelte und nicht zum Gottesdienst gehen konnte. Sie haderte auch mit sich.
Alles in allem: ich glaube nicht an Gott, aber an eine Macht, die unsere Lieben behütet, ihnen den Schmerz und die Qual nimmt und sie trotzdem am irdischen Leben teilhaben lässt.
Ich habe noch keine Erfahrungen diesbezüglich gemacht, bin auch hier nicht besonders empfänglich, denke ich mal, allerdings bin ich fest davon überzeugt, dass mein liebster Papi mich überall beschützt, seine Hand über mich hält, meinen Weg in die richtigen Bahnen lenkt und meine Entscheidungen irgendwie beeinflusst und für gut heißt. Ich weiß es irgendwie. Und das ist es, was mich stärkt.
Das ist es auch, was meine Mama stärkt. Sie weiß, dass der Papa im Himmel zuschaut, wie sie alles managt und mit ihren 78 Jahren so tapfer ihr neues Leben lebt, selbstständiger wird und versucht, sich noch viele angenehme Jahre zu bereiten. Sie braucht noch Zeit, bis sie mit der Trauer durch ist. Nach 40 Jahren Ehe, einem gemeinsamen Haus, der Garten, den er mit ihr gepflegt hat, die Reisen, die sie unternahmen - all das verbindet sie noch heute in liebevollen Erinnerungen an meinen lieben Papa, ihren lieben Mann.
Diese Gedanken helfen ihr, wenn der Schrecken der letzten Monate vor seinem Tod wieder in ihr auftritt. Sie hat nicht mal ansatzweise die Ablenkungsmöglichkeiten wie ich (durch meinen Job) - aber sie schafft sich welche, die sie auch bewältigen will und plant bereits für ihre Zukunft.
Und sie spricht mit ihm, zeigt ihm Dinge, die sie ganz alleine geschafft hat und ist sich gewiss, dass sie das alles bislang geschafft hat, weil Papa sie beschützt und ihr geholfen hat.
Sie weiß auch, dass sie nicht alleine ist - ich bin immer bei ihr, meine Geschwister (wohnen weiter weg) rufen regelmäßig an, kommen auch mal rum und es finden viele lustige Gespräche und Termine statt.

Liebe Noroelle.
Du siehst, es gibt vielfältige Weisen, wie man mit der Trauer umgehen kann.
Jeder muss seinen Weg für sich finden und jeder darf sich aussuchen, wo er den Verstorbenen am Liebsten sehen möchte. Für die einen ist der Himmel... für die anderen eine nächste, weiter Ebene... für mich einfach überall.

Das Verwinden kostet viel Kraft. Kraft zum Durchhalten, Kraft zum Weinen, wenn dir danach ist, Kraft zum Loslassen, Kraft und Mut, das neue Leben anzunehmen - es hat seine schönen Seiten und ich habe hier gelesen: die Welt dreht sich weiter.
Deine Mama würde sicher nicht wollen, dass du so unendlich traurig bist, dass du dich selbst und dein Leben einfach hängen lässt. Vielleicht denkst du mal an die Dinge, die deine Mama an dir besonders geliebt hat: vielleicht deine Fröhlichkeit, dein Lachen, deine nachdenkliche Art, ...
Und vielleicht zeigst du ihr - wo immer sie auch sein mag -, dass du für sie wieder stark sein willst, dein Leben mit der Erfahrung der unendlichen Mutterliebe weiterleben möchtest.
Auch für dich scheint die Sonne wieder und dort wo die ist, ist deine Mama sicher nicht weit...
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Alles Liebe.
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Papa, für immer in meinem Herzen - 31.12.2007
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