Thema: Stammtisch
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Alt 23.04.2006, 10:05
Blue Blue ist offline
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Standard AW: Stammtisch

Guten Morgen zusammen,

ja, Sonntagmorgen, bin mal wieder aus dem Bett gefallen. Aber eigentlich ist es eine gute Zeit, Stille hier im Haus, die Vögel sind schon munter. Platz, Zeit und Raum für Gedanken, die sonst nur unterschwellig durch den Kopf summen.

Liebe Monika62,

als Jürgen noch hier bei mir war, bekam ich von vielen Menschen gesagt, vielleicht möchte Jürgen nicht gehen, eben weil ich immer um ihn rum bin. Ich hab das immer von mir gewiesen, sagte immer, wenn er das möchte, hat er sehr wohl die Möglichkeit. Jürgen hat sich anderst entschieden. Deine Mutter wollte alleine gehen und so muß es für Dich in Ordnung sein. Sie ist ins Licht gegangen und es geht ihr ganz bestimmt gut dort. Du wirst sie nicht vergessen und vielleicht gelingt es Dir, Deinen Frieden damit zu schließen, eben weil Du ihr beigestanden hast

Liebe Petra40,

an manchen Tagen kommen einfach die Bilder. Sie sind fest in unseren Köpfen und manchmal kaum auszuhalten. Sicher nicht, weil wir die Bilder vergessen möchten. Nein, sondern einfach weil alles wieder hochschwappt, die Gefühle, der Schmerz, die Fassungslosigkeit. Oh, ich hab keine 4 Monate gewartet bis ich wieder ins Leben raus gegangen bin und gelacht habe. Im Kopf traf ich immer wieder die Entscheidung fürs Lachen, nicht fürs Weinen. Deshalb tut es mir nicht weniger weh, aber so war das in unserem Leben. Bei der Wahl zwischen Lachen und Weinen haben wir immer gelacht – warum sollte ich das anderst machen? Der 1. Jahrestag – ist sehr schwer, mir steht er noch bevor. Warum solltest Du nicht weinen dürfen? Warum solltest Du Dich zusammenreißen? Wer weiß schon, wie Du Dich fühlst?

Hier im Haus hat mir kurz nach Jürgens Tod jemand erklärt, ich hätte es besser. Mein Mann wäre gestorben, seine Mutter ist von ihrem Mann verlassen worden, das wäre viel schlimmer. Ich hab erst mal tief Luft geholt. Nein, wenn jemand verlassen wird, hilft die Wut über das Verlassensein hinweg, was sollte einem helfen, wenn der Partner gestorben ist? Der junge Bursche hatte rote Ohren und er wird ganz sicher diesen dummen Satz nie wieder zu irgend jemand sagen – ganz sicher.

Liebe Annemone,

auch das kenne ich, das Heimkommen in die Leere und Stille. Und immer flüstert es im Kopf, wenn er noch da wäre, würden wir „Nachlese“ machen. Gemütlich zusammen sitzen, alles nochmal bereden. Ein Stups, ein Streichler. Oh Mann. Aber wie sagte einmal ein herzloser Mensch zu mir? Daran musst du dich gewöhnen! Muß ich? Nein, werde ich auch nicht. Ich wünsche Dir, daß die neuen Eindrücke von Deiner Reise lange vorhalten und Dich über viele stille Stunden trösten können.

Liebe Petra S,

so kleine Teufelchen sind manchmal ganz gut. Meine Teufelchen sitzen im Bauch. Wenn der Bauch sagt, bleib da mal lieber weg, dann kneife ich. Aber ist das kneifen? Eigentlich nicht. Es ist wohl das einschätzen, ob es einem gut tut. Wenn man sich zwingt, etwas zu unternehmen was sich nicht gut anfühlt, dann geht es doch meist in die Hose. Aufgefangen wird man dann von den wenigsten. Das Leben geht weiter? Nein, Seins nicht, meins nicht in der bisherigen Form – also was soll der Spruch?

Liebe Wolke,

die Frage wie geht es Dir? Ich denke oft, es ist so eine Verlegenheitsfrage der lieben Mitmenschen. Sie möchten nicht einfach zur „Tagesordnung“ zurückkehren, wäre uns auch nicht recht. Und die Frage kommt wie selbst von den Lippen. Ja, oft stelle ich sie selbst. Wie geht es dir? Meine liebe Freundin gewöhnt mir das jetzt im Moment ab. Ihre Antwort ist da stets: was willste hören? Ist ne gute Frage – finde ich. Vielleicht ist das die passende Antwort darauf?

Liebe Monika W,

unser Ehering. Ich trage meinen noch da, wo er immer war, denn eigentlich fühle ich mich sehr verheiratet. Ganz sicher werde ich ihn mein Leben lang tragen, vielleicht wandert er irgendwann mal weiter, vielleicht bleibt er da, wo er jetzt ist. Das mache ich aus dem Bauch raus. Jürgens Ring liegt bei seinem Bild. Der Pflegedienst meinte, ich solle ihn behalten als Erinnerung. In der Zeit hab ich still alles gemacht, was man zu mir gesagt habe. Und so liegt sein Ring beim Bild. Immer wenn ich den Ring in die Hand nehme ist der Tag ganz nah, an dem wir diese Ringe aussuchten. Und so sitze ich jetzt da, der Tag tut mir jetzt, heute weh, weil er Vergangenheit ist, weil ich daran hänge, an der Vergangenheit und weil es kein heute mehr gibt.

Ich habe auch keine schwarze Kleidung getragen, sondern hab es so wie immer gemacht. Wenn es mir nicht gut geht, finden meine Hände dunkle Kleidung. Es war schon immer mein Symbol. Die schwarze Kleidung als Zeichen der Trauer ist doch nur für unsere Mitmenschen, davon hat niemand etwas.

Liebe Sandra,

auch beim immer wieder lesen, bekomme ich noch Gänsehaut. Da hat Dir ein ganz besonderer Mensch geschrieben und ich denke er hätte keine besseren Worte finden können.

Liebe Briele,

ja, uns kann man es nicht recht machen. Aber! Wir dürfen das jetzt! Menschen die uns nahe stehen, die mitfühlen können, verzeihen uns alles. Eben weil wir aus dem Takt gekommen sind, eben weil wir versuchen im Leben wieder Fuß zu fassen. Wie war ich in dem anderen Leben, in meinem Leben mit Jürgen? Da gibt es eine Freundin, die mit 32 Jahren ihren Freund durch einen Verkehrsunfall verloren hat. Ich nahm mir Zeit für sie, klar. Hab sie immer und immer wieder zum reden gebracht. Konnte ich wirklich nachempfinden wie es ihr geht? Ich glaube nicht. Und jetzt hat sich das umgedreht, jetzt nimmt sie sich Zeit für mich, bringt mich immer wieder zu reden und weiß wie ich mich fühle. Erzählt mir wie es ihr geht. Ja, spendet Trost, zieht mich ins Leben zurück – aber immer nur so, wie ich es vertrage.

Andere Seite – ein Mann mit über 80. Da sitze ich sprachlos da und denke wiederum – das ist jetzt nicht wahr! So viele Jahre mehr. Neid? Vielleicht. Sicher, das Alter spielt keine Rolle, der Schmerz ist gleich.

Liebe Andrea,

Dir schicke ich einen riesen Knuddler. Wie sieht es aus, rennen wir über die Felder und schlagen Haken?

So, jetzt habe ich eben doch zu vielem meinen Kommentar abgegeben, weil ich immer mitgelesen habe und einfach nicht den Dreh gefunden habe selbst zu schreiben. Die Sonne scheint durchs Fenster, das Haus wacht auf, mal schauen, wo ich den Hammer liegen gelassen habe. Ja, ich hab an Ostern angefangen zu renovieren und habe mich dabei ziemlich überschätzt. Nun, eine gute Woche später bin ich fast fertig, mit dem Spitzboden und auch körperlich, ich denke das ganze Haus atmet auf. Ich brauchte Fingerarbeit, dabei kann ich meine Gedanken am besten sortieren, bei mir schließt sich das Jahr. Und jeden Tag höre ich Jürgen sagen: daß du immer gleich übertreiben musst….

Euch allen einen schönen Sonntag.

Liebe Grüße
Bruni
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