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Alt 19.02.2005, 13:04
Gast
 
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Standard Russisch Roulette.......

Hallo Saphir,

wie schaffe ich es mit dem Tod umzugehen? ....

Ich weiss es nicht. Irgendwie hat sich aber alles verändert seit dem Tod meines Vaters. Der Tod war bei uns in der Familie immer ein Tabu. Mir ist JETZT aufgefallen warum ich immer solche Angst + Scheu vor Friedhöfen hatte: weil wir nie mit unseren Eltern zu Gräbern von Grosstanten oder Grosseltern mit gegangen sind. Wer starb war irgendwie nur weg.... "keine Friedhofskultur".... Soweit ich jetzt weiss sind beide Eltern eigentlich nie auf den Friedhof gegangen. Und ich hatte damals im KH auch eine unglaubliche Angst vor dem Moment wenn er aufhört zu atmen, als wäre er dann nicht mehr ER sondern irgendwas unheimliches.

Die Bestatterin fragte auch ob wir einen offenen Sarg wollten und wir hatten beide Angst davor (Frau meines Vaters und ich). Aber von einer Freundin bekam ich den Tipp ihn im Sarg fotographieren zu lassen und etwa 2 Wochen nach der Beerdigung habe ich die Fotos angesehen und ich sehe sie mir jetzt ganz oft an. Mein Vater sieht ganz normal aus und ich glaube diese Angst vor einem toten Angehörigen ist jetzt weg, naja nicht ganz weg aber nicht mehr so dass Gefühl es wäre gespenstisch.... er war ja immer noch er. Man hätte ihn noch anfassen können. Er war ja sowieso nur noch bewegungslos und hat nur ganz schwach geatmet als ich ihn zuletzt sah, nichts zuckte im Gesicht usw. über Stunden, also kann es nicht mehr viel anders gewesen sein. Und auf den Fotos (schön geschmückt mit Efeu und Blumen) sieht er sehr friedlich aus, so wie zuletzt im KH.

Und ich habe inzwischen Dinge getan die ich mir früher nie hätte vorstellen können, wir haben mit ca. 20 - 30 Schubkarren den Grabhügel selbst abgetragen und als die Erde absackte Säcke hingeschleppt und nachgefüllt und Blumen gepflanzt und Laterne + Kerzen aufgestellt und Grabstein ausgesucht und der Friedhof ist jetzt mein Ort der Ruhe, ich gehe dort gern umher, es ist ein sehr schöner Dorffriedhof. Und natürlich setze ich mich jetzt viel mehr mit der eigenen Endlichkeit auseinander. Natürlich macht es mir noch grosse Angst aber nicht mehr so kopflos-panisch wie früher. Neulich sah ich im Buchladen einen Bildband (den ich mir auch kaufen will) der heisst "Nochmal Leben vor dem Tod" und dokumentiert Menschen vor und nach dem Tod in Hospizen. Früher hätte ich sowas nie NIE ansehen können aber jetzt zieht es mich an.... und die Fotos sind für mich nicht mehr beängstigend, oder nicht mehr NUR beängstigend sondern irgendwie auch schön und tröstlich....

Ich erzähle das hier nur weil es für mich eigentlich eine unglaubliche Veränderung ist. Das habe ich nicht geplant, es hat sich so ergeben. Sicher ist mein Therapeut dabei sehr hilfreich gewesen dass ich mich dem Thema stellen konnte.

Aber Du bist jetzt an einem ganz anderen Punkt. Ich hoffe es tut Dir nicht zu sehr weh wenn Du hier liest was ich alles schon erlebt habe und was Du ja hoffentlich nicht bald erleben musst. Natürlich willst du das deine Mutter lebt, und ich wünsche Dir und ihr sehr dass ihr noch viel viel Zeit zusammen haben könnt. Ich denke Du wirst Dich mit den Themen dann auseinandersetzen wenn es soweit ist - wenn für Dich die Zeit da ist. Ich hatte den Gedanken es könnte wirklich passieren ja auch immer wieder verdrängt, konnte es nicht realisieren. Ich konnte es mir nicht vorstellen, mal abgesehen dass man natürlich immer hofft und hofft...

Trotzdem, vielleicht überlegst Du noch mal ob eine Unterstützung (Psychotherapeut ?) für Dich nicht sinnvoll wäre einfach um über die Dinge reden zu können auch die Dich ängstigen (mit Ängsten kenne ich mich aus... :-) ) denn man kann wirklich lernen mit den Dingen anders umzugehen. Und um ihn oder sie dann schon zu "haben" wenn es mal schlimmer werden sollte.... Aber ich kann schon verstehen dass Du Angst davor hast. Das muss jeder wissen wie er/sie durch die Dinge hindurch geht und sie bewältigt, und wann man was bewältigen und zulassen kann. Ich bin mir ganz sicher ohne die 1,5 Jahre Therapie die ich schon vor dem Tod meines Vaters hatte und dann die Begleitung durch den Thera wäre vieles anders gelaufen, aber ich bin nur froh dass er da war. Naja das hört man sicher auch aus meinen Worten heraus aber ich will hier auch nicht missionieren, das musst Du selbst wissen welchen Weg Du gehen willst und kannst. Das soll sich jetzt nicht herablassen danhören aber Du bist ja auch viel jünger und ich möchte nicht wissen WIE überfordert ICH mit alldem in deinem Alter gewesen wäre.... Du tust was Du kannst und das finde ich ganz grossartig, ehrlich - Du solltest nur auch ein bisschen auf Dich achten...

Viele Grüsse
Kerstin
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