Einzelnen Beitrag anzeigen
  #46  
Alt 05.06.2009, 09:18
Thessa76 Thessa76 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 20.03.2008
Beiträge: 508
Standard AW: Meine Mama: nichts ist mehr wie es mal war. Und die Welt steht still.

Hallo Ihr Lieben,

ein kleines Lebenszeichen von mir. Vielen Dank, dass Ihr so lieb nach mir guckt. Was soll ich sagen: es hat mich richtig dick erwischt. So wie noch nie. Vom aufwachen bis zum einschlafen, immerzu. Eine bleierne, dicke, dunkle Traurigkeit. Ich habe meine Mutter so sehr vor Augen, was wir noch im letzten Jahr unternommen haben, wieviel Freude es uns beiden gemacht hat. Im Moment plane ich einen kurzen Urlaub mit einer Freundin, nur 5 Tage Mallorca, aber ich möchte gerne in die Sonne. Wenn es auch erst im Juli losgeht. Da stellt sich dann die Frage: dort, wo ich mit Mama hingefahren bin? Nein, das schaffe ich nicht. Wie oft sind wir abends dort langspaziert… wie schön war es beim Essen… was haben wir gelacht, geredet… sie fehlt mir so unendlich als Gesprächspartner. Gestern habe ich wieder meinen Anrufbeantworter abgehört. Da ist sie so oft drauf, immer mit der Aussage: es geht mir gut. Dann sehr deutlich, wie sehr sich die Stimme verändert zu dem Zeitpunkt, als wahrscheinlich schon Hirnmetas da waren. So ein bisschen in Richtung trotzig, kindlicher.
Meine Mama hat mich nie mit meinem Vornamen genannt, immer Pitti gesagt, das war wohl mein Kleinkindname. Nun nennt mich niemand mehr so. Warum merke ich nicht, dass es ihr dort, wo sie jetzt ist, besser geht. Warum kann ich sie nicht irgendwie, und wenn es kurz ist, erspüren.
Meine Restfamilie diskutiert permanent über diesen Blumenklau am Friedhof, was anderes haben sie nicht. Meine Geschwister müssen glaube ich wichtige Lebenslektionen noch lernen, ich merke mehr und mehr, wie meine Mama diese ganze Familie zusammengehalten hat und wie sie einfach auseinanderbricht. Was mir natürlich wahnsinnig wehtut. Meine Geschwister und ich sind sehr, sehr unterschiedlich. Das heisst, tiefgehende Beziehungen gibt es da nicht und mein Vater ist eben ein Vater, der nicht wirklich betüddelt werden will. Der ist sehr genügsam und meint, wir haben unser eigenes Leben und müssen und nicht auch noch um ihn kümmern.
Meiner Oma reden alle nach dem Mund, ausser mir. Das bedeutet, ich ecke an und bin eine Problemenkelin. Nun ist diese gesamte Truppe ja in Hannover und ich weit weg.
Vielleicht ist es tatsächlich die Distanz, die ich brauche, vielleicht auch das genaue Gegenteil, ich weiss es nicht.
Im Moment schwirre ich so im luftleeren Raum und komme fast nicht mehr zurecht.

Mein Gott, ich weiss wirklich nicht, wie das weitergehen soll. Dann die Aussenwelt, bei der so viele Fragen "Na, geht es jetzt langsam wieder?" Ich möchte die am liebsten alle an die Wand klatschen. Dann ein Satz einer Freundin, die neunmalklug meint: Du kannst mit Deiner Trauer nicht umgehen, es gibt ja externe Hilfe. Ich könnte kreischen. Wohlgemerkt haben wir nicht stundenlang über meinge Gemütsverfassung diskutiert, sondern ich habe ihr gemailt, dass es mir nicht gut geht und das ist die Antwort. Schlicht. Wenig nachgedacht und zum Kotzen.
Überhaupt die freundschaftlichen Beziehungen: es verändert sich wahnsinnig viel. Entferntere, die sich nicht trauen zu fragen, wie es mir geht. Engere, die nun meinen: nach vier Monaten ist aber langsam mal gut und wenige, die verstehen. Ich habe ein einziges Mal den Satz gehört (nein, vielmehr gelesen), dass ein Mensch so gerne zuhören würde dem, was ich von meiner Mutter erzähle. Wer sie war, was sie für ein Mensch war, was schön, schlecht, lustig, traurig war. Eben so ein grundlegendes Interesse. (Und das war eine PN hier im KK. Tausend Dank nochmal dafür, das ist mein Monatshighlight) Das zeigt sonst niemand. Und zeigt mir, dass die Welt einfach so sehr mit sich selbst beschäftigt ist. Wer hat Interesse an anderen? Wen bewegt es, wie es den anderen/ Freunden wirklich geht?
Ihr seht, ich stelle das komplette Leben in Frage.
Dann überlege ich, wie viele Menschen wohl schon im Mamas Zimmer gelegen haben, gestorben sind dort, etc.. Und dann wieder so unendlich oft das Bedürfnis, mit ihr zu telefonieren. Das hab ich im Moment täglich sicher zweimal.

Ich komme nicht gut klar zur Zeit. Und mich überfällt das Trauertier mit einem ziemlich langen Gefolge. Es ist so nachhaltig anhaltend. Und ich komm so gar nicht mehr raus.
Nächste Woche bin ich beruflich unterwegs im Ausland. Vielleicht wird es da besser.

Ich wollte nur Danke sagen, dass Ihr so lieb an mich denkt und um Verständnis bitten. Ich geistere hier im Moment nur still durch. Freue mich aber mit denen, die gute Nachrichten haben, von ganzem Herzen.

Alles Liebe,

Eure Thessa

P.S: Liebe Lissi, ich habe oft genickt und nicht den Kopf geschüttelt. Tolle Worte, viel Wahrheit und etwas, wofür ich Dir unglaublich dankbar bin.
__________________
Meine Mutter, ED 03/08 Adenokarzinom nicht operabel; T4N3M0.
Chemokonzept: seit 03/08 Carboplatin/ Vinorelbine, Umstellung aufgrund von Versagen von Carboplatin auf Taxotere am 22.07.08. Letzte Chemo am 27.11.08 - nun watch and wait.
14.01.: Lunge fast tumorfrei, multiple Hirnmetastasen, 10 Ganzhirnbestrahlungen ab dem 22.01.
am 09.02.2009 in unseren Armen eingeschlafen
1946 - 2009
Mit Zitat antworten