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Alt Heute, 11:53
miwesto miwesto ist offline
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Standard 11 Monate seit der Diagnose - eine kleine Geschichte

Hallo Zusammen.
Mein Name ist Michael, ich bin 54Jahre. Ich hab versucht die Geschichte meine Frau in so wenig wie möglich Worte zu fassen. Sie erhielt als Erstdiagnose Adenokarzinom im rechten Unterlappen der Lunge mit Stadium 4B. cT3 cN3 cM1.

Viele Stunden hab ich hier gelesen um in Erfahrung zu bringen wie der Verlauf aussehen kann.

Hier unsere Geschichte:

Es ist der erste Januar 2023. Bei strahlendem Sonnenschein haben wir nach dem Mittagessen beschlossen spazieren zu gehen. Das Spazieren gehen dauerte etwas länger und wir kehrten kurz vor der Dämmerung zurück. Meine Frau, hier noch 52 Jahre jung, hatte die falschen Schuhe an und klagte über Schmerzen am Schienbein kurz unter dem rechten Knie.

14Tage lang haben wir die Schmerzen auf die falschen Schuhe geschoben. Der Stress im Alltag hatte uns wieder. Als im Februar die Schmerzen nicht besser waren ging sie zu ihrem Orthopäden welcher schon eine Bänder-Op am rechten Fuß gemacht hatte. Leider war nur die Vertretung im Haus. Ergebnis: Verdacht auf Knochenhautentzündung – 14 Tage Ibuprofen. Ein Zusammenhang mit der Bänder-OP wurde vehement abgewiesen. Die Behandlung durch den Arzt empfand sie als erniedrigend und beschloss nie wieder dorthin zu gehen.

Die Zeit verging die Schmerzen blieben, nichts half. Im April versuchte der Hausarzt Einlagen in den Schuhen und eine Knieorthese nachdem das Röntgen ohne Befund war. Die Schmerzen blieben und unser Madeira Urlaub rückte näher. Der Hausarzt regte eine Sonografie an. Leider lag der erste freie Termin nach dem Urlaub auf Madeira.
Nichtsahnend kletterten wir, meine Frau unter IBU Dauertherapie in das Flugzeug. Sie konnte laufen, humpelte und es schmerzte immer weiter. Wir kletterten über Steine und Felsen so gut es ging. Gingen Baden und freuten uns des Urlaubs.

Am dritten Tag auf Madeira rutsche sie auf sandigem Untergrund aus, landete auf dem Po. Hierbei brach der schmerzende Unterschenkel komplett. Versorgt wurde der Bruch auf Madeira mit einem Marknagel. Das erste Mal das wir unsere Auslandreiseversicherung in Anspruch nahmen.

In den 7 Tagen meine Frau voller Sorge im Krankenhaus begleitend kamen mir Zweifel warum das Bein an der schmerzenden Stelle brach. Den operierenden Chirurg interessierte das nicht. Frühmobilisation und 2 Tage vor Rückflug Entlassung mit Novamin, Paracetamol und 2 Unterarmgehstützen.

Zu Hause angekommen hatten wir einen Termin in der Chirurgie zur Nachsorge. Schmerzen waren ein Dauerthema und glücklicherweise die Sprechstundenhilfe eine Freundin unserer Tochter. Sie nervte ihren Chef so lange bis dieser wiederwillig ein CT des Beins anordnete. Der Fakt das die gebrochene Stelle schon Monate schmerzte interessierte ihn nicht wirklich. Die Schwellung und Schmerzen schob er auf ein 12x6x3cm großes Hämatom.

3 Tage später ein Termin um 7:00Uhr morgens im 80km entfernten Leipzig. Es ist inzwischen Mitte Juli 2023. Am gleichen Tag 5 Stunden später ist die Auswertung des CTs online einsehbar. Diagnose pathologischer Bruch -> dringende weitere Untersuchungen notwendig. Panik macht sich breit. Ein jeder unserer Familie bricht irgendwie zusammen.

Unser Hausarzt beschafft ihr umgehend ein Bett im Onkologischen Zentrum. Es folgen viele Untersuchungen von Kopf bis Fuß. Bei der Szintigrafie wird man fündig. Aktivitäten in der Lunge, der Schulter dem Becken und natürlich dem Bein.

Das Bein wurde nie näher untersucht. Es schmerzte weiter und war letztendlich voller Wasser. Kein Arzt kümmerte auch auf mehrfache Nachfrage darum. Zumindest eine Dauertherapie mit Bisphosphonaten wurde sofort eingeleitet. Bei der Port-OP am 04.09. empfahl der Gefäßchirurg das Bein im ersten Schritt zu wickeln und dann mit einem maßgefertigten Kompressionsstrumpf zu versorgen. Ab der ersten Wicklung wurde das Bein dünner, beweglicher und schmerzte, auch dank der vom Hausarzt verordneten Medikamente, weniger.

Es wurde eine kombinierte Therapie aus Chemo- und Immunmedikamenten gemäß Leitlinie begonnen. Die Metastase im Bein, bis dato das erste spürbare Symptom überhaupt, wurde kleiner und schmerzte weniger. Die Nebenwirkungen der Therapie waren übel. Schwallartiges Erbrechen über Wochen, nicht beherrschbare Durchfälle, übler Geschmack im Mund, Appetitlosigkeit, körperliche Schwäche aber kein Haarausfall.

Im Oktober 2023 erfolgte eine Einweisung in die Klinik wegen Durchfall, Bauchschmerzen, Fieber und endlosem Erbrechen. Diagnose Darmentzündung mit Pankreasbeteiligung als Nebenwirkung der Therapie nach Poseidon-Protokoll. Eine große Therapiepause über mehrere Wochen war die Folge. In der einen Art schön da Weihnachten ohne Therapie und Nebenwirkungen war. Allerdings hatten wir auch riesige Bedenken was die Folge davon sein könnte.

Und wir behielten Recht. Die Therapie wurde wegen schlechter Pankreaswerte abgebrochen. Im Januar 2024 bot man eine Zweitlinientherapie ohne Immunkomponente an. Zuvor machte man ein CT und stellte fest das das Tumorgeschehen teilweise kleiner oder nicht verändert ist. Allerdings fand man Lebermetastasen, viele Lebermetastasen.

Es startete die Therapie mit Doxetacel und Vargatef. Die Verträglichkeit war viel besser aber die Haare fielen aus. Der Gesamtzustand meiner Frau besserte sich zusehens. Sie ging mit unserer Tochter schwimmen, hatte Spaß mit den Enkeln, konnte gewisse Strecken wieder laufen. Zwar mit Krücken, aber gelaufen. Sie hatte Lebensfreude und wieder Appetit.

Nach dem dritten Zyklus bekam sie eine beidseitige Lungenentzündung toxischem Ursprungs welche aber schnell behandelt und Therapiert war.
Zwei Wochen nach der Lungenentzündung und einen Tag vor dem 4. Zyklus ein erneuter Kontrolltermin. Sie befand sich in teilweiser Remission. Leider haben die Lebermetastasen zugenommen und sind gewachsen. In direkter Folge bot man also eine dritte Chemo an. In der Hoffnung die Lebermetastasen zu verkleinern.

Vor dieser dritten Chemotherapie sind wir kurzentschlossen 1 Woche an die Ostsee gefahren. Zusammen mit unserer Tochter und den Enkelkindern. Es war einfach schön. Mir fiel auf das meine Frau an Kraft verloren hatte aber sie hatte Hunger, Appetit und Lebenslust. Allerdings machten sich Rückenschmerzen bemerkbar welche wir auf das unbequeme Hotelbett schoben.

Zurück zu Hause kam der erste Zyklus der dritten Chemotherapie. Wir freuten uns auf unseren Urlaub mit den Enkeln, dem Schwiegersohn und unserer Tochter Ende Mai am Gardasee. Die Rückenschmerzen nahmen trotz des gewohnten Betts weiter zu. Die Notaufnahme wurde am 24.04.2024 konsultiert mit Einweisung am selben Tag. Keine schnelle Diagnose.
Hauptthema Bauch- und Rückenschmerzen und sich verschlechternder Allgemeinzustand. Schmerzmedikation seit September 2023 bis hier: 16-0-16mg Hydromorphon retard und 100µg Fentanyl sublingual bei Bedarf.

Das Ärzteteam hat bei der notwendigen neuen Schmerztherapie völlig versagt. Man stocherte mit Novamin und Buscopan im Dunkeln. Ein weiteres CT brachte die Ursache an das Licht. Die Lebermetastasen waren explosionsartig gewachsen und verursachten die Schmerzen. Erst am 27.04. kam ein Arzt auf die Idee Morphin gegen die Schmerzen einzusetzen. Die anderen hätten einen weiteren Chemozyklus abgewartet. Dieser Arzt, übrigens nicht von der Station sondern „Diensthabend“ am Wochenende, informierte uns über den sehr schlechten Zustand meiner Frau. Keiner hat sich getraut dies meiner Frau mitzuteilen. Sie überließen diese Aufgabe unserer Tochter.

Zusammen haben wir beschlossen das Krankenhaus zu verlassen und die Schmerztherapie an das ambulante Palliativteam zu übergeben. Das Palliativ- bzw. Brückenteam kam noch am selben Tag zu uns nach Hause und versuchte die Schmerzen in den Griff zu bekommen. Das wir nur noch wenig Zeit haben wurde uns bewusst, allerdings wie wenig hat keiner geahnt.

Mit grob eingestellten Schmerzen, der Zustimmung der Brückenärztin und einen großen Koffer Medis sind wir alle 6 am 08.05.2024 für 10 Tage an den Bodensee gefahren. Und das war auch gut so. Es war toll. Wir waren noch einmal wenigstens ein bisschen Glücklich. Am Ende des Urlaubs bestand die Schmerztherapie aus 300µg/h Fentanyl-Pflaster und 4x600µg Fentanyl Sublingual sowie 4x20mg Morphin subkutan pro Tag als Bedarfsmedikation.

Meine Frau wollte immer öfter im Rollstuhl gefahren werden. Das Interesse an der Handarbeit, dem Essen und dem Umfeld lies zum Urlaubsende hin merklich nach. Jedoch nahm sie an jedem Ausflug teil. Eine Heimfahrt oder auf dem Sofa liegen war keine Option. Die hohen Dosen Schmerzmittel und vermutlich die nachlassende Leberleistung vernebelten ihr den Kopf. Diese Veränderung zu sehen ist für uns alle nicht nur schmerzlich sondern auch unerträglich gewesen.

Zurück zu Hause bekam Sie am 20.05.2024, übrigens unser 30ter Hochzeitstag, eine Morphinpumpe mit 13mg/h und 40mg Bolus. Jetzt waren auch die heftigsten Durchbruchschmerzen an der Leberkapsel und des Unterleibs beherrschbar. Allerdings verschlechterte sich ihr Zustand zunehmend.

Sie lud noch am selben Tag ihre Geschwister ein um sie zu informieren. Am 21.05. kam das Brückenteam zum Regelbesuch und verordnete ein Pflegebett welches am 24.05. geliefert wurde. Am 24.05. nachmittags, das Bett war gerade geliefert worden, war unsere Tochter die Enkel holen und ich habe mich kurz in den Schuppen verabschiedet um ein paar Beine für die Sofalandschaft herzustellen. Somit konnten wir diese wenigstens teilweise neben dem Pflegebett stehen lassen. Sie hat dem lächelnd zugestimmt.

Als ich 15 Minuten später zurück kam war sie in einer elenden Verfassung. Sie murmelte das sie keine Kraft mehr habe und sich von allen verabschieden wolle. Wir haben uns also verabschiedet. Eine Szenerie mit unübertroffener Emotionalität. Am gleichen Abend rappelte sie sich auf, musste zur Toilette und verspachtelte einen halben Becher Kartoffelsalat. Völlig klar im Kopf machte sie sich Gedanken ob sie nicht doch übertrieben habe und alles nur halb so schlimm war. Das war es leider nicht.

Meine liebe Frau ist am 25.05. morgens kaum noch zu sich gekommen und fiel in die finale Phase. Diese Phase, das schlimmste was ich in meinem Leben bislang gesehen und begleitet habe, dauerte 6 Stunden bis 12:05Uhr. Um 12:05Uhr verlor sie Ihren Kampf gegen einen anfangs unsichtbaren Feind. Ruhe in Frieden und vor allen ohne diese Schmerzen. Ich liebe dich über alles und werde dich nie vergessen.

Und das Allerwichtigste! Sie war zum sterben zu Hause und nicht allein! Meine Tochter und ich sind in den letzten Stunden nicht von ihrer Seite gewichen.
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  #2  
Alt Heute, 15:53
Falco Falco ist offline
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Registriert seit: 20.05.2023
Beiträge: 6
Standard AW: 11 Monate seit der Diagnose - eine kleine Geschichte

Hallo Michael,

herzliches Beileid zum Heimgang Deiner Frau.

Deine Schilderung ist erschütternd. Ich finde kaum Worte.....

Millionen Menschen haben auf diese oder ähnliche Weise schon ihre Liebsten verloren.

Ich wünsche Dir viel Kraft für die Zukunft.

LG Falco
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Stichworte
lebermetastasen, lungenkrebs, palliativ, schmerzen


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