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  #1  
Alt 08.12.2007, 20:47
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Redaktöse Redaktöse ist offline
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Standard Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Hallo,

mein Vater wurde vor 14 Tagen nach einem Zusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert. Nach einem Tag auf der Intensivstation wurde er in eine andere Klinik auf die Onkologie verlegt: Was zunächst wie ein mutmaßlicher Schlaganfall ausgesehen hatte, war ein epileptischer Anfall aufgrund eines raumfordernden Prozesses im Gehirn.

Mittlerweile lautet die Diagnose: inoperabler Lungenkrebs, zwei Metastasen im Kopf, Mikrometastasen im gesamten Körper.

Eine erste Lungenbiopsie ist gescheitert; die entnommenen Zellen haben zur Untersuchung nicht ausgereicht, wie meine Mutter und ich eine Woche später erfahren haben. Seitdem wird der Termin für eine weitere Lungenbiopsie in einem anderen Krankenhaus von Tag zu Tag verschoben. Mein Vater liegt in der Klinik, sieht tagelang keinen Arzt und fühlt sich so gesund wie immer. (Er ist 73 Jahre alt, Sportler, joggt jede Woche 70 Kilometer, achtet auf seine Ernährung und hat vor ein paar Wochen noch das goldene Sportabzeichen gemacht.) Die eleptischen Anfälle werden medikatmentös unterdrückt.

Letzten Freitag hat es ihm gereicht und er hat einen der Ärzte zur Rede gestellt. Der hat ihn quasi abgespeist und ihm so zwischen Tür und Angel gesagt, dass die Lungenbiopsie nur noch der Form halber gemacht wird. Es werde wohl keine Bestrahlung und keine Chemo eingeleitet werden.

Natürlich ist das alles ein großer Schock. Ich bin aber momentan noch weniger traurig als wütend. Tagelang, als ich in der Stadt meiner Eltern zu Besuch war, habe ich versucht, einen Arzt zu sprechen. Ohne Erfolg. Es wird überhaupt nichts unternommen. Dabei zählt der Professor der Onkologie dort angeblich zu deutschlands besten Krebsärzten.

Wenn man nicht mal mehr eine Chemo unternimmt, was heißt das dann?!? Kann mir irgendjemand irgendetwas sagen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ärzte meinen Vater einfach aufgeben. Abgesehen von seinem "inneren" Zustand ist er vital und aktiv wie immer. Kann es denn wirklich sein, dass er trotzdem Krebs im Endstadium hat?

Über dieses Wochenende hat Papa sich jedenfalls auf eigene Verantwortung entlassen lassen. Er ist nun daheim bei meiner Mutter und räumt sogar irgendwelche Möbel um. Allerdings ist er ziemlich gereizt und ungerecht ihr gegenüber.

Meine Frage ist eigentlich diese: Wenn die Ärzte nichts machen, was passiert dann? Gibt es überhaupt Fälle, bei denen der Patient total fit ist, und die trotzdem einfach unbehandelt aufgegeben werden? Kann das denn sein?

Ich will einfach nur Informationen. Lieber Negatives wissen als gar nichts.
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  #2  
Alt 09.12.2007, 01:34
Angela07 Angela07 ist offline
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Standard AW: Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Liebe Redaktöse,

es ist sehr schade, dass wieder ein Patient mehr an dieser Erkrankung leiden muß. Sei gegrüßt und willkommen im Forum.
Es ist schon möglich, dass das Stadium deines Vaters sehr fortgeschritten ist. Es ist leider meistens so, dass der Lungenkrebs erst in einem recht späten Stadium erkannt wird, wo man nicht mehr sehr viel machen kann. Mein Vater ist 75 , zusätzlich Herzkrank und sein Tumor sitzt an einer sehr ungünstigen Stelle, die nicht operiert werden kann, was beim kleinzelligen Krebs auch sehr selten gemacht wird. Er wurde im Mai/Juni07 nur mit Bestrahlungen palliativ behandelt.
Bei deinem Vater ist zumindest die Situation insofern besser, dass er einen sehr guten Allgemeinzustand hat durch seinen Sport. Ihr müsst den Ärzten unbedingt auf die Zehen stehen, dass sie euch die Situation erklären. Vor allen Dingen warum sie nichts unternehmen möchten. Lasst euch unbedingt einen Termin mit dem behandelnden geben, sie können das nicht verweigern. Und es gibt jederzeit die Möglichkeit einer zweiten Meinung. Lasst euch nicht " unter der Türe " abspeisen. Die Ärzte können einen Gesprächstermin nicht verweigern.
Fühlt euch gedrückt und seid zusammen stark!

Liebe Grüße Angela07
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  #3  
Alt 09.12.2007, 12:35
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Redaktöse Redaktöse ist offline
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Standard AW: Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Liebe Angela,

danke für deine warmen Zeilen.

Natürlich geben wir nicht so leicht auf. Mein Problem ist, dass ich über 500 Kilometer vom Wohnort meiner Eltern entfernt lebe, ich kann also nicht täglich in der Klinik sein und auf ein Arztgespräch drängen. Das habe ich zwar versucht, als ich meinen Vater besucht habe, aber entweder bekommt man blöde Auskünfte wie

"Morgen in der Visite." "Um wieviel Uhr ist denn Visite?" "Irgendwann im Laufe des Tages."

oder

"Ich bin Lernschwester. Fragen Sie den behandelnden Arzt?" "Wie erreiche ich den denn?" "Rufen Sie hier auf der Station an." Man ruft an, stundenlang, es nimmt niemand ab.

oder

"Die Besprechung folgt, wenn alle Untersuchungsergebnisse da sind." Und dann fragt mein Vater nach dem Ersatztermin für die misslungene Lungenbiopsie, und es heißt, das kann noch Wochen dauern, bis die Uni-Klinik mal Zeit für ihn hat.

Aber mein Vater kann doch nicht wochenlang im Krankenhaus rumliegen, ohne das etwas passiert, wenn es doch vielleicht schon so schlimm ist, dass er nur noch Wochen oder Monate zu leben hat.

Ich weiß, meine Postings drehen sich im Kreis. Aber ich bin so wütend. Ich war immer so angepasst und brav, jetzt bin ich nur noch wütend. Ich träume jede Nacht von dem Scheiß.

Hinzu kommt, dass mein Vater - dieses Wochenende ist er zu Hause - plötzlich seit vorgestern wie verwandelt ist. Er wünscht uns offen den Krebs an den Hals, weil wir ihn ja viel mehr verdient hätten als er, und bezichtigt uns, wir hätten seine Sachen schon weggeräumt, weil wir ihn schon beerdigt hätten. Das ist ganz schön heftig.

aber Angela, sag mir bitte, wie geht es deinem Vater jetzt? Und was bedeutet es genau, palliativ zu bestrahlen? Wird damit "nur" Schmerzen gelindert oder doch das Tumorwachstum gestoppt?

Liebe Grüße
Regine
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  #4  
Alt 09.12.2007, 13:58
östel östel ist offline
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Standard AW: Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Liebe Regine, deinen Frust verstehe ich bestens. Selbst wenn es keine Heilung im eigentlichen Sinn mehr gibt so muss, nach meiner Erfahrung, eine palliative Behandlung eingeleitet werden.Auch wenn es deinem Papa zum Glück gut geht sollte das möglichst lange so bleiben. Es gibt verschiedene gute Kliniken, telefoniere mit denen.Oder geht in eine onkologische Schwerpunktpraxis. Das hat den Vorteil, dass er in Vielem ambulant behandelt werden kann. Übrigens: ich war auch so ein Jogger/Schwimmertyp und dennoch hat mich ein Adenokarzinom eiskalt erwischt und ich habe es erst an den Knochenmetastasen gemerkt. Es gibt eine Infohotline des deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg : Tel 06221410121. Ich glaube die gehn auch am Wochenende ran. Auf jeden Fall bekommst du dort kompetente Beratung und vielleicht auch Adressen von Behandlungsmöglichkeiten. Alles Gute und viel Kraft wünscht euch Regina
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  #5  
Alt 10.12.2007, 13:30
seifenhexe seifenhexe ist offline
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Standard AW: Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Liebe Regine,
Deine Wut kann ich sehr sehr gut verstehen.Ich habe ähnliches erlebt bzw erlebe es gerade.Mein Mann ist im Juli an einem nicht-kleinzeller operiert worden.Zunächst war mein Mann schon 2006 bei einem Lungenfacharzt der es nicht für nötig hielt ein CT zu machen sonder ihm(60 Jahre alt,ex-Kettenraucher,plötzlicher starker nicht zu erklärender Husten)ein Spray verschrieb.Dann kam er 2007 in eine Lungenfachklinik die sicher fachlich gut ist aber....
Es dauerte 2 Wochen bis wir die endgültige Diagnose bekamen.Der Arzt hatte mit uns einen Termin um 13.30Uhr ausgemacht und kam ohne ein Wort der Entschuldigung um 17.15Uhr.Für uns eine lange Zeit.Dann sagte er:Tja die meisten Patienten wissen ja schon was los ist,sie haben einen 6 mal 5 Zentimeter großen Tumor,wahrscheinlich nicht operabel.
Auf meine Fragen antwortete er sehr unwirsch und lautstark.Zum Beispiel:"wir sind hier nicht in Hollywood ich kann ihnen auch nicht mehr sagen ".Als ich dann noch sagte ich würde mich im Netz informieren flippte er fast aus und schrie mich an "Jaaa die haben wir hier besonders gerne".
Jetzt ist mein Mann doch operiert,hat eine Chemo hinter sich und bekommt jetzt Bestrahlung.Wir haben auch jetzt keine Betreuung in dem Sinne sondern jeder Arzt macht sein Gebiet ohne große Gespräche,alles sehr sachlich.
Manchmal bin ich sowas von wütend...aber es nützt ja nichts
Auch ich bin der Meinung das etwas z.b pallitive Chem oder soetwasbei Deinem Vater gemacht werden müßte.Ich persönlich finde Hilfe und Rat immer bei MEINEM Hausarzt der meinen Mann nicht behandelt aber immer für mich da ist und mir Antworten gibt.Vielleicht versuchst Du es mal da.
Wo wohnen denn Deine Eltern?

Ich wünsche Dir Kraft und ein bißchen Gelassenheit

Lieben Gruß
Carola
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  #6  
Alt 10.12.2007, 22:56
WilliamMatthew
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Standard AW: Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Hallo Redaktöse,

deine Wut ist sicherlich für viele hier nachvollziehbar. Auch bei mir in der Familie waren wir vollkommen unzufrieden mit dem Informationsfluss der Ärzte. Binnen 4 Wochen war mein Vater schwerst erkrankt, hatte Lungentumor, dann plötzlich nichts bösartiges und "nur" einen tief-entzündlichen Herd in der Lunge, dann 1 Lymphmetastase, plötzlich doch Lungenkrebs... dann vollständig "verkrebst" und dann... naja. Was mir an den Ärzten nicht passt: sie lassen einem im Regen stehen und muten einem Hochs und Tiefs zu. Die Hospitzleitung erklärte uns später, dass die Ärzte keine Ausbildung im Angehörigenumgang haben. Sie sind teilweise betriebsblind und sehen nur die Medizin... die Hölle, die sie einem bereiten -- nun, manchmal mag es ihnen klar sein; dann aber können sie mit möglichen Reaktionen der Verwandten nicht umgehen und vermeiden daher konkrete "Hammeraussagen".

Ich wünsche Dir und Deinem Vater das Beste.
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  #7  
Alt 12.12.2007, 20:38
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Redaktöse Redaktöse ist offline
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Standard AW: Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Hallo ihr,

danke für eure Zeilen.

Seit dem Wochenende geht es mir nicht besonders, und ich schätze, es wird nun doch Zeit, dass ich einmal meine ehemalige Psychologin aufsuche. Ein bisschen was ist immerhin passiert: Gestern wurde bei meinem Vater die zweite Lungenbiopsie erfolgreich durchgeführt. Sie hat über zwei Stunden gedauert. Er hat auch endlich einmal das Röntgenbild seiner Lunge gesehen. Der Tumor sei etwa zwei Zentimeter groß und sitze eher am Rand, meinte Papa, und ich gebe zu, dass ich sofort gedacht habe, dass man das Ding vielleicht doch einfach wegschneiden kann. Nur eine Liste mit den Medikamenten haben wir immer noch nicht erhalten, obwohl der Chefarzt das nach der Beschwerde meines Vaters angeordnet hatte. Er bekommt aber wohl neben Cortison und Schlafmitteln für nachts auch irgendwelche Psychopharmaka, denn er weint gar nicht mehr. Es schockt mich aber doch ganz schön, dass sich die psychologische Betreuung von Krebspatienten nur darin erstreckt. Ich dachte wirklich, dass man da inzwischen viel weiter ist.

Seit der "dahingerotzten" Diagnose vor drei Wochen ist alles anders. Vor allem begegnet mir der Krebs überall: in Talkshows im Fernsehen, in Erzählungen von Freunden, Kollegen, natürlich täglich am Telefon mit meiner Mutter und in der Klinik sowieso.

Am Freitag fahre ich wieder hoch vom Bodensee nach Bonn. Dann müsste das Ergebnis der Biopsie langsam mal kommen.

Liebe Regina/östel, danke für deine praktischen, nützlichen Tips! Ich hoffe, ich schaffe es bald, aus meiner derzeitigen Resignation auszubrechen, mich zu informieren und zu kämpfen.

Liebe Carola/seifenhexe, was du schreibst, klingt leider sehr vertraut. Ich hoffe so sehr, dass sich der Umgang der Ärzte mit Krebspatienten und deren Angehörigen doch nach und nach zum Einfühlsameren ändert. Oder liegt das vielleicht speziell an den Ärzten in der Klinik und ist in ambulanten Praxen anders?

Lieber William, ich von dir schon vor einigen Tagen gelesen und mich in vielem sehr wiedergefunden. Vielleicht auch, weil wir in einem ähnlichen Alter sind, und die Krankheit bzw. der Tod eines Elternteils einen im vermeintlichen Erwachsensein so hin- und herschmeißt zwischen Verantwortungübernehmen und Kindseinwollen. Krebs ist einfach beschissen.

Danke euch allen für eure guten Wünsche! Passt auf euch auf!
Regine
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  #8  
Alt 12.12.2007, 20:52
jutta50 jutta50 ist offline
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Standard AW: Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Liebe Regine,

die Psychoonkologen muss man leider mit der Lupe suchen.

Die Krebs-Hotline ( 07 61 / 2 70 - 60 60) in Freiburg kann dir Telefonnummern von Psychoonkologen in der Nähe deines Papas raussuchen.

Liebe Grüße
Jutta
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  #9  
Alt 14.12.2007, 13:42
WilliamMatthew
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Standard AW: Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Zitat:
Zitat von Redaktöse Beitrag anzeigen
(...) Lieber William, ich von dir schon vor einigen Tagen gelesen und mich in vielem sehr wiedergefunden. Vielleicht auch, weil wir in einem ähnlichen Alter sind, und die Krankheit bzw. der Tod eines Elternteils einen im vermeintlichen Erwachsensein so hin- und herschmeißt zwischen Verantwortungübernehmen und Kindseinwollen. Krebs ist einfach beschissen.

Danke euch allen für eure guten Wünsche! Passt auf euch auf!
Regine
Das Kind-sein-wollen ist wirklich treffend ausgedrückt. Ich bin in den vergangenen 8 Wochen innerlich um Jahre gealtert - wegen all der Verantwortung, die ich liebend gern nicht gehabt hätte.

Bin auch am See Dass Du plötzlich überall mit dem Krankheitsthema konfrontiert bist, liegt sicher daran, dass man unbewusst alles aufsaugt, was einem hierzu "geboten" wird. Ich meine - als wir in der Lungenfachklinik Vati immer besucht haben, habe ich auch "schlimme Gestalten" sehen müssen, die wir Menschen nennen und die alle um's nackte Überleben kämpfen. An dem Tag, als wir leider die Koffer meines Vaters aus dem KH tragen mussten, da sind mir im Foyer Leute begegnet, die sahen schlimmer aus, als mein Vater... und sofort dachte ich: was ihr alles noch vor euch habt, um Gottes Willen.

Du machst sicher ein mega Auf und Ab durch und musst funktionieren. Aber du funktionierst nicht, weil du dich dazu disziplinierst, sondern weil du einfach aus irgend einer seltsamen Kraft heraus funktionierst. (Schachtelsätze mag ich )

Alles Gute für Euch ...
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  #10  
Alt 15.12.2007, 22:23
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Redaktöse Redaktöse ist offline
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Standard AW: Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Hallo ihr,

ich muss gestehen, dass diese Seite schon fast eine Tagebuchfunktion für mich bekommen hat. Viele andere Krankheitsgeschichten lese ich hier, vergleiche, finde Gemeinsamkeiten und nehme sie in mich auf wie die Erzählungen von Bekannten, auch wenn ich hier ja niemanden kenne; jedesmal bin ich auch froh, mir etwas von der Seele schreiben zu können.

Unsere Woche war bewegt. Am Donnerstag brachte ein Arzt die Diagnose auf, die angeblichen Metastasen im Gehirn seien nur Blutgerinsel und der angebliche Tumor in der Lunge nur nekrotisches Gewebe. Was hatten wir wieder Hoffnung! Noch einmal davongekommen!
Am Freitag folgte eine weitere Untersuchung, die leider aber die ursprüngliche Diagnose wieder erhärtete: Lungenkrebs mit zwei Metastasen im Gehirn, alle drei Tumore höchst virulent. Welche Art von Lungenkrebs wissen wir immer noch nicht. Auch die versprochene Liste der Medikamente, die mein Vater bekommt, haben wir nicht erhalten.

Nun hat Papa sich dieses Wochenende wieder auf eigene Verantwortung aus der Klinik entlassen lassen und ist daheim, wie ich zurzeit auch. Was vor zwei Wochen noch unvorstellbar schien, wird nun langsam Realität: Die Krankheit beginnt, sich auch nach außen zu zeigen.

Mein Vater ist nur noch aggressiv und macht uns Vorwürfe wegen allem. Er schläft überhaupt nicht mehr und wird auch nicht müde. Dafür hört man ihn jetzt immer laut atmen. Auf seinem Kopfkissen im Krankenhaus waren seltsame blassrote Blutspuren zu sehen.

Ich dachte, wir hätten innige letzte Wochen zusammen, mit vielen Gesprächen. Aber mein Vater ist in seiner eigenen Welt, wichtige Fragen können wir gar nicht besprechen. Schon gar keine Gefühle. Er beschimpft uns immer nur, wir würden ihn ja lieber tot sehen wollen.

Und ich? Ich fühle mich so gar nicht verständnisvoll. Ich kann nur enttäuscht schweigen. Es fällt mir schwer, ihn so zu lieben. Allein dieser heutige Tag mit ihm war so unglaublich kraftraubend. Dabei bin ich doch zu meinen Eltern gefahren, um Kraft zu geben. Nun erwarte ich nur noch morgen Mittag, wenn ich mich in den Zug nach Konstanz setzen kann und eine ganz normale Arbeitswoche vor mir habe.
Mir graut vor Weihnachten. Gleichzeitig bin ich so enttäuscht über meine eigene Mangelhaftigkeit, mein Unvermögen, großzügig über alles hinwegzusehen.

Und das ist erst der Anfang.

Regine

Geändert von Redaktöse (15.12.2007 um 22:25 Uhr)
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  #11  
Alt 16.12.2007, 13:21
Benutzerbild von Graci
Graci Graci ist offline
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Standard AW: Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Hallo Regine,
was Du gerade erlebst, ist leider völlig normal.
Mit meinem Mann geht es mir ganz ähnlich, meine große Liebe,
seit 20 Jahren zusammen, dann die Diagnose:
Lungenkrebs mit Gehirnmetastasen.
Das war vor drei Monaten,
und mein Mann hat sich derartig verändert, die ganze Persönlichkeit ist anders, er ist körperlich sehr hinfällig, auch ungerecht und stänkerig, dann nimmt er sich wieder zurück,
also von innigen Gesprächen kann auch keine Rede sein, eher ein reduziertes Leben auf Essen, Waschen etc. und warten auf den Tod,
es ist fürchterlich,
und ich kann Dein schlechtes Gewissen gut verstehen, ich habe es auch, aber wir sind auch nur Menschen und haben keinerlei therapeutische Ausbildung, um damit umzugehen.
Ich glaube, der Patient entschwindet innerhalb kurzer Zeit nach der Diagnose - mein Mann weiß, das keine Heilung möglich ist, weil die Krankheit zu spät entdeckt wurde,
in einer ganz eigenen Welt, und die Gehirnmetastasen tun ein Übriges, um den Menschen komplett zu verändern.
Mein Mann ist gerade zur Chemo im Krankenhaus,
und ich nehme die Pause, um selbst wieder auf die Beine zu kommen,
es ist sehr schwer, mit einem so kranken Menschen umzugehen,
also erwarte auch nicht zuviel von Dir,
Gruß Gracia
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  #12  
Alt 16.12.2007, 13:25
seifenhexe seifenhexe ist offline
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Standard AW: Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Liebe Regine,
es tut mir gut das Du auch nicht immer nur Verständnis und Liebe aufbringen kannst.Ich habe mir am Anfang auch viele Vorwürfe ob meiner Unzulänglichkeit gemacht.Jetzt denke ich einfach das ich auch ganz oft überfordert bin mit der Situation und eben auch nur ein Mensch.Ich versuche die Launen auszuhalten bzw frage dann einfach:worüber regst Du Dich denn wirklich auf?Möchtest Du darüber reden?"meistens ist die Antwort ein Nein.Auch ich hatte die Vorstellung einer innigen und liebevollen,besonders nahen Zeit.Aber heute glaube ich einfach wenn ich in der Situation wäre,würde ich nur noch schreien und um mich schlagen.
Ich sage meinem Mann ganz oft das ich ihn liebe und immer für ihn da bin.Ich koche nur noch was er gern mag und tue sonst auch alles für ihn.Das ist meine Art ihn zu ünterstützen und ihm das Gefühl zu geben das er immer gut aufgehoben ist.Und dann kommen plötzlich Augenblicke in denen er zu seiner Schwester sagt:"ich habe meiner Frau alles zu verdanken,ohne sie wäre ich auf geschmissen,sie kümmert sich sehr um mich"das ist doch dann viel Nähe und liebevolle Zuneigung.
Ich glaube einfach das man sich nicht total verändert weil man krank ist.Wenn man nie groß über Gefühle reden konnte wird man das dann auch nicht tun.Ich denke heute auch das mein Mann das Recht hat sich so zu verhalten wie es ihm gerade zumute ist ,denn ich könnte diese Angst die er haben muß,überhaupt nicht aushalten.
Trotzdem,wenn es mir zuviel wird sage ich das auch.Allerdings in einem möglichst ruhigen und auf keinen Fall verletzendem Ton.
Mein fazit nach diesemlangen Text:Überfordere Dich nicht mit dem Gefühl des "Allesverstehns" , nimm auch nicht alles wörtlich was er so sagt,denke immer das er ja gar nicht auf Euch böse ist sondern auf dieses sch....Schalentier.Außerdem hat jeder Mensch seine eigenen Regeln und die Idealvorstellung wie man mit solchen Dingen umgehen "muß"erfüllen wohl die wenigsten.
Mensch was für ein Text.......

Ganz lieben Gruß und viel Kraft für Dich

Carola
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  #13  
Alt 18.12.2007, 19:38
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Redaktöse Redaktöse ist offline
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Standard AW: Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Liebe Garcia, liebe Carola,

eure Beiträge zu lesen hat mir so gut getan. Manchmal denke ich, so wie man Idealvorstellungen davon hat, wie das Leben zu sein hat, hat man als Angehörige/r auch Idealvorstellungen, wie ein Patient mit einer unheilbaren Krankheit zu sein hat. Für mich war das immer gemeinsames Trauern, Gespräche über die wirklich wichtigen Dinge im Leben, die kurzen schönen Momente in Ruhe gemeinsam genießen ... So ist es nun eben nicht.

Aber irgendein Sinn wird auch dahinter stecken. Nur erkenne ich den vielleicht erst viel, viel später.

...

Morgen wird mein Vater aus dem Krankenhaus entlassen - nach dreieinhalb Wochen. Es hat bisher kein ausführliches Arztgespräch stattgefunden, keine Bestimmung der Tumorart, keine Bekanntgabe der Medikamente, keine Info über Chemo oder Strahlentherapie. Dafür soll nun am 27.12.2007 eine der beiden Metastasen im Gehirn operiert werden. Mir ist absolut schleierhaft, warum. Das widerspricht allem, was ich bisher gelesen habe. Mein Vater wiederum ist froh und glücklich über diese OP. Aber ich kann mich gar nicht darüber freuen. Ich sehe keinen Grund, warum.

Vielleicht weiß ja jemand von euch mehr dazu.

Liebe Grüße
Regine
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  #14  
Alt 18.12.2007, 20:14
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Graci Graci ist offline
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hallo Regine,
zu der Op kann ich nichts sagen, aber Du hast vollkommen recht, diese Gespräche und diese Innigkeit, die man sich als Angehöriger wünscht, gibt es wohl nicht, und ich habe mich auch gefragt, wie würde ich denn mit einer solchen Diagnose umgehen?
Mein Mann ist wirklich schon weg, und Dein Vater ist auch schon in seiner eigenen Gefühlswelt,
es ist alles nur schrecklich, aber einfach nicht zu ändern,
habe ihn trotzdem lieb,
einen besseren Rat habe ich leider nicht,
Gruß Gracia
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  #15  
Alt 18.12.2007, 20:29
jutta50 jutta50 ist offline
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Standard AW: Unzufrieden mit Informationen durch Arzt

Liebe Regine,

ich glaube Hirnmetastasen haben bei der Behandlung immer oberste Priorität vor allem anderen. Bin mir zwar nicht ganz sicher, aber das würde das Vorgehen der Ärzte erklären.
Liebe Grüße und alles gute
Jutta
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