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Alt 27.04.2014, 19:05
Maigloeckchen Maigloeckchen ist offline
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Unglücklich Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Hallo zusammen,

ich bin 32, meine Mutter ist vor fast drei Jahren am Lungenkrebs erkrankt. Seither hab ich immer mal still mitgelesen.

Zu erzählen hätt ich viel, werde mich aber erstmal kurz fassen, da ich ohnehin schon nicht mehr schlafen kann und Angst hab, jetzt Alles ohne jede Dosierung rauszulassen.

Meine Großeltern sind schon früh verstorben, für mich noch immer unbegreiflich. Meine Mum war nichtmal 50, als die Diagnose kam. Sie sagte damals am Telefon, dass ihr das Husten weh tut, sie sich aber nicht zum Arzt traut, weil sie Angst hätte vor dem, was kommen könnte. Zu Recht.

Sie hatte einen kleinzelligen Tumor im rechten Lungenflügel, der (meiner Meinung nach ziemlich spät nach der Diagnose) operiert wurde. Alles lief gut und zur Vorbeugung wurde noch eine Chemo gemacht. Alles super. Dachte ich...

2012 war für mich ein sehr hartes Jahr und endete im Burn-Out. Erst im Frühsommer letztes Jahr erfuhr ich, dass meine Mum nach ihrer OP in 2011 weiter in Behandlung war, weil der Tumor nach der Chemo direkt wieder wuchs. Sie konnte und wollte es mir nicht erzählen, als es mit ohnehin so schlecht ging um mich zu schonen. Damals bekam sie Bestrahlung und Tabletten, die das Wachstum des Tumors bremsen sollten aber Alles in Allem hätte ihr Arzt (Hausarzt) angedeutet, ihre Angelegenheiten zu erledigen. Das konnte ich so nicht stehen lassen, holte sie zu uns und wir holten uns in Heidelberg eine zweite Meinung. (muss schmunzeln, wenn ich dran denke, wie unsicher sie war, ob das denn tatsächlich ginge)
In Heidelberg stellten die Ärzte fest, dass die so super teuren Tabletten gar nichts brachten, der Tumor sogar wuchs. Man empfahl uns eine "ordentliche Chemo", die den Wachstum durchaus aufhalten könnte. Verloren sei noch gar nichts. Nur eine OP kam schon damals nicht mehr in Frage, da der Tumor bereits in die Nebenniere gestreut hat.

Meine Mum hat das mit den Chemos immer super durchgestanden, gekämpft - auch wenn sie nicht mehr laufen konnte. Sie hat wirklich alle Nebenwirkungen mitgenommen - nur ihre Haare hat sie behalten. Das war letzten Herbst. Über den Winter hat sie mächtig abgebaut, war nie erreichbar, immer schlief sie. Das Essen funktionierte nicht, Trinken nicht... die Schleimhäute waren stark angegriffen und alles, was sie trotz Schmerzen runterbekommen hat, brach sie wieder aus. Aber es ginge ihr gut... sagte sie. Von ihren Ärzten fühlte sie sich im Allgemeinen nicht gut betreut, wobei ich auch denke, dass sie entweder gar nicht oder nicht richtig fragt. Seit Ende Januar bekommt sie Morphium gegen die Schmerzen, die sie permanent begleiten. Anfang März rief mein Stiefvater mich an, sie sei jetzt im Krankenhaus, weil sie so wenig wiegt und nichts mehr essen kann. Mich traf der Schlag. Dass man von dem, was sie am Telefon erzählt, noch die Hälfte abziehen muss um der Wahrheit nahe zu kommen, war klar - aber so schlimm? Wir fuhren sofort hin (ca. 650km liegen zwischen uns)

Da liegt im Krankenbett eine Anreihung von Knochen, Kuchen kauend und trotzig, wie eh und je. Erst am zweiten Tag, als sie immer wieder wegdämmerte und ständig ihr Gesicht verlor (ich weiß nicht, wie ichs anders beschreiben soll) konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Ich kenne die Chancen und Prognosen, ich denke, ich bin ein realistischer Mensch - aber sie ist meine MUTTER.

Seither weiß ich nicht, ob ich mir leid tue oder sie. Die Vorstellung, wie sie da allein in ihrem Krankenbett liegt in dem Wissen, was passiert und trotzdem weitermacht... Das Personal lies erkennen, dass es eindeutig meine Mutter war, die sie betreuten. Schlagfertig, selbstbestimmt und manchmal recht unterhaltsam. Sie wurde nach zwei Wochen entlassen, mit nur einem Kg mehr auf der Waage, aber halbwegs schmerzfrei und mit Appetit im Bauch.

Seit fast zwei Wochen liegt sie wieder im Krankenhaus, sie hält die Schmerzen nicht aus. Sie hat Metasthasen in Niere, Leber und jetzt auch im Kopf. Die Streuung im Kopf ist nicht mehr zu übersehen, schon länger vertauscht und vergisst sie Dinge. Ich hab vor längerer Zeit schonmal gefragt, ob sie sich mal in den Kopf hat schauen lassen - alles wäre okay.

Momentan geht Alles sehr schnell. Sie stürzt oft, mein Vater musste am Freitag ansehen, wie meine Mutter im Krankenhaus von der Toilette aufgelesen werden musste. Sie ist oft verwirrt, eigentlich mehr als das sie noch klar ist. Das liegt an den Metasthasen, sagen die Ärzte. Die sollen bestrahlt werden, damit es evtl. ein bisschen besser wird. Mehr ist nicht mehr machbar.

Nächste Woche habe ich einen Termin mit dem behandelnden Arzt, aber nach jedem Telefonat mit meinem Vater weiß ich mehr, als mir lieb ist. Meine Mutter wird ruhig gestellt, weil sie trotz Allem noch immer ausbüchst, um an der Zigarette zu ziehen. Wenn sie stürzt und sich was bricht, sehen wir alt aus. An eine OP wäre nicht zu denken.

Das Alles schreibt sich jetzt so leicht, bin doch so weit weg vom Geschehen. Ich zähle die Tage, bis wir wieder nach Hause fahren, was mich erwartet, weiß ich. Ich bin erstaunt, wie gut mein Alltag noch läuft, wo meine Gedanken doch Achterbahn fahren. Ich verliere meine Mutter - sehr bald. Mein Vater verliert seine Frau und steht vor einem Scherbenhaufen und mit zwei Teenagern, die dann ohne ihre Mutter erwachsen werden müssen.

Ich bin die Älteste von fünf Kindern, meine Familie ist im Gesamten recht chaotisch aufgestellt, es sah nicht immer danach aus, aber gerade jetzt rücken wir zusammen und versuchen, den beiden Jüngsten einen Puffer zu schaffen und gerade die Zwei, die seit fast drei Jahren so nah am Geschehen sind, machen dicht und lassen uns nicht ran. Verwunderlich? Sicher nicht.

Mich macht das Alles so hilflos, wir können nichts tun. Ich bin die Älteste, hab das Bedürfnis, die Jüngeren zu stützen und bin am Ende diejenige, die die meisten Tränen vergießt - möglich ist das. Mein Trauerprozess läuft schon sehr lange, inzwischen möchte ich nur, dass es meiner Mutter gut geht. Ganz egal wie, auch wenn wir sie gehen lassen müssen. Seit fast einer Woche kann ich Nachts nicht mehr schlafen. Wie soll ich zu meiner Mutter ans Bett treten und stark bleiben?
Letzte Woche hat sie mich am Telefon an den Geburtstag meiner Schwester erinnert - der einen Monat her ist.
Mein Verstand sagt mir, dass sie ihr Sterben nicht schmerzen wird - das hat sie sich verdient und ich wünsche es mir, dass es sanft wird. Aber wir bleiben zurück und das zerreißt mir das Herz. Für mich, meinen Vater und meine Geschwister.
Ich frage mich ständig, wieviel Angst sie hat, ob ich ihr die nehmen kann. Darf ich sie überhaupt fragen, wie sie sich den Tod vorstellt? Wir sind keine Familie, die viel über Gefühle spricht, ich hab meiner Mutter in meinem Leben vielleicht zwei Mal weinen sehen. Wie soll ich sie jetzt trösten?
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