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Alt 07.11.2012, 13:57
Tiina Tiina ist offline
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Registriert seit: 04.08.2010
Ort: Hamburg
Beiträge: 676
Standard Mein Mami ist tot

Seit fast 2 Jahren ist meine Mami nun schon tot und ich habe immer noch zu kämpfen...
Ich lese und schreibe hier ja schon lange - jetzt wollte ich doch mal gesammelt aufschreiben, was mir so durch den Kopf geht und vielleicht auch ein bißchen ordnen...

Meine Mami bekam am 25.01.2010 die Diagnose Lungenkrebs, Stadium 4, sie bekam Chemo, die hat zuerst auch gut gewirkt, im Juni begann der Tumor wieder zu wachsen, bald brauchte sie Sauerstoff, zum Schluss in so hohen Mengen, dass die Technik an die Grenzen stieß. Anfang November wurde die Therapie beendet, Ende November habe ich sie in ein Hospiz gebracht, am 13.12.2010 ist sie in meinem Beisein gestorben.

Meine Mami hat sich die Frage "Warum ich?" nie gestellt - "Warum nicht ich?" sagte sie da immer.
Dafür habe ich jetzt viele "Warum"-Fragen - eigentlich eher "Warum habe ich bloß nicht..."

Zum Beispiel:

- Warum habe ich nicht aufgehört zu arbeiten und die letzten Wochen und Monate ganz mit ihr verbracht?

- Warum habe ich sie nachts im Hospiz alleine gelassen (bis auf die letzte Nacht)?

- Warum habe ich sie nicht mehr umarmt, mich nicht zu ihr ins Bett gelegt?

- Warum habe ich nicht dafür gesorgt, dass sie stärker sediert wurde und ganz friedlich rübergleiten konnte? (Sie hat im Hospiz am letzten Tag Morphin Spritzen in den Bauch und Tavor Schmelztabletten bekommen - aber Morphin auch nur in bestimmten Abständen. Und sie ist trotzdem zwischendrin hochgeschreckt, hat gerufen "Wer hilft mir?", hat sich die Haare gerauft.)

Ich habe auch Antworten darauf:

- Es war überhaupt nicht abzusehen, dass es so schnell gehen würde. (Bis auf ihren letzten Tag war sie jeden Tag auf. Selbst an ihrem letzten Tag hat sie noch mit Appetit gegessen.) Selbst die Hospiz-Mitarbeiter waren überrascht davon. Ich habe weniger gearbeitet - freigestellt hätte mich mein Arbeitgeber nie, da hätte ich mich schon krank schreiben lassen müssen.
Und - ja, ich habe mich sicher zu schwer damit getan, im Job mal 5 gerade sein zu lassen!

- In der Zeit vor dem Hospiz habe ich immer bei ihr übernachtet - durch die räumlichen Gegebenheiten in einem anderen Zimmer. Meine Mami hat sich immer bemüht, ganz leise zu sein, wenn sie nachts aufgestanden ist, um mich nicht zu wecken. Und ich habe versucht, so leicht wie möglich zu schlafen, um sie trotzdem zu hören... In den letzten Nächten (als ich Angst hatte, dass sie den Weg nicht mehr schafft), habe ich daher auf dem Sessel geruht, damit ich auf jeden Fall mitbekomme, wenn sie aufsteht. Als sie ins Hospiz gekommen ist, war ich sehr erleichtert, dass ich jetzt mal wieder schlafen kann, dass meine Mami nicht mehr alleine war, wenn ich nicht da bin.
In den Wochen vorher war ich ganz massiv überfordert mit der Situation, mich vollkommen alleine um meine arme Mami zu kümmern - waschen und anziehen, Sauerstoff-Versorgung, Kampf um Medikamente, so viel Organisation (Palliativnetz, Pflegestufe, Arzttermine, Hospiz), einkaufen... Und immer die Angst, was mache ich, wenn es weiter bergab geht...

- Meine arme Mami hat furchtbar an Atemnot gelitten, deshalb habe ich mich kaum getraut, sie zu drücken, aus Angst, dass sie sich beengt fühlt. Ich habe eher ihre Hände angefasst, sie sanft gestreichelt. Ins Bett zu gehen war immer ein langwieriger Akt voller Angst, keine Luft zu kriegen. Es wäre für mich unvorstellbar gewesen, sie da so zu bedrängen...
In der Nacht als sie gestorben ist, habe ich ihre Hand gehalten - aber teilweise hat sie sich auch losgerissen. Dann habe ich mich nicht getraut, sie wieder festzuhalten, habe nur vorsichtig meine Hand in die Nähe gebracht. Ich habe mich überhaupt nicht getraut, mich zu rühren, geschweige denn ihren Kopf zu streicheln oder so, weil ich nur wollte, dass sie nicht mehr leiden muss, so eine Angst hatte, dass sie wieder hochschreckt.

- Mir waren die Unterschiede in der "terminalen Sedierung" vorher nicht so klar... Im Hospiz war nichts anderes vorgesehen.

Aber die befrieden mich nicht wirklich... Ich komme von den Fragen nicht los... In der Zeit selbst war ich eigentlich ganz zufrieden mit mir, dass ich das soweit alles geschafft habe (war teilweise auch knapp - gegen Ende habe ich auch wirklich wichtige Dinge fast vergessen, wie ein Morphin-Rezept einzulösen) - aber jetzt hadere ich mit all dem, was ich nicht geschafft habe. Wenn ich höre, dass jemand die letzten Wochen ohne Pause bei dem Sterbenden war, dort übernachtet hat, denke ich "Warum habe ich das nicht getan?" Wenn ich ein Bild sehe, wie jemand bei der sterbenden Mutter im Bett liegt und sie innig umarmt, frage ich mich, ob es nicht doch lindernd für meine Mami gewesen wäre.
"Ich habe es nicht besser hingekriegt" kann ich nicht gelten lassen - es ging doch um meine geliebte Mami und es war das letzte, was ich für sie tun konnte!!

Falls jemand bis hier durchgehalten hat - Respekt! Und sorry für das wirre Rumgejammere...

Liebe Grüße,
Anja
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