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  #1  
Alt 03.02.2009, 16:23
Tinusch Tinusch ist offline
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Registriert seit: 16.01.2009
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Beiträge: 37
Standard Dasein für meine Mama

Hallo!

Schon seit gut einem Jahr bin ich stille Mitleserin in diesem Forum.
Ich habe mich hier im „Angehörigen – Bereich“ vorgestellt, weil ich hier meinen ersten Beitrag geschrieben habe.

Ich bin damals auf dieses Forum gestoßen, weil ich Hilfe im Umgang mit der Krebserkrankung meiner Mutter gesucht habe.
Meine Mutter ist im August 2003 wegen starker Rückenschmerzen zu ihrem Hausarzt gegangen, der nach einer Ultraschalluntersuchung einen 10 x 10 cm großen Tumor an der rechten Niere feststellte und eine Einweisung in eine Uniklinik veranlasste.
Wenige Tage später wurde bei meine Mutter eine Nephrektomie rechts mit Nebennierenresektion (T2, N0, M0) vorgenommen, denn es stellte sich nach weiteren Untersuchungen heraus, dass es sich um ein Nierenzellkarzinom handelte .
Meine Mutter war damals 64 Jahre alt, körperlich und geistig fit und ein sehr optimistisch denkender, fröhlicher Mensch, den so schnell nichts umwirft.
Sie hat sich nach der OP sehr schnell erholt. Physisch und psychisch, wozu sicherlich auch die anschließende AHB beigetragen hat und ihr Wissen darum, dass wir, ihre Familie, immer für sie da sind.

Meine Mutter hat gewissenhaft sämtliche Nachsorgetermine wahrgenommen.
Bei jedem Termin haben wir alle gehofft, dass „nichts gefunden“ wird und bei uns allen war die Erleichterung groß, wenn alles in Ordnung war.

Im vergangenen Jahr, fast 5 Jahre nach der ersten OP,wurde bei einem dieser Nachsorgetermine im Abdomen CT ein vergrößerter Lymphknoten (2x2cm) festgestellt, sodass von einer Metastasierung ausgegangen wurde .

Es folgten weitere Untersuchungen und schließlich wieder eine OP (Rezidivtumor – sowie Lymphknotenbergung) in der Uniklinik.

Bereits 9 Tage nach der OP konnte meine Mutter, in körperlich recht guter Verfassung, die Klinik verlassen und wenige Tage später wieder zur AHB fahren.

Die Psyche hat sich bis heute, fast 9 Monate nach dem Eingriff, leider nicht erholt.
Meine Mama ist gar nicht mehr belastbar, weint sehr schnell, nimmt sich alles sehr zu Herzen, fühlt sich (psychisch) sehr schnell überfordert ........, sagt sie.
Sagt auch, dass sie weiß, dass sie sehr ungeduldig ist und auch oft ungerecht zu meinem Papa und anderen ihr nahestehenden Menschen ist.

Körperlich geht es ihr gut, aber die Seele weint .

Es ist nicht so, dass sie sich an nichts erfreuen kann.
Sie steht nach wie vor „mitten im Leben“, betreut mehrmals in der Woche mit viel Freude die Kinder meiner Schwester, meine Eltern besuchen kulturelle Veranstaltungen, feiern mit Freunden, fliegen in den Urlaub, ...... genießen das Leben.
Aber, .......... die Stimmung schlägt so schnell um. Beim kleinsten Auslöser kommen ihr die Tränen. Mir fällt gerade leider kein Beispiel ein.
Ich denke, ich muss auch keines nennen, weil sicher viele hier das kennen.

Es ist sehr traurig, das mit anzusehen und es ist schwierig für uns, vorallem für meinen Papa, damit umzugehen und nicht zu wissen, wie wir helfen können.

Vor ein paar Tagen war wieder ein Nachsorgetermin: Alles in Ordnung!

Mein Vater hat mich erleichtert angerufen und mir den Arztbrief gefaxt, von mir fiel wieder die Anspannung ab und wir alle sind froh, dass alles o.B. ist.

Nur, ..... meine Mama ......... ? Ich habe bei ihr keine Erleichterung spüren können. Sie hat es einfach so hingenommen, ........ sogar wieder geweint am Telefon..........
Auch vor Erleichterung, weil die Anspannung abfällt..........?
So, wie ich jedesmal, wenn alles o.B. ist..........?
Ich weiß es nicht...........

Nun habe ich hier schon soviel gelesen, soviel gelernt, von Betroffenen und Angehörigen, vom Leben mit dem Krebs, vom Umgang miteinander ...... und bin dennoch so oft verzweifelt, weil ich meine Eltern sehr lieb hab und nicht weiß, wie ich helfen kann .

Helfen ist schon, dass sie wissen, dass ich immer da bin, wenn sie mich brauchen und das wissen sie, das sagen sie mir immer wieder.
Und genau das ist ein Thema, zu dem ich gerne, um besser damit zurechtzukommen, Euch Ansichten erfahren möchte. Und noch manch andere Dinge mehr, die mir auf der Seele brennen.

Aber, keine Angst, nicht heute, denn dieser Beitrag ist schon viel zu lang geworden .
Ich danke allen, die bis hier durchgehalten haben, dass ich mich bei Euch ausmüllen durfte und gelobe Besserung, mich beim nächsten Mal kürzer zu fassen und schneller auf den Punkt zu kommen.

Ganz liebe Grüße an alle hier von
Tinusch
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  #2  
Alt 03.02.2009, 17:13
Kirsten67 Kirsten67 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 05.06.2008
Beiträge: 842
Standard AW: Dasein für meine Mama

Liebe Tinusch,

ich finde, Du hast es wunderbar auf den Punkt gebracht. Manche Dinge lassen sich einfach nicht mir zwei, drei Worten beschreiben.

Vieles, was Du beschreibst, kann ich auch bei meinem Papa beobachten. Das begann vor ca. 10 Jahren. Da ist er gerade noch mal an einem schweren Herzinfarkt vorbei geschlittert und hat drei Bypässe bekommen. Danach begann es, dass mein Papa "sehr nach am Wasser gebaut" hatte. Und auch er stand da noch mitten im Leben.

Heute ist das noch viel extremer. Er weint unabhängig von guten oder schlechten Nachrichten und bei tausend kleinen Anlässen.

Ich bin kein Psychologe, nur eine Tochter, die ihren Papa furchtbar lieb hat, aber ich glaube, dass dies sehr viel mit der echten Angst um das eigene Leben zu tun hat, Angst vor Schmerzen, Angst um die Lieben, Angst um die Zeit, die einem noch bleibt, Angst, die eigene Selbständigkeit zu verlieren, Angst um die Zeit danach.
Und ich glaube bei meinem Papa, dass es auch ein Abschieds-Schmerz ist. Er weiß, dass seine Zeit irgendwo begrenzt ist und trauert heute darum, dass er irgendwann nicht mehr bei uns sein kann. Er versucht, jeden Moment in sich aufzusaugen, z.B. seinen Geburtstag, und war danach todunglücklich, dass er nun vorbei ist.

Ich glaube, die Tränen sind sein Weg ist, mit der Belastung umzugehen. Es gibt hier auch viele, die von Agressionen schreiben. Auch das ist ein Weg, die eigenen extremen Emotionen zu verarbeiten. Aber eben nicht der meines Papas. Wo sollen sie denn sonst hin?

Ja es tut weh, es zerreißt einen und zieht den Boden unter den Füßen weg.
Ich versuche dann, für meinen Papa da zu sein. Telefonsich oder vor Ort.
Seine Tränen zu akzeptieren und zu respektieren, ihn so anzunehmen, wie er ist.
Ich versuche auch nicht, ihn mit Worten zu trösten, sage ihm dann nur "ich hab dich lieb" und "Du bist nicht allein" und "ich bin so stolz auf Dich". Aber dann weint er meist noch mehr und dann weinen wir oft zusammen. Danach gehts meist wieder.

Mein Papa geht auch zu einem Psychologen. Ich hätte gernen eine Psycho-Onkologen ausgesucht, weil die ja genau damit umgehen können. Leider gibts bei meinen Eltern in der Nähe keinen. Und der "normale" Psychologe kann nicht wirklich helfen.

Am Wochenende habe ich meinem Papa auch versprochen, jederzeit und imemr auch für Mama da zu sein. Er hat so Angst um sie, wenn er mal nicht mehr da ist. Natürlich hat er auch da geweint, aber ich wußte, dass ich ihm dieses Versprechen schon heute geben mußte.

So, das ist auch nicht viel kürzer und vielleicht ähnlich zu Eurer Situation.

Sei ganz lieb gegrüßt von Kirsten.
__________________
Mein Papa: Diagnose BSDK mit Lebermetastasen Ende Mai 2008
Den schweren Kampf verloren am 05.04.2009


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  #3  
Alt 04.02.2009, 08:37
Tinusch Tinusch ist offline
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Registriert seit: 16.01.2009
Ort: in Schleswig-Holstein
Beiträge: 37
Standard AW: Dasein für meine Mama

Guten Morgen!

Liebe Kirsten,
ich habe Deinen Thread „Angst vor dem eigenen Egoismus“ von Beginn an verfolgt. Ich wurde darauf aufmerksam, weil ich das Wort „Egoismus“ gelesen habe und dachte, dass es auf mich passt.
Bei mir ist es aber anders.

Mein Egoismus findet nur in meinem Kopf statt. Ich habe oft das Gefühl, dass meine Eltern es gerne hätten, wenn ich öfter in ihrer Nähe bin, ich aber hätte auch gerne ´mal Zeit für mich .
Das klingt ja jetzt total egoistisch …… So bin ich eigentlich nicht, eher das Gegenteil, ich möchte es gerne allen recht machen und habe oft das Gefühl selbst dabei auf der Strecke zu bleiben. Mag aber nichts sagen, um niemanden zu verletzen.

Wir telefonieren fast täglich und einmal in der Woche verbringe ich einen Tag mit ihnen.
Die Telefonate machen mich oft sehr traurig, weil meine Mama meistens im Laufe des Gesprächs weint oder Aussagen von ihr kommen, wie „…..wenn ich dann noch lebe“ .
Trotzdem vermisse ich sie, wenn wir ´mal 2 Tage nichts voneinander hören und mach´ mir gleich Sorgen, dass ´was passiert ist.

Wenn ich dann bei ihnen bin, ist es ganz anders . Nicht bedrückend und traurig.
Wir reden viel, über alles, auch, aber nicht nur über den Sch..…krebs. Meine Mama und ich sind „Spielernaturen“ und „kloppen“ oft stundenlang Karten, bummeln durch die Geschäfte, haben Spaß dabei und die Sorgen rücken in den Hintergrund.

Ich werde meine Eltern in dieser Woche nicht sehen, weil sie viel vorhaben.
Sie wissen, dass wir am Samstag zu meiner Schwester fahren, die im gleichen Ort wie meine Eltern wohnt. (ca. 55 km von hier)
Meine Mutter hat noch nicht gefragt, ob wir vorher bei ihnen vorbeikommen, aber es wird kommen.
Entweder wird sie sagen, dass wir den Hund bei ihnen lassen können, weil bei meiner Schwester gefeiert wird und das für unseren „alten“ Hund zu nervig sein wird.
Oder, dass wir doch vorher auf einen Kaffee vorbeikommen könnten, oder, den wirklichen Grund, nämlich, dass sie mich ´mal wieder sehen und in den Arm nehmen möchte.
Sie würden mich niemals bewusst zu etwas drängen, dafür lieben sie mich viel zu sehr. Trotzdem habe ich oft das Gefühl, dass sie darauf warten, dass ich sage, wann ich denn ´mal wieder zu ihnen komme.

Wenn ich sage, dass wir den Hund am Samstag zu Hause lassen und deswegen direkt zu meiner Schwester fahren und nicht vorbeikommen werden, damit der Hund nicht solange alleine zu Hause ist, wird sie sich die Enttäuschung ganz sicher nicht anmerken lassen, aber dennoch werde ich ein ganz schlechtes Gewissen haben und wahrscheinlich wird es so kommen, dass ich sie dann für Sonntag einladen werde. Ich kenn mich ja …….. Ich würd´ sie ja auch gerne ´mal wieder drücken .

Ich denk´ mir ja auch immer, wer weiß, wie lange ich die beiden noch habe. Ich möchte sie nicht traurig sehen, nicht enttäuschen, mich aber auch nicht unter Druck setzen lassen .

Sie sind beide nicht gesund. Mein Vater hatte (auch, wie Dein Papa, Kirsten) vor 11 Jahren eine Herz – OP nach mehreren stillen Infarkten, bekam Bypässe und ist seitdem psychisch auch sehr angeschlagen.
Es ist sehr schwer für ihn, mit den Gefühlsschwankungen meiner Mama umzugehen.
Deswegen möchte ich auch ihn gerne unterstützen, indem ich da bin, denn mittlerweile ist es so, dass er offener geworden ist und mir seine Gefühle, seine Ängste auch ´mal mitteilt .

Ach, es ist so schwer , ich hab´ sie so unendlich lieb.

Ich widerspreche mir selbst, oder .
Einerseits fühle ich mich unter Druck gesetzt, andererseits mach´ ich mir ´nen Kopp, wenn ich nichts von ihnen höre.

Ich werde sie jetzt anrufen, auch, wenn ich weiß, dass es mir danach wahrscheinlich wieder nicht gut gehen wird. Spätestens, wenn ich meiner Mama sage, wie sehr ich sie lieb habe, wird sie wieder weinen ……

Ich gehe positiv ran und werde das Beste aus diesem Tag machen .

Liebe Grüße an alle von
Tinusch

P.S.: Puuuh, ist wieder so lang geworden, hab´ so meine Probleme mich kurzzufassen .
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  #4  
Alt 04.02.2009, 20:28
Kirsten67 Kirsten67 ist offline
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Registriert seit: 05.06.2008
Beiträge: 842
Standard AW: Dasein für meine Mama

Liebe Tinusch,

ich halte Dich weder für egoistisch, noch für widersprüchlich.

Auch ich sehe meine Eltern immer für 1-2 Tage am Wochenende, ab und an nochmal zusätzlich, wie z.B. am kommenden Montag.
Und wir telefonieren mindestens 1x pro Tag. Das machen wir, seit Papa die Diagnose hat. Besuche hatten wir zwischendurch mal auf "alle 2 Wochen" reduziert, damit sollte wieder "Normalität" einkehren. Aber die gibt es nach einer Diagnose Krebs nicht mehr. Und jetzt sehen wir uns wieder jede Woche.

Das Leben hat sich damit geändert und auch die Prioritäten, und ich glaube, es ist normal, dass man sich manchmal sein "altes" Leben zurückwünscht. Denn auch für uns Kinder ist es nicht einfach, mit der Angst umzugehen.
Und ich finde es wichtig, dass wir für unsere Eltern da sind. Ich denke immer, sie haben uns groß gezogen, auf vieles verzichtet, alles getan, damit wir unseren Weg durchs Leben finden. Jetzt ist es an uns, sie zu begleiten, für sie da zu sein.

Dennoch haben wir auch unser Leben, dass wir uns erhalten wollen und sollen, denn wenn Papa und Mama irgendwann nicht mehr da sind, werden wir unser Leben weiter leben.

Bei dem Krebs meines Papas weiß ich aber, dass wir nur noch begrenzt Zeit haben und daher versuche ich, soviel Zeit mit ihm zu verbringen, wie möglich. Alles andere ist in den Hintergrund getreten. Aber das ist für mich auch gut so.

Liebe Grüße und
von Kirsten.
__________________
Mein Papa: Diagnose BSDK mit Lebermetastasen Ende Mai 2008
Den schweren Kampf verloren am 05.04.2009


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