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  #1  
Alt 27.04.2014, 20:05
Maigloeckchen Maigloeckchen ist offline
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Unglücklich Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Hallo zusammen,

ich bin 32, meine Mutter ist vor fast drei Jahren am Lungenkrebs erkrankt. Seither hab ich immer mal still mitgelesen.

Zu erzählen hätt ich viel, werde mich aber erstmal kurz fassen, da ich ohnehin schon nicht mehr schlafen kann und Angst hab, jetzt Alles ohne jede Dosierung rauszulassen.

Meine Großeltern sind schon früh verstorben, für mich noch immer unbegreiflich. Meine Mum war nichtmal 50, als die Diagnose kam. Sie sagte damals am Telefon, dass ihr das Husten weh tut, sie sich aber nicht zum Arzt traut, weil sie Angst hätte vor dem, was kommen könnte. Zu Recht.

Sie hatte einen kleinzelligen Tumor im rechten Lungenflügel, der (meiner Meinung nach ziemlich spät nach der Diagnose) operiert wurde. Alles lief gut und zur Vorbeugung wurde noch eine Chemo gemacht. Alles super. Dachte ich...

2012 war für mich ein sehr hartes Jahr und endete im Burn-Out. Erst im Frühsommer letztes Jahr erfuhr ich, dass meine Mum nach ihrer OP in 2011 weiter in Behandlung war, weil der Tumor nach der Chemo direkt wieder wuchs. Sie konnte und wollte es mir nicht erzählen, als es mit ohnehin so schlecht ging um mich zu schonen. Damals bekam sie Bestrahlung und Tabletten, die das Wachstum des Tumors bremsen sollten aber Alles in Allem hätte ihr Arzt (Hausarzt) angedeutet, ihre Angelegenheiten zu erledigen. Das konnte ich so nicht stehen lassen, holte sie zu uns und wir holten uns in Heidelberg eine zweite Meinung. (muss schmunzeln, wenn ich dran denke, wie unsicher sie war, ob das denn tatsächlich ginge)
In Heidelberg stellten die Ärzte fest, dass die so super teuren Tabletten gar nichts brachten, der Tumor sogar wuchs. Man empfahl uns eine "ordentliche Chemo", die den Wachstum durchaus aufhalten könnte. Verloren sei noch gar nichts. Nur eine OP kam schon damals nicht mehr in Frage, da der Tumor bereits in die Nebenniere gestreut hat.

Meine Mum hat das mit den Chemos immer super durchgestanden, gekämpft - auch wenn sie nicht mehr laufen konnte. Sie hat wirklich alle Nebenwirkungen mitgenommen - nur ihre Haare hat sie behalten. Das war letzten Herbst. Über den Winter hat sie mächtig abgebaut, war nie erreichbar, immer schlief sie. Das Essen funktionierte nicht, Trinken nicht... die Schleimhäute waren stark angegriffen und alles, was sie trotz Schmerzen runterbekommen hat, brach sie wieder aus. Aber es ginge ihr gut... sagte sie. Von ihren Ärzten fühlte sie sich im Allgemeinen nicht gut betreut, wobei ich auch denke, dass sie entweder gar nicht oder nicht richtig fragt. Seit Ende Januar bekommt sie Morphium gegen die Schmerzen, die sie permanent begleiten. Anfang März rief mein Stiefvater mich an, sie sei jetzt im Krankenhaus, weil sie so wenig wiegt und nichts mehr essen kann. Mich traf der Schlag. Dass man von dem, was sie am Telefon erzählt, noch die Hälfte abziehen muss um der Wahrheit nahe zu kommen, war klar - aber so schlimm? Wir fuhren sofort hin (ca. 650km liegen zwischen uns)

Da liegt im Krankenbett eine Anreihung von Knochen, Kuchen kauend und trotzig, wie eh und je. Erst am zweiten Tag, als sie immer wieder wegdämmerte und ständig ihr Gesicht verlor (ich weiß nicht, wie ichs anders beschreiben soll) konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Ich kenne die Chancen und Prognosen, ich denke, ich bin ein realistischer Mensch - aber sie ist meine MUTTER.

Seither weiß ich nicht, ob ich mir leid tue oder sie. Die Vorstellung, wie sie da allein in ihrem Krankenbett liegt in dem Wissen, was passiert und trotzdem weitermacht... Das Personal lies erkennen, dass es eindeutig meine Mutter war, die sie betreuten. Schlagfertig, selbstbestimmt und manchmal recht unterhaltsam. Sie wurde nach zwei Wochen entlassen, mit nur einem Kg mehr auf der Waage, aber halbwegs schmerzfrei und mit Appetit im Bauch.

Seit fast zwei Wochen liegt sie wieder im Krankenhaus, sie hält die Schmerzen nicht aus. Sie hat Metasthasen in Niere, Leber und jetzt auch im Kopf. Die Streuung im Kopf ist nicht mehr zu übersehen, schon länger vertauscht und vergisst sie Dinge. Ich hab vor längerer Zeit schonmal gefragt, ob sie sich mal in den Kopf hat schauen lassen - alles wäre okay.

Momentan geht Alles sehr schnell. Sie stürzt oft, mein Vater musste am Freitag ansehen, wie meine Mutter im Krankenhaus von der Toilette aufgelesen werden musste. Sie ist oft verwirrt, eigentlich mehr als das sie noch klar ist. Das liegt an den Metasthasen, sagen die Ärzte. Die sollen bestrahlt werden, damit es evtl. ein bisschen besser wird. Mehr ist nicht mehr machbar.

Nächste Woche habe ich einen Termin mit dem behandelnden Arzt, aber nach jedem Telefonat mit meinem Vater weiß ich mehr, als mir lieb ist. Meine Mutter wird ruhig gestellt, weil sie trotz Allem noch immer ausbüchst, um an der Zigarette zu ziehen. Wenn sie stürzt und sich was bricht, sehen wir alt aus. An eine OP wäre nicht zu denken.

Das Alles schreibt sich jetzt so leicht, bin doch so weit weg vom Geschehen. Ich zähle die Tage, bis wir wieder nach Hause fahren, was mich erwartet, weiß ich. Ich bin erstaunt, wie gut mein Alltag noch läuft, wo meine Gedanken doch Achterbahn fahren. Ich verliere meine Mutter - sehr bald. Mein Vater verliert seine Frau und steht vor einem Scherbenhaufen und mit zwei Teenagern, die dann ohne ihre Mutter erwachsen werden müssen.

Ich bin die Älteste von fünf Kindern, meine Familie ist im Gesamten recht chaotisch aufgestellt, es sah nicht immer danach aus, aber gerade jetzt rücken wir zusammen und versuchen, den beiden Jüngsten einen Puffer zu schaffen und gerade die Zwei, die seit fast drei Jahren so nah am Geschehen sind, machen dicht und lassen uns nicht ran. Verwunderlich? Sicher nicht.

Mich macht das Alles so hilflos, wir können nichts tun. Ich bin die Älteste, hab das Bedürfnis, die Jüngeren zu stützen und bin am Ende diejenige, die die meisten Tränen vergießt - möglich ist das. Mein Trauerprozess läuft schon sehr lange, inzwischen möchte ich nur, dass es meiner Mutter gut geht. Ganz egal wie, auch wenn wir sie gehen lassen müssen. Seit fast einer Woche kann ich Nachts nicht mehr schlafen. Wie soll ich zu meiner Mutter ans Bett treten und stark bleiben?
Letzte Woche hat sie mich am Telefon an den Geburtstag meiner Schwester erinnert - der einen Monat her ist.
Mein Verstand sagt mir, dass sie ihr Sterben nicht schmerzen wird - das hat sie sich verdient und ich wünsche es mir, dass es sanft wird. Aber wir bleiben zurück und das zerreißt mir das Herz. Für mich, meinen Vater und meine Geschwister.
Ich frage mich ständig, wieviel Angst sie hat, ob ich ihr die nehmen kann. Darf ich sie überhaupt fragen, wie sie sich den Tod vorstellt? Wir sind keine Familie, die viel über Gefühle spricht, ich hab meiner Mutter in meinem Leben vielleicht zwei Mal weinen sehen. Wie soll ich sie jetzt trösten?
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  #2  
Alt 27.04.2014, 21:00
nichtalleine nichtalleine ist offline
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Standard AW: Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Hallo.

Es tut mir leid das deine Mama so krank ist... Mein Papa hat auch Lungenkrebs... aber so schlimm wie bei deiner Mama ist es nicht. Oder noch nicht...
Ich habe mich auch mehr oder weniger mit der Diagnose abgefunden. So weit wie man das überhaupt kann. Jedes verabschieden kann das letzte sein. So sitzt es jedenfalls in meinem Kopf. Und es fühlt sich an als würde man bei jedem verabschieden ein Stückchen mehr "auf wiedersehen" sagen.

Ich wünsche dir ganz viel Kraft für die nächste Zeit. Es liest sich als würdest du sie wirklich brauchen.

Traurige Grüße und , Sabrina
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  #3  
Alt 28.04.2014, 20:06
mausi69 mausi69 ist offline
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Standard AW: Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Liebes Maiglöckchen!

Ich kann dich so gut verstehen wie du dich fühlst. Mir geht's nicht anders nur das zwischen mir und meiner Mama keine 650km liegen!
Ich denke das ist auch dein größtes Problem. Mein kleiner Bruder lebt auch so weit von uns weg und er hat mir das mal so geschildert: die Entfernung macht ihm in dem Sinne zu schaffen, wenn es unserer Mama mal schlechter geht das er nicht rechtzeitig hier ist und er auch nicht viel vom Alltag mitbekommt und sie auch so selten sieht.

Ich versuche ihn täglich auf dem laufenden zu halten. Es ist schon alles nicht einfach.

Wir mussten auch erst lernen über die Krankheit und den Tod zu sprechen, heute ist das für uns normal.
Zum Anfang der Diagnose konnte ich auch nicht drüber reden, habe mich auch nicht getraut mit meiner Mama über alles zu reden.
Jetzt gehen wir ganz offen mit dem Thema um und es hilft uns. Ich weiß das meine Mama auch ab und zu Momente hat wo sie Angst hat, aber sie sagt zwei Minuten dann ist wider gut.

Ich wünsche dir ganz ganz viel Kraft!

Lg mausi
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  #4  
Alt 28.04.2014, 21:18
Almnixe Almnixe ist offline
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Standard AW: Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Liebes Maiglöckchen,

meine Mama hatte auch den Kleinzeller mit Metastasen in Leber, Niere und Hirn. Sie hat fast bis zum Schluss gekämpft und wollte meine Schwester und mich nicht alleine lassen. Meine Schwester war zu dem Zeitpunkt auch schwanger und meine Mama hat sich so auf den Kleinen gefreut. Als meine Mama gemerkt hat, dass es, egal was sie tut, nicht mehr besser wird, wollte sie gerne loslassen. Ab diesem Moment konnten wir über den Tod reden. Auch darüber, ob sie Angst hat. Sie hatte keine, aber sie hatte nie Angst vor dem Sterben. Meine Mama wollte so nicht mehr leben. Durch die Hirnmetastase war ihr linkes Bein gelähmt und sie war auf Pflege angewiesen. Das wollte sie nie. Auch war sie teilweise verwirrt dadurch und hat oft gefragt, ob die Geburt gut verlaufen sei und es meiner SChwester und dem Kleinen gut gehe.

Die letzten Wochen waren sehr hart, aber wir haben das irgendwie geschafft. Wir fragen uns heute manchmal, wie wir das überstehen konnten und wo wir die Kraft hergenommen haben. Aber es ging. Und du wirst sehen, du schaffst das auch. Du wirst auch deine Geschwister stützen können und für sie da sein. Irgendwie geht das.

Liebe Grüße und ich sende Dir und Deiner Familie viel Kraft!

Tina
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  #5  
Alt 06.05.2014, 21:15
Maigloeckchen Maigloeckchen ist offline
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Standard AW: Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Hallo,

danke für eure lieben Worte.
Wir haben das lange Wochenende genutzt und sind nach Hause gefahren. Meine Kollegin hat mir zuliebe auf ihren Brückentag verzichtet, obwohl sie selbst eine kranke Mutter daheim hat. Bin ihr sehr dankbar, hab aber auch ein mega schlechtes Gewissen.

Meine Mama darf in den nächsten Tagen nach Hause, morgen soll das Pflegebett kommen. Wir bekommen einen 24h-Kontakt von einem Palliativpfleger und einem Arzt. Ich freue mich für sie, dass sie heim darf und wünsche mir, dass sie zu Hause ihren Frieden findet.

Sie zu sehen und das ganze Wochenende zerreisst mich noch immer. Sie tut mir so leid.
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  #6  
Alt 07.05.2014, 14:21
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Taziana Taziana ist offline
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Standard AW: Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Hey Maiglöckchen,

deine Geschichte ist traurig. Aber so wundervoll. Während dem lesen dachte ich das ein oder andere Mal: "Das hättest du geschrieben haben können".

Es ist schwer einen geliebten Menschen gehen zu lassen. Ich bin in einer ähnlichen Situation wie du und deshalb weiß ich was du gerade durchmachst.

Mein Mann hat mir verschiedene pflanzliche Mittel zum einschlafen besorgt, als ich in einer ähnlichen Phase war wie du. Was du und deine Familie jetzt brauchst ist sehr viel kraft. Bei der Erfahrung deine Mama zu verlieren kann dir niemand helfen... Auch kann dir keiner sagen was kommt, wie lange es dauert und ob es schmerzvoll oder weniger schmerzvoll ausgehen wird... Das waren die Dinge die mich am meisten Schmerzen. Bei dir ist es wohl ähnlich. Deine Mama scheint eine starke Frau zu sein. Manchmal scheint es, als ob der Krebs die Menschen schwach erscheinen lässt, weil sie gebrächlicher sind und/oder verwirrt.
Ich stelle aber fest, dass der Krebs viele Menschen (auch meine Großeltern sind an Krebs gestorben) an dem Krebs wachsen. Meine Mama sagt auch immer es geht ihr "sehr" gut. Dann lächele ich - sie lächelt (obwohl wir wohl beide heulen könnten). Und sie sagt: "Naja, für mein Stadium geht es mir doch wirklich sehr gut". Sie isst, sie erbricht und sie sagt: "ich hätte nicht gedacht, dass ich meine Bikini-Figur von 25 noch mal erreiche" und sie schmunzelt. Und diese Momente machen mich unheimlich glücklich... Aber auch so schrecklich traurig. Ich habe Angst vor ihrem Tod, aber er wird kommen. Bald. Und ich weiß, dass du das bei deiner Mama auch spüren kannst.

Manchmal... Darf man sich auch selbst Leid tun. Auch wenn es um die Mama geht. Aber die familie sind die die zurück bleiben... Und sich ein Leben ohne Mama vorzustellen ist einfach scheiße.

Du kannst mir gerne eine PN schreiben, wenn dir danach ist.

Ich wünsche dir alles Gute!!

Taziana
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Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot. Der ist nur fern. Tot ist nur, wer vergessen wird.

Mama (Bronchialkarzinom) 05.05.1949 - 27.06.2014
Oma (Nierenzellkarzinom) 24.08.1925 - 03.01.2004
Opa (Bronchialkarzinom) 24.07.1929 - 06.10.2001
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  #7  
Alt 13.05.2014, 21:09
Maigloeckchen Maigloeckchen ist offline
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Standard AW: Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Hallo Taziana,

vielen Dank für deine lieben Worte. Es ist so schön, zu erfahren, dass andere genauso fühlen oder denken. Ich kann mich erinnern, dass mein Mann und ich nach dem Tod meiner Oma mal drüber gesprochen haben, dass es nochmal umso schrecklicher wäre, letztlich die Eltern zu verlieren. Naiver Weise denkt man kein Stück daran, dass es ganz vielen Krebspatienten nicht vergönnt ist, zumindest das 60. Lebensjahr zu erreichen. Ich dachte immer, meine Mutter würde mal alt und schrullig. Sie war schon immer sehr zierlich, dünn und drahtig - oft hab ich darüber nachgedacht, wie sie als alte Frau wohl aussehen könnte.

Inzwischen ist meine Mutter zu Hause, ihr Mann umsorgt sie sehr gut, hält die Laune im Haus am Laufen. Ich bewundere ihn für seine Stärke. Momentan ruft meine Mutter täglich an (sie selbst - hätte ich nicht erwartet) und möchte, dass ich sie da raus hole. Gestern meckerte sie, man würde sie bevormunden, sie könnte keinen Schritt allein machen (kann sie ja eigentlich auch nicht) Heut wollte sie dort raus, weil es ihr so langweilig ist. Sie hat mit meinem Mann gesprochen, ich war noch im Büro. Im Nachhinein bin ich darüber ganz froh, sie sprach wieder davon, dass sie nicht sterben will und noch ganz viel Zeit mit uns verbringen möchte. Diese Situation stellt mich vor Berge, deren Überwindung ich nicht erkennen kann. Ich kann ihr doch nicht sagen, dass es aber so kommen wird. Sie bekommt immer die gleiche Antwort - dass ich (wir alle) das auch nicht möchten... ohne ein Aber, Wenn, Und... ohne Alles. Genau davor hatte ich immer Angst und genau das müssen wir jetzt aushalten. Meine Mum auch.

Mein Gewissen meldet sich auch: meine Mum hat vor Jahren den Kontakt zu ihren Geschwistern abgebrochen. Was genau vor Jahrtausenden vorgefallen ist, kann ich gar nicht rekonstruieren, ist derzeit auch total egal. Ich denke mir oft, dass es doch schön wäre, wenn sich alle voneinander verabschieden könnten. Aber ich trau mich einfach nicht, sie zu fragen, ob sie immernoch dagegen ist - sie hat vor Monaten noch gesagt, dass sie ihre Geschwister nicht auf der Beerdigung dabei haben will. Ich dagegen bin hin und her gerissen, es sind doch ihre Geschwister. Gibt es bei euch solche Situationen?

Vielen Dank auch heut fürs Lesen.
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  #8  
Alt 14.05.2014, 13:13
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wolfsherz10 wolfsherz10 ist offline
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Ausrufezeichen AW: Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

@maiglöckchen,

es geht mich zwar nichts an und ich kann dich auch verstehen. Aber wie du selbst sagst kennst du die Geschichte nicht. Ich kann dir nur raten UNBEDINGT DEN WUNSCH DEINER MUTTER ZU RESPEKTIEREN !!! Tust du es nicht, dann wirst du dir ewig Vorwürfe machen, glaub es mir.
LG und sei wolfsherz
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  #9  
Alt 14.05.2014, 19:57
Maigloeckchen Maigloeckchen ist offline
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Standard AW: Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Danke Wolfsherz Ich würde meine Mutter in der Beziehung nie vor Tatsachen stellen. Sie soll sich nicht aufregen müssen. Aber fragen werde ich sie ein letztes Mal. Allein schon, damit ich mir im Nachhinein keine Vorwürfe mache oder Zweifel hab, ob sie es nicht doch gewollt hätte.
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  #10  
Alt 06.06.2014, 23:06
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Taziana Taziana ist offline
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Standard AW: Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Hey! Wollte mal fragen wie es bei deiner Mama aussieht!


Liebe Grüße
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  #11  
Alt 09.06.2014, 14:13
Maigloeckchen Maigloeckchen ist offline
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Standard AW: Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Hallo zusammen,

die letzten Tage / Wochen waren ziemlich verrückt. Unsere "Jüngsten" hatten letzten Samstag ihren großen Tag und Jugendweihe. Mir kommt es vor, als wäre seither eine Ewigkeit vergangen. Die Feier war unheimlich schön, wir hatten prima Wetter und die beiden "Kleinen" sahen umwerfend aus. Ich habe in den Tagen davor und drumherum versucht, es Allen so schön, wie möglich zu machen.
Meine Mama hatte vor zwei Wochen Geburtstag. Sie hat auch nach neun Jahren Stille Kontakt mit ihrer Schwester aufgenommen (sie selbst) und diese hat sie sofort besucht, sie hatten sich viel zu erzählen und waren beide glücklich über das Wiedersehen. Auch zur Feier letztes Wochenende war meine Tante wieder da. Meine Mama hat die Jugendweihe leider verschlafen, sie war erst spät Nachmittags eine kurze Zeit wach, saß mit der gesamten Familie und Freunden der Familie draußen in der Sonne und hat etwas Kuchen gegessen. Erst am Sonntag saß sie plötzlich morgens draußen auf der Bank und war beim Frühstück total traurig und verzweifelt, dass sie die Jugendweihe verpasst hat. Wir haben ihr die vielen Bilder gezeigt und die Kids sind danach mit ihr ein paar Stunden spazieren gegangen, sie wollte unbedingt in die Pilze. Dieser Gedanke war immer präsent, wie vor einigen Wochen, als sie unbedingt einkaufen fahren wollte, weil für die Feier noch viel zu erledigen sei. Beim Einkauf hat sie damals (lasst es vier Wochen her sein) nochmal alle Kolleginnen gesehen und versprochen, dass sie bald wieder da sei. In den Wald konnten wir schlecht mit ihr fahren, aber die Kinder haben das toll gemacht und waren zumindest am Waldesrand mit ihr. Ich könnte sie küssen dafür.
Mein Mann und ich brauchten dringend ein paar stille Minuten für uns und haben die vergangene Woche an der Ostsee verbracht. Letzten Sonntag haben wir aber noch gewartet, bis meine Mutter wieder von ihrer Spazierfahrt zurück war. Sie war müde und zufrieden, denke ich.
Wie das Schicksal manchmal die Karten legt, haben wir einen Hospizplatz bekommen, kurz bevor meinem Vater die Energie ausging. Am Sonntag versprach ich ihr, dass wir sie in einer Woche besuchen würden (also gestern) Letzten Dienstag wurde meine Mama dann abgeholt, sie war nur morgens wach, als die Pflegerin zum Waschen dort war.
Meine Schwestern und unser Vater haben sie besucht, es war jeden Tag jemand da, meine Mutter war aber fast nie ansprechbar.
Gestern früh haben wir uns auf den Weg gemacht, sie zu besuchen - die Hitze unerträglich. Gegen zwei Nachmittags waren wir im Hospiz. Das Hospiz und das Zimmer hatte ich mir schon angesehen, bevor meine Mum dort einzog. Sie bekam ein Zimmer im Dachgeschoss, Ostseite mit einem wunderschönen Licht am Morgen. Das Zimmer war schön hell und liebevoll eingerichtet.
Zwei Stunden waren wir bei ihr, in dieser einen Woche hat sie sich nochmal extrem verändert. Sie ist vor einer Woche nochmal gestürzt und die Wunde am Kopf war wieder offen. Ich war glücklich, dass das Rasseln beim Atmen weg war, aber ich hab auch sofort gesehen, dass sie ganz schlecht Luft bekam. Ich bin Asthmatikerin und kenne diese verkrampfte Schnappatmung von meinen Anfällen. Zwischenzeitlich atmete sie Ewigkeiten gar nicht. Die Schwester hat uns erzählt, dass sie inzwischen nicht mehr isst oder trinkt und auch die Medikamente nicht mehr nimmt. Alles, was sie unbedingt bräuchte, bekäme sie in Zäpfchenform. Sie sagte auch, dass sie einen starken Charakter hat und kämpft - wenn man sie so ansähe wäre sie eigentlich schon nicht mehr da. Ich schätze, sie hatte noch 30kg Gewicht. Ihr Gesicht war ziemlich eingefallen, sie wirkte so zerbrechlich. Ich hab sie angerochen, zwei Mal hat sie kurz die Augen geöffnet. Sie wurde ziemlich unruhig, ich denke, dass es ihr auch recht warm war. Mir fiel auf, dass ihre Finger blau waren, die Hände änderten auch ihre Farbe.
Ich hab sie gestreichelt und ihre Hand gehalten, sie hat sie kurz gedrückt, ich denke, sie wusste, dass wir da sind. Als sie so unruhig war, hat sie Sachen gemurmelt, aber verstehen konnten wir leider nichts. Ich hab versucht, sie zu beruhigen und immer wieder gesagt, dass sie das ganz toll macht und alles gut ist. Seit Wochen lag mir auf dem Herzen, ihr zu sagen, dass sie sich nicht quälen soll und muss. Gestern hab ich ihr das gesagt. Auch, dass sie loslassen darf, dass es okay ist. Mein Mann sagte "tschüss, meine Lieblingsschwiegermutti" Ich gab ihr ein Kuss und sagte ihr nochmal, wie lieb ich sie habe und dass sie gut schlafen soll, bevor wir gegangen sind.

Eine Stunde später kam der Anruf, dass sie eingeschlafen ist, ganz still, in aller Ruhe. Sie hat das allein gemacht, ich weiß, dass sie das so wollte.

Vor einigen Tagen hab ich von meinen Großeltern geträumt, meine Mum war auch da - gesund. Der Gedanke, dass meine Mutter mich gehört hat, mir vertraut und mit diesen letzten Augenblicken, in denen ich alles an ihr aufgesaugt habe, einen liebevollen Abschied ermöglicht hat, macht mich sehr dankbar. Sie war bis zum Schluss standhaft und ich bin sicher, dass sie ihre Lieben jetzt um sich hat. Ich bin nicht gläubig, aber ich bin sicher, dass sie erwartet wurde und jetzt keine Schmerzen mehr hat.

Ich schätze, dass mein "Roman" recht durcheinander ist - bitte entschuldigt.
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  #12  
Alt 09.06.2014, 15:02
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Taziana Taziana ist offline
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Standard AW: Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Wunderschön, wenn jemand auf eine friedliche Art und Weise gehen kann! Und ich freue mich für dich/euch, dass es trotz allem Schmerz so "positiv" war mit der Jugendweihe und dem schönen Hospizplatz. Mein Opa zB ist im Krankenhaus gestorben, in Folge einer Lungenentzündung und -emobolie. Das war bei weitem nicht so "schön", wie sich die Geschichte deiner Mama liest!

Ich finde, dass wirklich schön, wenn jemand so positive Erfahrung mit dem Verlust eines Menschen macht und ihn hier aufschreibt!

Das nimmt mir etwas die Angst vor dem Tod meiner Mama!

Liebe Grüße
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  #13  
Alt 09.06.2014, 15:27
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Alter Stassfurter Alter Stassfurter ist offline
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Standard AW: Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Hallo Maiglöckchen,

Aufrichtiges Beileid...
ich habe Deine Beiträge so nebenbei mitgelesen und viele Parallelen gefunden.
Ich hätte mir und besonders meiner Tochter gewünscht,dass meine Mutter / ihre Oma noch bis zum Abi-Ball hätte dabei sein dürfen...Leider war es nicht so.
Ich bin dankbar dafür, dass ich meine Mutter auf dem letzten Weg begleiten durfte.....

Ich wünsche Dir und Deinen Lieben viel Kraft für das Kommende...

LG Ronald
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Man muss mich nicht mögen, aber man sollte mich respektieren!
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  #14  
Alt 13.06.2014, 20:46
Maigloeckchen Maigloeckchen ist offline
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Standard AW: Lungenkrebs... unsere Zeit ist fast abgelaufen

Hallo zusammen,

die ersten Tage "danach" sind vergangen. Kann noch nicht mal sagen, wie ich mich fühle. Drei meiner Geschwister sind krank geschrieben, mein Vater ganz froh, dass er ab nächste Woche - nach sechs Wochen daheim und vier Zähnen weniger - wieder raus kommt und arbeiten gehen kann.

Ich gehe arbeiten, seit gestern gibt es wieder Witze im Büro. Irgendwie fühlt sich Alles an, wie immer - nur dass es das nicht ist. Ich warte noch immer auf den großen Knall, vielleicht zur Beerdigung. Die Arbeit lässt mich wenigstens wieder schlafen, morgens sehe ich aus, wie mit einem Fleischwolf bearbeitet - und fühle mich auch so. Mein ganzer Körper tut mir weh.

Im Supermarkt hab ich mich erwischt, systematisch nach Dingen zu schauen, die meine Mama so gern hatte. Das fühlt sich dann schon mies an. Meine Mama wollte mir unbedingt noch eine Strickjacke stricken, weil ich eine hab, die mir irgendwann einfach davon weht, so alt ist sie. Aber ich liebe dieses olle Ding und kann mich (jetzt noch weniger) davon trennen. Vor einigen Wochen fand mein Mann eine fast fertige Strickjacke und war überzeugt, die sei für mich - weil ich die einzige in der Familie bin, die größentechnisch reinpassen würde. Damals hat mich der Anblick des Strickwerks schlichtweg mein Nervenkostüm gekostet. Als ich die Mama drauf ansprach, war die gar nicht für mich sondern für sie selbst. Jetzt kann ich die Jacke haben und nicht stricken, nicht nähen - nichts. Meine Schwiegermama wird sie wohl für mich vollenden.

Ach, mir gehen tausend Sachen durch den Kopf. Warum sind wir Sonntag nicht nochmal zurück gegangen? (weil das merkwürdig aussieht) Warum sind wir nicht noch eine halbe Stunde länger geblieben? (weil sie dann eine halbe Stunde weitergekämpft hätte, bis wir dann gegangen wären) Wollte sie mein Okay? Wen rufe ich jetzt an, wenn ich Liebe oder einen Rat brauche? Wen soll ich jetzt bremsen, wenn die Gedanken zu ironisch und sarkastisch werden? Mama war die letzte Verbindung in die Heimat - sicher, meine Geschwister leben dort weiterhin, aber wenn ich die Mama besucht hab, bin ich nach Hause gefahren. Und jetzt?

Hab ein bisschen Angst vor der Beerdigung. Was ist, wenn dort die ganze Familie hockt - in Tränen aufgelöst - und ich einfach NICHT KANN? Bin ich kalt? Ich heule wegen jedem Scheiß, nur jetzt nicht. Wenn ich in mich rein höre, bin ich stolz und froh für meine Mama, dass sie diesen Kampf bis zuletzt nach ihren Regeln gespielt hat und jetzt nicht mehr leiden muss.
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