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Alt 21.11.2008, 02:03
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Standard Fazit 4 Monate nach Melanom-OP

Mein Vater war 2000 an mal.Melanom operiert worde (Leberfleck im Gesicht). 2008 dann eine Spätmetastase in der Speicheldrüse. Erst Teilresektion, weil man glaubte, es handele sich um eine gutartige Geschwulst, die nichts mit dem ehemaligen Melanom zu tun habe. Die Histologie zeigte das Gegenteil. Dann Totalresektion der Parotis. Neck-dissection, alle Lymphknoten sauber, CT, Röntgen und US keine Hinweise auf Metastasen im Körper, keine Nachbehandlung. Von da ab begann ich, jeden Tag das internet auf den Kopf zu stellen. Heute, 4 Monate später, hat er Metastasen in Lunge, Leber und Knochen. Heute bin ich ernüchtert und resigniert, noch nicht ganz hoffnungslos, weil die Hoffnung stirbt zuletzt, aber müde des Suchens obwohl ich immer wieder den PC anschalte und bis nach Mitternacht gierig nach Hilfe und Informationen bin. Im Wettlauf mit der Zeit fühle ich mich zu langsam, die Widersprüche im Informationsdschungel rauben mir wertvolle Zeit und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich heute nicht weiter bin, als am Anfang.

Nur in Stichworten:

Der operierende Arzt glaubte mir nach der OP Dinge erzählen zu können, die mich an mich selbst zweifeln ließen. Die Tumorzellen können sich doch über die Blutbahnen streuen ? "Nein" sagte er.
Ist eine adjuvante Therapie nicht sinnvoll ? "Nein" sagte er.
Was ist mit dendritischen Zellen, das ist doch nachvollziehbar eine gute Sache ? "Nein" sagte er, da gibts eine Menge Probleme und die Euphorie der Anfangszeit habe sich gelegt, sagt er.
Aber man muss doch was machen, sonst besteht doch die Gefahr der Metastasierung ? "Nein" sagte er, ihr Vater ist jetzt frei vom Tumor, da ist nichts mehr.
Sollten wir nicht wenigstens ein PET-CT machen, wegen der erheblich besseren Auflösung ? Nein wir haben ein CT gemacht und US und Röntgen, sagt er.

Drei Monate später ein Knoten an gleicher Stelle. Ich frage nicht mehr sondern tu das, was ich schon längst hätte tun sollen, einfach handeln. Ich organisiere ein PET-CT. Meine Befürchtungen werden zur Realität. Kleine Metastasen im ganzen Körper.

Ich suche nach geeigneten Kliniken und Therapien. Je tiefer ich mich einlese, desto verwirrender wird die Sache.

Der eine Arzt empfiehlt eine Klinik, der andere lehnt sie ab.

Erstkontakte und Gespräche in den Kliniken verlaufen zu Beginn immer hoffnungsvoll, man sieht den Professor, den Oberarzt die Ärzte, manchmal auch alle zusammen. Anfangs scheinen sie auch Interesse zu haben. Später sieht man nur noch den Oberarzt, dann nur noch den Studienarzt, dann meist nur die Krankenschwester.

Beim Röntgen sind wir als Privatpatient. Der Prof kommt, schüttelt die Hand, fragt, ob alles klar ist. Bis jetzt noch. Die Rechnung steigert sich durch diesen 4,6 Sekunden auftritt auf den 2,3 fachen Satz.

Mal.Melanom-Patienten sollen in ein Tumorzentrum heißt es. Unikliniken machen viel Werbung, bieten angeblich alle die modernsten Therapien auf höchstem wissenschaftlichen Stand. Im internet sieht alles toll aus, man meint, es erwartet einen ein hypermodernes medizinisches Hightec-Zentrum. Die Realität sieht anders aus. Jede Klinik hat die ADO-Richtlinien mit den bekannten Mono- oder Polychemotherapien und ihre Bestrahlungskanonen und das wars. Diese Therapien kann ich in jedem Krankenhaus machen, dazu brauche ich keine Uni-Klinik. Von den internet-Auftritten bleibt nicht mehr viel.
Die Unikliniken sehen oft aus wie alte Plattenbauten oder Kasernengebäude, aufgebraucht und renovierungsbedürftig, kalt und abweisend.

Im internet giften sich Verfechter der Schul- und der Alternativmedizin an.
Mittel wie Ukrain werden unsachlich angegriffen, als Scharlartanerie abgetan, von internet-Polizisten, die es ganz bestimmt wissen oder es zumindest glauben oder überzeugt sind, die internet-Nutzer "vor sowas" schützen zu müssen.

Das internet bietet tolle technische Neuheiten im Krebskrieg, wie Cybernife, krebszerstörende magnetische Nanopartikel, "Hitzestäbchen, die man einfach in den Tumor steckt und ihn auflöst, Protonentherapie-Gantrys zum fast nebenwirkungsfreien dreidimensionalen Beschuss aller auch tiefliegenden Metastasen (aber seit Monaten nicht in den Betrieb gehen), offene Hochfeld-MRT und andere hoffnungsvolle Neuheiten. Leider kann ich meinen Vater im internet nicht behandeln lassen. Die Realität bietet all das nicht oder nicht für jeden.

Irgendwie hakt es überall.

Die mediane Überlebenszeit beträgt noch 1 bis 3 Monate, die Krankenkasse will einen Heil- und Kostenplan. Bis der genehmigt ist, sind zwei Monate um, dann brauch ich den nicht mehr.

In der Melanomsprechstunde sitzt ein sehr junger Arzt, vermutlich im PJ. Nach meiner zweiten Frage holt er lieber seinen erfahrenen Kollegen, "damit ich meine Fragen nicht zweimal stellen muss".

Seriöse Veröffentlichungen sagen, ein malignes Melanom muss man intensiv mit verschiedenen Mitteln angehen. Meine Vorstellung war: Chemotherapie nach Chemo-Sensivitätstestung bis zum Fertigstellen der Dentritischen Zellen, weil die knappe Zeit ja läuft. Parallel dazu die drei Knochenmetas bestrahlen, weil die gut auf sowas ansprechen. Einhellige Meinung ist ja, die Tumormasse zu reduzieren, ist auch förderlicher für die DZ-Wirkung. In DZ ist Schuler in Erlangen wohl spitze. Ich versuche, an Mebendazol und Ukrain dranzukommen. Der Hausarzt sagt, Mebendazol kann er nicht verschreiben, dass hat so starke Nebenwirkungen. Hallo ??!! Ich erzähle dem Hausarzt, dass der Tod die größte Nebenwirkung ist, die meinen Vater gerade bedroht. Als Kontraindikation in den pharamzeutischen Veröffentlichungen steht eigentlich nur "nicht für Kinder unter 2 Jahren". Ich frage den Apotheker. Er will mir stattdessen lieber Mistel verschreiben, das würde das Immunsystem stärken ! Ich bin inzwischen sicher, dass ich alles nur träume. Ich erwähne, dass bei Malignem Melanom die Misteltherapie auf keinen Fall im Stadium IV angewendet werden soll, da sie vermutlich das Fortschreiten der Krankheit beschleunigt.

Als erfahrener und rational denkender Techniker frage ich mich, warum man eigentlich nicht jeden Patienten individuell behandelt und in Abstimmung mit der körperlichen Situation alles rausholt, was rauszuholen ist. Das geht aber nur, wenn man sich dem Patienten individueller widmet und nicht als Fließbandprodukt. Ich bereue wieder einmal, dass ich damals mein Medizinstudium nicht beendet hatte.

Die Therapie beim mal. melanom steht da, wo sie vor 25 Jahren auch schon stand, sie wird wohl auch noch lange dort stehen bleiben. Die Pharma-Industrie hat einen Goldesel und den wird sie auch gut bewachen. Die Mediziner erinnern mich an unsere politischen Vertreter: Die Schulmediziner an SPD, CDU und FDP, die Homöopathen an Grüne und Linke und einige extreme Krebs-Exoten als ... na ja, was noch so bleibt.

Ich bin resigniert. Ich wünschte mir einen Fachmann, der Zeit hat, der mir zuhört, meine Fragen kompetent beantwortet und mir sagt, wo sich meine Vorstellung - vielleicht mit seinen "Korrekturen" - verwirklichen läßt. Das wäre für mich zeitgerechte Krebstherapie. Stattdessen erlebe ich eine recht gefühlslose und sterile Uniklinik-Maschinerie, die mich seit vielen Wochen nicht weiterbringt, zäh, klebrig und in den Möglichkeit doch sehr eingeschränkt.

Übrigens, wurden/werden wir auch von einem sehr netten jungen Arzt betreut, der seine Sache recht gut macht. Aber weitergebracht hat uns das noch nicht, zum Warten bleibt aber keine Zeit.

Ich werd jetzt noch eine heiße Milch trinken und dann ins Bett gehen und schauen, was ich morgen für meinen Vater tun kann.
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Alt 04.01.2009, 20:13
rachel81 rachel81 ist offline
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Registriert seit: 01.01.2009
Ort: Gießen
Beiträge: 5
Standard AW: Fazit 4 Monate nach Melanom-OP

Hallo Birke,
erst einmal tut es mir wirklich total leid, dass du an dieser Krankheit erkrankt bist. Meine Mutter ist jetzt seit 4 Jahren an dem schwarzen Hautkrebs erkrankt und wird die nächsten Wochen wohl nicht überleben. Auch ich bin sehr wütend und teilweise auch aggressiv den Ärzten und Kliniken gegenüber. Aber ist das nicht nachvollziehbar in solch einer Situation. Es wurde wirklich sehr viel gefuscht und wie ich immer wieder mitbekomme, nicht nur bei meiner Mama. Die Situation unseres Gesundheitssystems ist wirklich katastrophal. Ich denke aber dennoch, dass es eher die Verzweiflung ist, die einen Aggressiv werden lässt. Ich möchte nicht, dass meine Mama mit nur 50 jahren gehen muss, aber noch viel verzweifelter macht es mich zu wissen, dass sie auch noch nicht bereit ist zu gehen. Ich habe schon einen Vater verloren, letztes Jahr dann meine Schwiegermutter und dieses Jahr meine Mama. Und das mit gerade mal 27 Jahren. Ich denke ein wenig Verzweiflung und auch Aggressionen sollten da auf jeden Fall erlaubt sein. Dennoch gebe ich dir recht. Noch viel Wichtiger ist es, dem betroffenen Elternteil Kraft und Unterstützung bei seinem letzten Weg zu geben, als aggressiv zu sein. Ich gebe euch auf jeden Fall noch sehr viel Kraft. Es ist wirklich ein sehr anstrengender Weg dem jedem, ob Betroffener oder Angehöriger, bevorsteht. Man sollte aber die Hoffnung niemals aufgeben, auch wenn es noch so aussichtslos aussieht.
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