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  #1  
Alt 29.06.2014, 20:13
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LSN LSN ist offline
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Standard Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

"Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus"

Vor nun schon fast zwei Monaten musste mein Papi mich zurücklassen. Es ist noch immer so unbegreiflich.

Er hatte Lungenkrebs. Eine ganz unfaire Sache - nie geraucht, jeden zweiten Tag mit mir joggen gegangen, gesund ernährt. Aber man ist wohl nie gefeit. Er wäre 55 geworden, ich bin frisch 22 Jahre alt. Ich war immer seine kleine Prinzessin, ich durfte in einer Märchenfamilie leben - gefüllt mit Liebe, ohne jegliche Sorgen, Streit oder Probleme. Und nun steht man da, halb mitgestorben, völlig leer.

Ich lebe eineinhalb Stunden von meiner Familie entfernt. In Berlin, studiere Medizin, wohne mit meinem Freund zusammen. Wir hatten bis dato 3 Jahre erfolgreich gegen den Krebs gekämpft. Es war die intensivste Zeit mit meiner Familie - sowohl voller Lachen, als auch voller Tränen. Immer die besten Ärzte um uns gehabt und die neuesten Medikamente. Wir waren so zuversichtlich. Im Januar dann die Hirnmetastasen. Bestrahlung - wenige Wochen später schon nichts mehr nachzuweisen. Wieder voller Stolz. CT. Neue Lebermetastasen. Neue Chemo angesetzt, zu der es leider nie mehr kommen sollte. Blutwerte wurden zusehens schlechter. Irgendwann wurde aus meinem starken Held ein bettlägeriger Mann, der so am Leben hing und unbändige Angst hat Mama und mich zurückzulassen. 3 Tage musste er so im Pflegebett verbringen, dann kamen die Erstickungsanfälle und die Palliativärztin hat es bei uns Zuhause nicht mehr geschafft. Ich kam abends aus der Uni. Unzählige unbeantwortete Anrufe von Mami auf dem Handy. "Motte, komm nach Hause, Papa schafft die Nacht nicht." Mein Freund und ich waren ganz ruhig, haben alle Sachen gepackt, sind direkt ins Krankenhaus. Papa wollte reden, konnte nicht mehr. Morphium stellte ihn nach und nach ruhiger. Ich verbrachte die Nacht bis kurz nach 4 neben ihm in seinem Krankenbett. Dann sind wir nach Hause. Duschen. Eine Stunde Schlaf. Wieder den ganzen Tag ins Krankenhaus. Papa drückte meine Hand. Das aller letzte Mal. Als wir abends wieder gingen, riss er seine glasigen Augen auf. Das aller letzte Mal. "Solange Sie und ihre Mama bei ihm sind, geht er nicht. Er kann Sie nicht allein lassen." sagte die Ärztin leise.

Mama und ich saßen Zuhause. Schweigend und starrend auf das Telefon. Am 2. Mai um 22.38Uhr klingelte es. "Ihr Mann ist eingeschlafen."

Stille.

Schreien vor Weinen.

Fassungslosigkeit.

Wir fuhren zu um 00 Uhr ins Krankenhaus.

Zimmer 9. Er lag da. Ganz friedlich. Die Hände gefaltet. Mit der Rose, die wir ihm mitbrachten. Dafür war sie doch gar nicht gedacht.

Mama konnte den Anblick nur eine Stunde ertragen. Ich saß bei ihm die ganze Nacht. Habe gespürt wie er nach und nach immer kälter wurde. Habe gespürt wie das Leben seinen Körper verlässt.

Morgens kam der Arzt rein, nahm mich sanft aber bestimmend an die Hand und entriss mich meinem Papa. Ich würde noch heute dort sitzen und ihn anstarren. Hauptsache ihn nicht verlassen.

Die Tür ist einfach zugefallen. Für immer. Und es ist nicht nur mein Papa, der gegangen ist. Sondern auch mein Glaube, dass man das bekommt, was man verdient. Meine Unbeschwertheit. Mein Kindsein.

Ich stecke mitten im Physikum. Weiß nicht woher ich die Kraft noch nehmen soll. Zudem hat meine beste Freundin vor wenigen Tagen die Diagnose MS bekommen - sie bekam als Prognose 15-20 Jahre. Hört es denn nie mehr auf? Das hat doch mit Schicksal nichts mehr zu tun.

Hätte ich die Kraft, würde ich den ganzen Tag schreien wollen. Aber es reicht nur für allabendliches Weinen. Meine Sehnsucht nach ihm ist unsagbar. Aber vor allem meine Liebe zu ihm.

Ich glaube an sowas nicht, aber ich hoffe er hilft mir irgendwie. Um wieder stark zu sein, um weiterzumachen.

Warum?

https://fbcdn-sphotos-b-a.akamaihd.n...81558856_o.jpg
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  #2  
Alt 29.06.2014, 22:49
Myriam1990 Myriam1990 ist offline
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Standard AW: Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

Liebe LSN
Ich lese oft mit aber schreibe selten..manchmal ist es einfach schwer die "richtigen" worte zu finden. .schreibe meist vom Handy - ist etwas umständlich. ..
Warum ich dir doch schreibe -dein schicksal ähnelt meinem sehr ubd daher kann ich dir vielleicht helfen...wenn zu mir die Menschen immer gesagt haben, dass es besser wird. .war ich mir sicher, dass diese Menschen es zwar gut meinen aber eben ihren Menschen niemals so geliebt haben können wie ich meinen Papa. ..aber es stimmt. ..der Schmerz ist furchtbar. .manchmal lähmend und leise - manchmal laut aber ebenso grausam :-( ..aber du kannst mir glauben. .er verändert sich. ..und er ist zwar immer da..aber mehr so im Hintergrund. .nicht so übermächtig..mein papa ist am 12.2011 mit 53 Jahren gestorben. .da war ich 21... und ich habe mich auch immer gefragt wie um Himmels willen das gerecht sein soll..:-( mein Vater war der Fels in der Brandung und einfach immer "da"...ja wir Töchter waren-sind die Prinzessinen und die Väter sind für uns da - haben auf alle Fragen eine Antwort und man hat immer das Gefühl "papa ist ja auch noch da"..leider haben wir unsere Väter nicht mehr körperlich bei uns aber weist du was ich -allerdings erst mit der zeit bemerkt habe? Dadurch dass wir unsere Väter ja auch noch im erwachsenen alter und im Kindesalter erleben durften wirst du wie ich egal welche Entscheidung du triffst immer wissen wie dein Vater dazu gestanden wäre. ..glaube mir...höre in dich rein und du kennst die Antwort und seine Meinung zu deinen Fragen die du ihm stellen wollen würdest. .was ich auch noch irgendwie beruhigend fand in dieser unbarmherzigen ersten Zeit war der Gedanke wenn ich abends ins Bett gegangen bin....mein großer starker papa hat jetzt keine Ängste und schmerzen mehr. ..und heute abend schläft keiner mehr mit verborgenen Ängsten ein...- ich leide- ja-.aber nur für mich und nicht noch für meinen Papa mit. .au man. ....immmer wenn ich etwas geschrieben habe werde ich mir wieder unsicher ob ich die richtigen Worte gefunden habe....ich hoffe ich konnte dir etwas "helfen"..ich denke jeden fall fest an dich...ich bin nicht gläubig aber die Vorstellung, dass mein Papa ganz "weg" sein soll geht noch weniger. .also wenn es "so was" gibt werde ich meinen papa beauftragen auf deinen papa zu achten. Immerhin kennt meiner sich dann ja dort "oben" schon besser aus...sorry für die gruselige Rechtschreibung aber mit Handy im bett ist das nicht besser möglich. Liebe grüße myriam
__________________
Diagnose: 15.09.11 - Metastasierendes Adenoca. der Lunge G3
*12.09.1958 -09.12.11

Danke für die schöne Zeit mit dir...
Mein Held...keiner wird mich je so beeindrucken..
♡ Daddy, ich liebe dich...♡
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  #3  
Alt 30.06.2014, 07:36
CatLove89 CatLove89 ist offline
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Standard AW: Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

Liebe LSN,

auch mein Papa ist mit 55 Jahren an Lungenkrebs gestorben, am abend des 01. Mai 2014, einen Tag vor deinem Papa. Und auch ich bin noch jung, gerade mal 25 Jahre (meine Schwester 20).

Es ist alles so unfair, ja, aber das Leben muss weitergehen, so schwer einem das fällt und so doof sich das auch anhört.
Dein Papa hätte nicht gewollt, dass du dich verkriechst, dass du nur noch weinst.

Er wird immer in deinem Herzen und in deinen Gedanken sein.
Ich weiß, dass mein Papa immer bei mir ist, er wohnt in meinem Herzen weiter und so ist es auch mit deinem Papa! Ganz bestimmt!

Ich kann auch verstehen, dass du nicht weißt, woher du die Kraft nehmen sollst, für das Physikum. Gerade auch, wegen der Diagnose deiner Freundin. Aber mit der Liebe deines Vaters wirst du es schaffen. Er schaut dir von oben zu und drückt dir alle Daumen und schickt dir Kraft.
Das mit deiner Freundin tut mit Leid und diese Diagnose bzw. Lebenserwartung.. 15-20 Jahre... Ohje, wie soll man nur damit umgehen? Genieße jede Sekunde, die du mit ihr verbringen kannst!

Ich wünsche dir für die kommende Zeit viel Kraft.

Wir schaffen das! Wir schaffen das für unsere geliebten Papas!

Liebe Grüße und fühl dich gedrückt
catlove
__________________
Mein Papa, geboren in 1958, für immer eingeschlafen im Mai 2014

Die Erinnerung ist ein Fenster durch das ich dich sehen kann, wann immer ich will. (Verfasser unbekannt)
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  #4  
Alt 30.06.2014, 19:58
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Gina79 Gina79 ist offline
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Standard AW: Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

Liebe LSN!
Es tut mir schrecklich leid, dass du deinen Papa gehen lassen musstest! Ich habe öfters mal bei dir still mitgelesen, es klang alles so positiv!
55 Jahre ist kein Alter und du bist auch noch so jung! Ich habe letztes Jahr meinen Papa an Lungenkrebs verloren, er durfte leider auch nur 66 Jahre alt werden.
Ich weiß was du meinst und ich kann deine Gedanken nachvollziehen! Es ist wirklich ungerecht und diesem Sprichwort dass man bekommt was man verdient, traue ich auch nicht mehr. Man fühlt sich betrogen und vom Leben hintergangen weil unsere Papas gute Papas waren und wir sie in unserem Leben noch so sehr gebraucht hätten. Aber das können wir leider nicht entscheiden, es steht nicht in unserer Macht. Mit welchen Karten das Leben wirklich spielt, das hätte ich gerne gewusst! Ist es Schicksal oder Zufall dass man so schwer krank wird und ist es Schicksal oder Zufall dass man dagegen ohne jegliche Chance ankämpft?!? ICh weiß es nicht aber ich denke auch viel darüber nach!

Ich kann mir vorstellen, dass dir die Kraft für das Studium ausgegangen ist. Bei uns ist es jetzt schon über ein Jahr her dass Papa gestorben ist und der Elan und die Kraft für die Arbeit fehlen manchmal noch immer!
Schön, dass du Medizin studierst! Das wäre auch mein großer Traum aber leider bin ich mit über 30 schon ein bisschen zu alt für ein neues und so langes Studium.

Ich wünsche dir, dass deine Kraft wieder kommt und es auch wieder aufwärts geht! Verstehen werden wir es nie, glaube ich, aber es wird ein klein wenig besser mit der Zeit! Alles Liebe!
__________________
Mein Papa: Kleinzelliges Bronchialkarzinom
Diagnose am 21.12.2011
am 23.2.2013
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  #5  
Alt 03.07.2014, 21:42
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LSN LSN ist offline
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Standard AW: Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

Danke für eure Worte.

Habe die letzten Tage bis nachts durchgelernt und habe heute promt meine Belohnung erhalten - erste Prüfung sehr gut bestanden! Hatte Papas Herz dabei (habe ein goldenes Amulett mit Papas Asche drin). Vielleicht hat das mir die Kraft gegeben.

Freuen tu ich mich nicht. Da fehlt einfach jemand, der mir sagt, dass er stolz auf mich ist. Ich stell mir seine Worte immer vor, aber das ist einfach nicht ansatzweise das Gleiche.

Hatte heute nur 2 Stunden Schlaf. In denen hab ich geträumt, dass ich mit Papa auf Terrasse sitze und er meine Hand nimmt. Keiner hat das so getan wie Papa. Wenn meine Hand irgendwo lag, hat er seine darunter geschoben - gedreht - und meine gepackt. Ich vermisse dieses Handhalten so unendlich. Klingt vielleicht doof, aber mir haben solche Kleinigkeiten immer so arg viel gegeben. Mit solchen Gesten habe ich immer meine Seele aufgetankt. Der winzige Traum hat mich direkt so aus dem Konzept gebracht, dass ich weinend aufgewacht bin. Ich verfluche diese Sehnsucht.

Gestern waren es zudem exakt 8 Wochen ohne Papa. 2 Monate. Oh Gott, wie wenig das erst ist. Und es sollen noch so viele Jahrzehnte folgen?

Bevor ich wieder ins Grübeln komme, widme ich mich wieder meinem Anatomiebuch. Thema Lunge spare ich mir bis zum Ende auf.

Bleibt tapfer.

Luisa.

Geändert von LSN (03.07.2014 um 21:50 Uhr)
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  #6  
Alt 03.07.2014, 22:11
puppe88 puppe88 ist offline
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Standard AW: Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

Liebe Luisa,

wenn ich bei dir lese - muss ich ganz oft mit den Tränen kämpfen.

Ich habe vor 6,5 Jahren meinen Vater (er hatte Magenkrebs) verloren, und 2 Jahre später meine Mutter (Parkinson) - kenne also auch den Schmerz des Verlustes (wobei ich allerdings damals 41 Jahre alt war). Und ich finde es so bewundernswert, wie du dich "schlägst".
Ich habe zwar damals auch die Erfahrung gemacht, dass man "von irgendwoher" die nötige Kraft zum weitermachen bekommt, aber in deinem Fall ist das gerade schon ganz besonders erwähnenswert! Vielleicht schickt dein Papa dir die Energie dafür....

Ich habe deine vergangenen Beiträge gelesen und bin so gerührt, wieviel Liebe aus ihnen spricht!

Ich wünsche dir aus tiefstem Herzen eine lebbare Trauer, die dich nicht lähmt - sondern die dich umhüllt, wie eine wärmende Decke ...
und dass es nicht allzulange dauert, bis der Schmerz und die Sehnsucht nicht mehr so schlimm an dir nagen - sondern die Erinnerungen dir ein Lächeln ins Gesicht zaubert...
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  #7  
Alt 06.07.2014, 08:30
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LSN LSN ist offline
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Standard AW: Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

Ich weiß nicht, was ich getan habe, dass ich so bestraft werde. Und ich kann auch langsam einfach nicht mehr.

Ich war seit Freitag mit meinem Freund zusammen in der Heimat. Mussten jedoch gestern Abend wieder nach Berlin, da ich jetzt gleich zur Uni zum Selbststudium muss - habe Dienstag Prüfung.

Ich muss zugeben, dass ich ein sehr schnelles aber auch sehr sicheres Auto fahre. Fahre viel, überwiegend Autobahn, kenne mein Auto gut, musste schon in vielen unverschuldeten Situation richtig reagieren.

Ich war auf der Autobahn, knappe 20km von der Heimat entfernt.Autobahn war komplett frei, vereinzelt mal ein LKW. Ich fuhr auf der Mittelspur mit etwas über 200km/h. Dann kam eine langgezogene Kurve und ich konnte mein Auto nicht mehr lenken. Es ging absolut nichts mehr. Mir war plötzlich eiskalt, mein Freund fragte ob was nicht stimmt. Es gingen auch direkt alle Warnzeichen an. Batteriewarnung, "Kühlwasser, schalten Sie den Motor sofort aus.". Er beruhigte mich dann und wir brauchten knappe 2km, um mein Auto auf den Standstreifen zu lenken.

Wäre mehr Verkehr gewesen oder überhaupt ein Auto auf meiner Spur, wir wären wohl beide tot gewesen.

Der Mercedes-Notdienst kam sofort. Brachte uns sicher nach Berlin in die Werkstatt, spendierte ein Taxi nach Hause. Wollte keinen Leihwagen und kein Auto mehr an dem Tag haben. Ich bin immer noch fix und fertig.

Ist mein Papa da oben so unfähig? Werde ich bestraft für irgendwas? Oder gibt es diese "höheren Mächte" gar nicht?

Ich weiß nur, dass ich keine Kraft mehr hab. Punkt.
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  #8  
Alt 06.07.2014, 09:17
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fraunachbarin fraunachbarin ist offline
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Standard AW: Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

Liebe LSN..
ich möchte Dir gern eine weitere Ansicht von dem Vorfall auf der Autobahn mitgeben:
Wie Du schreibst, hätte das auch ganz böse ausgehen können. Doch Dein Daddy war euer Schutzengel und hat Euch vor Schlimmeren bewahrt.
Liest sich doch schön, oder?
Liebe Grüße, Tine
__________________
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  #9  
Alt 06.07.2014, 10:15
Mathias974 Mathias974 ist offline
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Standard AW: Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

Liebe Luisa,

es ist immer schlimm einen geliebten Menschen gehen lassen zu müssen.
Das wird irgendwann mit der Zeit besser, nur verschwindet es nie, es ändert sich aber.
Du hast niemanden etwas getan und wirst auch für nichts bestraft. Es gibt leider viele Sachen im Leben die einfach keinen Sinn haben. Es hilft dann auch kein Hinterfragen, nach dem warum oder weshalb.
Das mit der Autobahn sollte man nicht überbewerten aber ich möchte dir gerne etwas erzählen, vllt hilft es dir.

Mein Vater ist vor 4 Jahren gestorben, die Lücke ist natürlich auch heute noch da aber anders.
Letztes Jahr hatte ich ein leichtes ziehen im Bauchbereich und ich bin nicht der Mensch der sofort zum Arzt geht. Da es aber schon zu spät für den Hausarzt war und es mir komisch vor kam, entschied ich mich ins Krankenhaus zu fahren. Irgendwas sorgte dafür das ich dahin fahren sollte.
Letzten Endes war es die absolut richtige Entscheidung, denn man diagnostizierte Krebs. Für mich war es naheliegend das da jemand auf mich aufpasst, denn die Schmerzen hatten mit der Krebserkrankung nicht wirklich was zu tun. Komischerweise waren sie auch kurze Zeit später verschwunden.

Es gibt vieles was wir nicht begreifen oder verstehen aber es wird mit der Zeit besser.


Ich wünsche Dir ganz viel Kraft und Zuversicht.
Mathias
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  #10  
Alt 07.07.2014, 20:07
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LSN LSN ist offline
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Standard AW: Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

Habe soeben mein Auto wieder abgeholt und mich doch für die Sichtweise entschieden, dass Papsi mich vor Schlimmerem bewahrt hat.

Hatte heute eine Wimper im Gesicht. Eine Freundin nahm sie auf ihren Finger und ich wünschte mir, dass Papa noch lange lebt. Bis mir auffiel, dass das nichts mehr bringt. Und mir ist einfach kein anderer Wunsch eingefallen. Ich wünsche mir bei allen "Wunschsachen" seit 3 Jahren, dass der Krebs nicht siegen wird. Tja, Pech.

Da sieht man wieder mal, wie sehr das alles Besitz ergriffen hat.

Heut ist wieder ein schlimmer Tag mit vielen doofen Gedanken und Tränen.

Papi und ich waren immer so WM-vernarrt. Er hatte sich so sehr auf dieses Jahr gefreut. Wir wollten zusammen zum Brandenburger Tor zum Public Viewing. Ich geh morgen mit Freunden. Und mit meinem Herz mit Papas Asche drin. Ich hoffe, dass wir was zu Jubeln haben.

Ich bin so wütend, dass mein Weltbester Papi gehen musste. Und nicht irgend so ein doofer Papa, der nie für seine Kinder da ist oder sie gar schlägt oder vergewaltigt. Die braucht doch niemand. Aber ich brauche meinen Papi noch so sehr. Bin so hilflos.
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  #11  
Alt 07.07.2014, 22:11
Elisabethh.1900 Elisabethh.1900 ist offline
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Standard AW: Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

Liebe LSN,
für die morgige Prüfung möchte ich dir viel Erfolg wünschen und schicke noch ein großes Kraftpaket für die Vorbereitung auf das Physikum auf die Reise.
Dein Papa sitzt da oben auf der Wolke und hält seine schützende Hand über dich.

Liebe Grüße,
Elisabethh.
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  #12  
Alt 09.07.2014, 23:34
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Standard AW: Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

Meine Prüfung hat wieder mal geklappt. Wieder meinem Traum einen Schritt näher. Wieder ein Stückchen Kraft verloren. Wieder vermiss ich meinen Papa mehr und mehr.

Heute kam der Brief vom Nachlassgericht mit einer Kopie des Testaments. Ich hatte Gänsehaut als ich seine Unterschrift sah.

Ich nahm das Ding und wollte es abheften. Und als ob es das Schicksal so wollte, fiel ein Zettel aus dem Ordner.

Nicht irgendein Zettel. Papa hielt damals auf meiner Jugendweihe eine Rede. Und genau die hatte er auch zu Papier gebracht und ich hebe sowas natürlich auf.

Ich hab mich nicht bereit gefühlt dazu das zu lesen. Habe es halb wütend - halb freudig wieder zurück in den Schrank gestopft. Aber noch bevor ich dem Ganzen den Rücken zukehrte, war ich doch zu neugierig.

Also kramte ich den Schrieb wieder raus. Einfach um noch ein bisschen in der Wunde rumzubohren?!

Und so war es wortwörtlich. Die Worte bohrten sich wahrlich durch mein Herz. Ich hatte das Gefühl jede einzelne Zelle zu spüren. Es fühlte sich an wie das intensivste Gespräch mit meinem Papi, das ich je hatte. Das innigste. Ich habe jedes einzelne Worte förmlich inhaliert in der Hoffnung es nie wieder zu vergessen.

Er lies mein Leben von Geburt an bis zu meinem 14. Lebensjahr revue passieren.

Oh Gott, was haben meine Eltern mir für eine tolle Kindheit beschert. Aus jedem Wort sprudelte Papi nur so vor Liebe und Stolz. Aber auch vor Traurigkeit. Traurig darüber, dass er seine Tochter ein Stück weit gehen lassen muss. Darüber, dass ich langsam in die große weite Welt hinaus muss. Darüber, dass ich langsam erwachsen werde. Wenn er damals schon geahnt hätte, wie bald er mich gänzlich ziehen lassen muss. Oder ich ihn?

Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, wie grausam seine Angst am Ende sein musste, Mami und mich zurückzulassen. Mit all den Grausamkeiten und Gefahren auf dieser Erde, vor der uns Papa tagtäglich erfolgreich beschützte.

Klar, er hatte Angst vor dem Sterben. Wer hat das nicht. Aber vor allem galt seiner Angst immer, dass seine Familie allein dasteht. Ohne ihn. Und ich bin mir sicher, dass genau das sein aller letzter Gedanke war. Ich weiß, dass er für jede Minute gekämpft hat, die er nutzen konnte um für uns zu kämpfen. Und ich kann euch gar nicht sagen, was ich alles aufgeben und tun würde, um noch weiter mit Papi zusammen gegen diesen beschissenen Krebs zu kämpfen.

Und nun weine ich schon wieder und versuche jetzt mal ins Bett zu gehen, die Decke über den Kopf zu ziehen und mir vorzustellen, dass das alles nicht wahr ist.

Ich versuche wirklich nicht vor irgendetwas wegzulaufen. Aber ich erwische mich so oft dabei, dass ich Papas Nummer wählen will. Dass Papa durch die Tür kommt.

Geändert von LSN (09.07.2014 um 23:36 Uhr)
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  #13  
Alt 20.07.2014, 19:16
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Standard AW: Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

Hallo ihr Lieben,

bitte - ihr MÜSST mir sagen, wie ihr dem schmerzhaften Verlust standhalten könnt. Ich bin so verzweifelt.

Hatte ein wunderbares Heimatwochenende. Papi hat uns einen riesigen Pool in den Garten gebaut - das ist immer unser Urlaub, da meine Eltern selbstständig sind und es nur selten möglich ist die Firma allein zu lassen.

Ich rede immer im Präsens von Papsi. Er sagt, er tanzt, er macht ... und im Endeffekt ist er einfach nur tot.

Jedenfalls war ich mit Mami und Hund im Pool - es waren dank Solaranlage wunderbare 28 Grad und wir haben es endlich geschafft uns mal zu entspannen. Abends sind wir zurück zum Haus gelaufen und auf dem Weg kann man die weit entfernte Friedhofskapelle sehen, da sie außerhalb des Dorfes auf einem Hügel steht. Und dann hab ich einen Weinkrampf bekommen und mich nach geschlagenen drei Stunden erst wieder zusammenreißen können. Es zerreißt mir so das Herz. Er hat so hart gearbeitet, um uns so ein Luxusleben zu ermöglichen und nun liegt er da oben auf diesem scheiß Berg und kann es nicht mit uns zusammen genießen.

Ich weiß. "Er hat das für euch gemacht." "Er würde wollen, dass ihr das genießt." Aber ich könnte nur noch kotzen, wenn ich das höre. Es macht mir Gänsehaut. Es ekelt mich an. Es ist einfach zu unfair, als dass solche Sätze geltend gemacht werden können.

Ich hasse dieses Leben, was einem so aufgezwängt wurde. Er fehlt an allen Ecken und Enden. Ich stell mir täglich vor, wie er zur Türe reinkommt.

Meine Eltern haben eine Spedition. Papa ist ab und an auch LKW gefahren. Und dann ruft den Tag ein Fahrer von uns an, der Papis Auto übernommen hat und dann steht dort bei Mama "Ronald LKW ruft an". Ihr glaubt nicht wie sich das angefühlt hat. Es war das Schlimmste. Das machte ihn ganz plötzlich lebendig und man wird bitter enttäuscht, wenn eine andere Stimme erklingt. Und nicht diese ruhige sanfte Papistimme "Hallo Püppi" sagt.

Kurzum - es wird einfach nicht besser, nicht erträglicher, nicht einfach. Keine Silbe. Ich habe eher das Gefühl ich mache Rückschritte.
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  #14  
Alt 20.07.2014, 19:35
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fraunachbarin fraunachbarin ist offline
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Liebe LSN..
die Trauer hat verschiedene Phasen. Dazu gehört auch die Zeit der Wut, in der auch grad Du steckst. Lebe auch diese Phase aus, sie ist wichtig zum verarbeiten Deines schweren Verlustes von Deinem geliebten Vater.
Ich umärmel Dich mal in Gedanken und wünsche Dir weiterhin ganz viel Kraft.
Tine
__________________
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  #15  
Alt 20.07.2014, 19:55
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Standard AW: Wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus

LIebe LSN!
Wie dir Tine bereits geschrieben hat, habe ich auch gemerkt dass die Trauer in verschiedenen Phasen verläuft. Bei meinen Papa werden es jetzt bald eineinhalb Jahre dass er nicht mehr da ist und ich habe auch immer wieder so Tage an denen ich glaube es zerreißt mir das Herz vor Schmerz.
Bei euch ist der Verlust ja doch noch sehr frisch. Ich habe es zumindest so erlebt, dass ich die ersten paar Monate fast gar keine GEfühle zugelassen habe und vieles unterdrückt und weggeschoben habe. Bei mir ist die richtige Trauer erst Monate später gekommen.
Ich weiß was du meinst! Ich kann es auch immer noch nicht verstehen und frage mich immer noch was mein Papa wohl verbrochen hat dass er von dieser Welt gehen musste. ER hat so gerne gelebt und war doch für mich der tollste Papa von der WElt! Aber dafür gibt es wohl keinen Grund und die Suche und das Grübeln nach ihm macht uns nur noch trauriger.
Papas dürfen nicht so bald sterben, wir brauchen sie doch! Eltern fehlen an allen Ecken und Enden! Mir fallen auch so viele Situationen ein wo ich mir meinen Papa um alles in der Welt herwünschen würde.

Lass das Gefühl der Rückschritte zu! Ich finde auch dass es wichtig ist dass du deine Traurigkeit auslebst. Es werden Phasen kommen wo es dir wieder besser geht und wo du die Welt auch wieder ein wenig genießen kannst und dann kommen wieder Tiefpunkte und die Trauer holt dich ganz schnell wieder ein. Es ist völlig normal, es braucht seine Zeit!
Es wäre eh abnormal wenn wir nicht so fühlen würden. Es ist schmerzhaft und wird immer wieder schmerzhaft sein (besonders an und vor besonderen TAgen wie Geburtstage oder Weihnachten) aber ich hoffe man lernt irgendwann damit umzugehen und diese Traurigkeit ins Leben zu integrieren!

Ich wünsche dir alles Gute und trotz der schmerzvollen ERinnerungen und der Traurigkeit sonnige Momente im Herzen!
Alles Liebe!
__________________
Mein Papa: Kleinzelliges Bronchialkarzinom
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