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  #151  
Alt 28.10.2005, 21:27
Alina Alina ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

Liebe Saphir,

da habe ich doch glatt deinen Eintrag übersehen.Umso beruhigter bin ich jetzt zu lesen, dass deine Mama einerseits sehr gut versorgt und medizinisch betreut zu sein scheint in diesem Krankenhaus.
Du schreibst, dass deine Mama so geweint hat. Ich weiß noch so gut, wie es mir ging, als meine Mama auch ein,zwei Mal geweint hat. Zwar nur ein paar Tränen und sehr verhalten, aber es hätte bei mir auch beinahe alle Schleusen geöffnet. Ich habe es aber auch so gemacht wie du, ich habe nachher geweint, alleine. Jetzt denke ich mir, es wäre auch gut gewesen, wenn wir beide zusammen mal richtig geweint hätten.

War auch richtig erleichtert zu lesen, dass du ein gutes Verhältnis zu deinem Bruder hast. Es hilft, nicht so alleine zu sein mit seiner Sorge um den geliebten Menschen. Dass du die Stärkere bist, hätte ich mir ohenhin denken können. Meine Erfahrung ist, dass wir Töchter, wir Frauen uns schneller auf eine schlimme Situation einstellen und diese durchhalten können.

Tja, Saphir, wir haben alle mal zu den Menschen gehört, die noch keinen Schicksalsschlag verkraften mussten. Ich bin sicher kein oberflächlicher Mensch, aber ich habe die Gesundhet und Anwesenheit meiner Eltern und anderer lieber Menschen als selbstverständlich hingenommen, so in aller Unschuld sozusagen.
Ich habe mal gehört oder gelesen, dass wir Menschen wenig Talent zum Glücklichsein haben. Wenn alles hell und leicht und das Leben freundlich zu uns ist, gewöhnen wir uns schnell daran, ist das selbstverständlicher Normalzustand . Dann stürzten uns oft auf unsere kleinen Alltags-Probleme, die uns dann groß und wichitg erscheinen.
Die schwere, dunkle Zeit fegt alles Nichtige weg und man übersiedelt auf einen anderen Planeten.
Nach dem Tod meiner Mutter werde ich die Gegenwart meiner Angehörigen und Freunde nie wieder so selbstverständlich hinnehmen, sondern bewusster und achtsamer. Das ist das Geschenk meiner dunklen Zeit gewesen.

Liebe Saphir, ich bin auch so eine, die einerseits schon die Wahrheit sehen kann und will und die andererseits auf Wunder hofft, wie so viele hier im KK .
Ich wünsche deiner Mama so ein Wunder von ganzem Herzen, wie auch immer es aussieht.

Ich denke an euch beide,
Alina
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  #152  
Alt 30.10.2005, 19:14
Saphir Saphir ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

Hallo Ihr Lieben,

mir geht es richtig schlecht. Mama ist seit gestern zuhause, auch ihr geht es schlecht. Das Schlimmste ist, dass ich mehr weiß als sie.
Sie wird nicht mehr viel Zeit haben. Die Chemo, die jetzt begonnen hat, wird hauptsächlich nur gemacht, damit irgendwas gemacht wird. Auch erhoffen sich die Ärzte, sie damit vielleicht vor einer Querschnittslähmung zu bewahren. Aber für Mama ist es das Wichtigste, dass bei ihr noch etwas passiert, und daran halten sich auch die wirklich lieben Ärzte.
Sie lebt und zerrt von der Hoffnung. Immer wieder fällt mir auf, dass sie nicht wahrhaben will, dass ihre Hirnhaut befallen ist. Sie erfindet andere Dinge dies betreffend. Zum Beispiel, dass die Knochenmetastasen auf ihr Hirn drücken.
Es tut weh, aber ich lasse sie in ihren Hoffnungen (ihrer Welt). Das ist schwer, aber die einzige Möglichkeit. Deswegen kann ich auch nicht mit ihr reden, was die Ärzte mir gesagt haben. Ich hätte es auch lieber nicht erfahren, vorallem das nicht mehr viel Zeit bleibt. Warum sollte ich ihre Hoffnung nehmen, und ihr verzweifelt beim "Aufgeben" zu sehen. Schließlich holt sie ihre Kraft aus ihrer Hoffnung.
Bin dabei, mit Hospizen und Diakonien Kontakt aufzunehmen. Wir brauchen langsam Hilfe für Zuhause. Es geht alles so schnell jetzt. Ich habe Angst, will nicht wissen wie es jetzt weiter geht, bin einfach kaputt und verzweifelt. Es ist so schrecklich!!!
Liebe Grüße, Saphir
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  #153  
Alt 01.11.2005, 18:02
Briele Briele ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

Liebe Saphir,

lass Dich umarmen! Und warum sage ich das? Weil ich sonst eher wenig zu sagen habe, fürchte ich.

Ich glaube letztendlich macht es wenig Unterschied wie lange man sich gefühlsmäßig und mental auf das Schlimmste vorbereiten kann. Weil man es eben nicht kann, egal wie viel Zeit man dafür hat. Weil vieles offen bleibt, weil es eine einzigartige Erfahrung ist, sein wird. Für Deine Mama und für Euch. Dieses Nichtwissen, was, wann, wie sein wird, macht einen zusätzlich ängstlich und hilflos.

Und weil man dagegen kaum etwas machen kann, zumindest konnte ich dem nichts entgegen setzen, habe ich mir gesagt, dann kann ich nur versuchen mich zu „fügen“,
mich auf eine Art dem Schicksal ergeben, einfach Stunde für Stunde, Tag für Tag mich dem zu stellen, das mich erwartet. Es ist dies eine viel größere Herausforderung, eine viel schwerere Sache, als zu kämpfen, zu machen, zu tun, etwas zu bewegen.

Du sagst Deine Mama weiß nicht um die Prognose. Meine Mama hat in den drei Jahren von Operation bis zu ihrem Sterben ganz lange nie etwas gefragt. Daraus schloss ich, dass sie es nicht genau wissen will und ich habe mit den Ärzten vereinbart, dass sie mir alles sagen. Es war für mich schon eine zusätzliche Belastung immer diese Nervosität zu verspüren, ob das auch alles klappt, nicht jemand etwas locker dahin sagt, das hat mich oft ziemlich fertig gemacht. Aber dann, am Ende ihres Lebens, als sie ins Krankenhaus kam, da hat sie gefragt. Wir hatten dort auch sehr liebe Ärzte und einer sagte ihr, dass es nun keine Therapie mehr gibt, die ihr Leben verlängert, sie aber alles tun, damit sie schmerzfrei und möglichst beschwerdefrei ist. Dieser Arzt hatte sich dann bei mir entschuldigt, dass er nun mit ihr offen gesprochen hatte. Aber es war gut und richtig. Sie hatte nun nicht mehr den Gedanken durchhalten zu müssen, etwas aushalten müssen, damit es dann wieder weiter geht. Nun wollte sie schnell sterben, alles andere machte für sie keinen Sinn.

Keiner weiß wie alles wird, aber es kann gut sein, dass Deine Mama, wenn es denn für sie der richtige Zeitpunkt ist, Dich, oder einen Arzt fragt.

Ich verstehe Dich so gut, Saphir, wie entsetzlich es ist, dass Du diesen ganzen Schrecken nicht mit Deiner Mama besprechen kannst. Selbst wenn Du 100 Menschen um Dich hast, am besten wäre es mit ihr alles bereden zu können. Und das geht nicht. Du schreibst, es wäre Dir lieber gewesen, auch nichts darüber zu wissen. Ich glaube es hat aber auch einen Vorteil, eine ganz, ganz kleinen, dass Du es weißt. Zu Beginn dieses Briefes schrieb ich, man könne sich nicht vorbereiten. Damit meinte ich aber nicht den praktischen Teil. Da ist es wieder wichtig Zeit zu haben, damit man von den Ereignissen nicht überrannt wird.

In Gedanken bin ich oft bei Dir.
Briele
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  #154  
Alt 09.11.2005, 16:34
Saphir Saphir ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

Hallo,

ich bin außer Atem. Die Zeit rennt. Montag ging es Mama noch ganz ok, gestern hatte sie auf einmal eine Lungenentzündung. Habe sie dann per Krankenwagen in die Klinik bringen lassen.
Es war verdammt knapp, werde die Bilder in meinem Kopf nicht mehr los. Sie wäre fast erstickt. Nicht nur das, auch wäre sie fast an ihrem Erbrochenen erstickt, ich habe sie gerade noch rechtzeitig aufrichten können.
Jetzt hoffen wir, dass sie die Lungenentzündung übersteht. Und wenn sie das geschafft hat, bleiben ihr (laut Ärzten) nur noch ein paar Wochen, vielleicht ein Monat. Aber wer weiß, vielleicht geschieht noch ein Wunder. Ich liebe sie doch so!!!
Saphir
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  #155  
Alt 10.11.2005, 00:23
Alina Alina ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

Liebe Saphir,

ich kann gar nicht viel sagen,mir fallen nur deine Worte von deinem vorletzten Eintrag ein: Es ist schrecklich. Diese Situation, seine Mama in akuter Gefahr zu sehen und schnell handeln zu müssen, habe ich auch erlebt und ich kann diesen Schrecken, dieses Entsetzen noch immer in mir spüren !
Und doch, ein kleines, eigentlich großes "Glück" konnte ich dabei trotzdem erleben und du ,Saphir, auch: Du warst da und bei ihr,zum richtigen Zeitpunkt, du konntest helfen. Ich bin froh für dich und deine Mama, dass es so war, dass sie nicht alleine war.

Der Weg ist so schwer jetzt und die Liebe, die du für deine Mama nun doppelt und dreifach fühlst, wird so stark und bewusst, dass es richtig weh tut.
Vielleicht kannst du nun auch deinem Bruder deutlich sagen, dass du ihn auch brauchst, dass du dir wünschst,dass ihr eure Mama zusammen begleitet und euch in eurer Angst um sie gegenseitig helfen und stützen könnt !
Manchmal muss man sie als Schwester wachrütteln und am Flüchten hindern !

Saphir, ich wünsche mir sehr, dass deine Mama diese Lungenentzündung bald überwindet und ihr die Zeit, die ihr noch habt, leben könnt.
In einem Heft der Hospizbewegung las ich den Leitspruch " Du sollst LEBEN können bis zuletzt und ich werde bei dir sein, bis zuletzt" .

Diese Zeit ist so schwer, aber ich will dir versichern, dass man Kräfte bekommt, die man an sich nicht geahnt hätte.

Ich glaube immer noch an die Kraft guter Gedanken !
Ich denke an dich und deine Mama, liebe Saphir
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  #156  
Alt 10.11.2005, 00:31
Saphir Saphir ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

Liebe Alina,

Deine Worte tun mir so gut. Denn ich fühle, ich bin nicht allein, und das ist gerade so wichtig. Ich habe zwar Menschen um mich, aber es ist doch was anderes, wenn IHR bei mir seid. Ihr habt wahrscheinlich schon jeden Gedanken, jedes Gefühl, all die Verzweiflung, wie ich sie durchlebe, durchlebt.
Ich finde jetzt keine Worte mehr für heute. Aber ich spüre Eure Worte jederzeit. Danke. Saphir
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  #157  
Alt 10.11.2005, 20:42
Briele Briele ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

Liebe Saphir,

heute fällt es mir richtig schwer zu schreiben. Ich hab Dich so lieb gewonnen, möchte gerne etwas schreiben was tröstet, was hilft, aber was könnte das sein?

Von Herzen wünsche ich Euch DAS WUNDER und bin dann doch wieder gefangen in meinen Vorstellungen des Möglichen. So hoffe ich, daß Deine Mama nicht auch noch unter allem zu leiden hat, was eine Lungenentzündung mit sich bringt.

Ach Saphir, Liebes, es ist schrecklich, und doch ist in all dem Entsetzlichen wirklich auch ein Quentchen Glück – ganz so wie Alina schreibt – daß Du da warst, Mama helfen konntest. Daß Ihr gute, liebe Ärzte habt. Und wie eine Sonne steht über all der Angst, dem Schmerz, Eure Liebe. Sie wird alles, wirklich alles überdauern, das musst du mir glauben.

Ich umarme Dich und wenn ich darf, dann möchte ich in diese Umarmung auch Deine Mama mit einschließen.

Deine Briele
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  #158  
Alt 10.11.2005, 21:46
Saphir Saphir ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

Liebe Briele,

auch ich habe Dich sehr liebgewonnen.
Momentan läuft alles um mich herum ab, wie ein schneller Film . Ich kann nicht richtig Fuß fassen. Ich funktioniere prima, was Organisation etc. angeht, aber ich bin nicht in der Lage, etwas in mir aufzunehmen. Bin nicht mehr Herr meiner Gefühle. Versuche, die schlimmen Bilder vom Dienstag aus meinem Kopf zu bekommen. Mama war schon ein Stück weit weg, sie war zu dem Zeitpunkt nicht mehr auf dieser Welt. Jetzt ist sie wieder stabilisierter. Hätte ich nicht gedacht, dass sie die letzten 2 Tage überlebt.
4 Wochen? Soviel Überlebenszeit geben ihr die Ärzte noch? Das wären gerade mal 4 Sonntage...4!!!
Ich kann mir partout nicht vorstellen, bald keine Mama mehr zu haben. Wie auch? Ich brauche sie doch so sehr.
Danke, dass ihr mich so aufnehmt, so bedingungslos. Dieser Halt ist so wichtig für mich.
Ich habe Angst! Saphir
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  #159  
Alt 10.11.2005, 21:49
Saphir Saphir ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

P.S. Liebe Briele, Mama braucht Deine Umarmung mindestens genauso wie ich.

Liebe Alina, die Worte für Briele gelten auch für Dich.
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  #160  
Alt 10.11.2005, 22:32
Alina Alina ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

Liebe Saphir,

alle Gefühlszustände, die du schilderst habe ich genauso erlebt. Ich habe funktioniert und organisiert und mit Angehörigen telefoniert, fast wie ein Roboter. Ich bin meinen Gefühlen sozusagen hinterher gerannt und habe sie nicht eingeholt. Ich fühlte mich dauernd wie im Nebel. Ab und zu kam der Gedanke durch:" Ach Gott, das erlebe ich nun wirklich,ich kann es immer noch nicht glauben, dass es passiert ".

Ich glaube, es ist eine ziemlich Bürde, von den Ärzten so eine rel. genaue, zeitliche Prognose zu bekommen. Es ist dann so, wie du schreibst: man zählt dann ängstlich die Tage und hat Panik, wenn sie sich dem Ende der prognostizierten Zeit nähern. Hier im Forum ist kreuz und quer Verschiedenstes über das Zutreffen von zeitlichen Prognose zu lesen. Bei den einen hat es gestimmt, bei mindestens genauso vielen war sie falsch, wurde die Zeit überschritten.Vielleicht kannst du dich ein bisschen von diesen Angaben lösen ? Alles können sie nicht wissen und genau berechnen, die Ärzte !
Ich finde es wichtig als Angehörige so weit zu kommen, dass man der Wahrheit ins Gesicht schauen kann, so wie du das tust, so schrecklich das auch ist. Saphir, immer noch denke ich voller Dankbarkeit an diese unsere letzte Zeit, die Mama und ich noch hatten.Es war furchtbar, es tat weh, es war manchmal ganz schwer, aber wir hatten diese Zeit noch. Du hast sie auch noch mit deiner Mama.
Diese Gedanken helfen aber nicht gegen die Angst, das weiß ich auch noch gut.
Komme also bitte immer hierher, wenn die Angst so groß wird, Saphir, wir sehen ja immer nach, ob du geschrieben hast, okay ?
Du gibst schon die ganze Zeit über dein Bestes - ich hoffe, du kannst dich nun von den anderen Pflichten zurücknehmen ?!

Eine Umarmung an dich und deine Mama,
Alina
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  #161  
Alt 12.11.2005, 21:22
Briele Briele ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

Liebe Saphir,

Wie geht es Deiner Mama? Ja, liebe Saphir, man funktioniert, wie eine kleine, brave Maschine macht man immer weiter, immer weiter, immer weiter.

Es tut mir leid, es tut mir immer leid, wenn Ärzte so zeitliche Prognosen stellen. Wie Alina sagt, alles wissen sie nicht, aber man ist dann fixiert auf einen Termin. Und meistens kommt alles anders.

Keiner weiß wie es sein wird, wann es sein wird. Ich möchte Dir aber von einer Erfahrung erzählen, die ich gemacht habe. Ich hab Dir ja schon einmal geschrieben (glaube ich zumindest), daß drei Tage bevor Mama wirklich starb, sie beinahe gestorben ist.

Und wiederum zwei Wochen vorher war sie aus dem Krankenhaus entlassen worden. Sie war in meiner Wohnung, lag im Bett. Alles war soweit in Ordnung. Ich hatte ihr eine Glocke gegeben und war im Wohnzimmer beim Bügeln. Plötzlich läutete sie und als ich zu ihr kam, da hatte sie von einer Minute auf die andere so einen Schüttelfrost, daß das Bett bebte. Sie verfiel vor meinen Augen und in mir rasten nur die Gedanken, was mach ich bloß, ruf ich die Rettung und gehe das Risiko ein, daß sie auf einer Pritsche im Krankenwagen stirbt, mach ich nichts, was ist nur das Richtige.

Ich hab die Rettung gerufen und sie hat sich im Krankenhaus relativ schnell erholt. Ich dachte mir, mein Gott, wenn das „beinahe Sterben“ schon so schrecklich ist, wie wird es dann wirklich sein?

Vielleicht sollte ich das alles nicht schreiben, ich weiß es ehrlich gesagt nicht, Saphir.
Ich denke mir nur, es hätte mich damals vielleicht ein klein wenig beruhigt wenn mir jemand gesagt hätte, das muß dann nicht schlimmer sein. Natürlich ist der Tod schlimmer. Aber ich wußte, Mama wird bald sterben und wenn ich noch auf irgend etwas hoffte, dann darauf, daß sie eine gute Todesstunde hat und daß ich gut dabei sein kann. Das Schicksal war uns gnädig.

Ich hab auch Angst gehabt. Schreckliche Angst. Vor dem was ist, vor dem was sein wird. Man hat jeden Grund dazu. Man weiß ja immer erst im nachhinein welche Ängste unbegründet waren, welche man nicht so haben hätte müssen.

Saphir, Liebes, ich hoffe auch, daß Du Dich so gut als möglich frei machen kannst von anderen Verpflichtungen, Aufgaben.

Ich bin bei Dir.
Deine Briele
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  #162  
Alt 13.11.2005, 12:12
Saphir Saphir ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

Liebe Briele,

genau den selben Konflikt habe ich Dienstag mit Mama erlebt. Deine Worte hätte ich schreiben können. Sie hat sich gewünscht Zuhause zu sterben, und ich habe ihr das Versprechen gegeben. Doch auch habe ich ihr versprochen, dass sie sich nicht quälen muß. So habe ich zusätzlich zu der schrecklichen Situation einen schlimmen, inneren Krieg durchlebt. Doch dann habe ich einfach gehandelt, und den Krankenwagen zum zweiten Mal gerufen. Sie hat so gelitten, sich so gequält und wäre auf die mit schlimmste Weise gestorben: Tod durch Ersticken. Da hatte ich dann keine andere Wahl mehr, ich mußte ihr helfen. Und sie hat diese Sache überlebt, und ist froh, dass ich ihr das Leben gerettet habe. Und ich weiß jetzt auch, dass ich das einzig Richtige gemacht habe.
Sie ist immernoch schwach, aber viel stabiler. Doch wir haben noch die Chance auf eine gemeinsame, schöne Zeit. Die größte Angst die ich habe ist, dass sie einen qualvollen, schweren Tod haben wird. Den Anblick von Dienstag könnte ich nicht nochmal ertragen, ich fühle mich um Jahrzehnte gealtert.
Ich habe meine Arbeit "zur Seite gelegt", doch ich versuche mein Lernen weiterhin zu machen. Habe mir da auch Hilfe geholt, denn so einfach kriege ich es nicht hin.
Mama macht sich so Sorgen um mich, und ich will ihr zeigen, dass auch ich stark bin. Auch habe ich sonst so eine starke Angst um meine Zukunft. Ich nehme jetzt ein wenig stärkere Antidepressiva, meine Angstattacken und Schlafstörungen sind wieder massiver geworden, siehst Du, auch da brauche ich Unterstützung. So stark bin ich dann doch nicht.
Mein Bruder und ich sind sehr stark zusammen gewachsen. Es ist wirklich toll. Wir können uns gegenseitigen Halt geben, denn wir durchleben dieselbe Situation. Jeder von uns übernimmt andere Aufgaben, und ich mache nicht mehr alles allein.
Freunde meiner Familie und unsere Verwandschaft versuchen jetzt auch alles Mögliche, um uns zu unterstützen. Jedoch bin ich da komisch. Ich will nicht, dass irgendjemand "die Zügel in die Hand nimmt". Da benehme ich mich wie eine Löwenmutter, als ob ich die einzige wäre, die Mama Gutes tun kann. Die Zeit rennt so sehr. Ist das jetzt nur die Zeit, die Mama noch mit uns hat, oder wird die Zeit ab jetzt für immer so schnell vergehen???
Liebste Briele, Du brauchst Dich wirklich nicht zu fragen, ob Du das "Richtige" schreibst. Du läßt immer Dein Herz schreiben, und das hat den reinsten und besten Fühler für das Wichtige und "Richtige". Da kann nichts schief gehen, mach immer weiter so!
Du bist eine ganz Wertvolle.
Eine dicke Umarmung für Dich, Saphir
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  #163  
Alt 13.11.2005, 19:03
Briele Briele ist offline
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Liebe Saphir,

danke für Deinen lieben, schönen, traurigen Brief!

Ich bin erleichtert, daß es gut geht zwischen Deinem Bruder und Dir. Das ist sehr viel wert. Nicht nur in der jetzigen Situation. Die Nähe, die Ihr jetzt habt wird Euch für immer verbinden, komme was wolle. Leider läuft das nicht immer optimal und es nimmt einen richtig her, wenn man sich da noch kränkt und ärgert.

Danke auch liebe Saphir, für den Satz, ich soll nur frei weg schreiben. Das will ich nun tun, denn ich hab schon wieder etwas, da hätte ich ohne Deine Worte etwas gezögert.

Du hast – nicht das erste Mal – geschrieben, es gäbe ein Versprechen, daß Mama daheim sterben kann. Du bist so eine treue, so eine verlässliche, liebevolle Tochter und ich kann mir gut denken was so ein Versprechen für Dich bedeutet. Deine Mama und wahrscheinlich jeder, der Dich kennt (wir hier eingeschlossen) wissen, daß Du Dich nicht drücken würdest.

Wie bereits gesagt, keiner weiß wie es kommt, es kann aber sein, daß es anders kommt als man es plant, wünscht, versprochen hat.

Meine Mama hatte keine Wünsche, aber ich hatte meine Vorstellungen. Ich dachte mir, ich will Mama daheim haben. Sie liegt dann in ihrem großen Bett, ich koch ihr was sie will, ich pflege sie, kann sie selbst nicht lesen, les ich ihr vor, wir hören Musik, sie empfängt Besuche, ich leg mich zu ihr, wir reden über alles, wir lachen und weinen, ich schaff ihr die besten Bedingungen zum sterben, wenn sie denn sterben muß.

Ein bisschen wie im Film.

Es kam alles ganz anders und zwar so, daß Mama im Krankenhaus nicht nur besser aufgehoben war, sondern sich dort auch aufgehoben fühlte. Wobei ich schon sagen muß, daß wir da riesiges Glück hatten, es war wie in einem Hospiz.

In meinem letzten Beitrag erzählte ich Dir von meinem Konflikt, Du hast eine ähnliche Erfahrung gemacht. Wäre sie im Krankenwagen gestorben hätte ich mir Vorwürfe gemacht nicht mit ihr daheim geblieben zu sein, wäre sie daheim gestorben, wären eben andere Vorwürfe gekommen.

Dieses Erlebnis war damals auch eine Art Schlüsselerlebnis. Es zeigte mir, daß ich nun nichts mehr in der Hand habe. Ich habe in mir diese große Liebe, die Bereitschaft da zu sein, die Hoffnung alles richtig zu machen, mehr kann ich nicht mehr tun, mehr kann ich nicht erbringen, und wie es ist so wird es richtig sein.

Liebe Saphir, ich denke es wäre gut wenn Du Dich mit diesem Versprechen nicht selbst blockierst. Vor Mamas Wunsch, vor Deinem Versprechen, steht, so glaube ich, noch etwas anderes: DAS WAS FÜR MAMA DAS BESTE IST. Und vielleicht ist das etwas anderes, als früher einmal gedacht, geplant.

Ach, das verstehe ich sehr gut, daß Du Dich wie eine Löwenmutter fühlst und wer könnte auch besser für Mama entscheiden, als Du?

Ich schicke Dir und Deiner Mama eine feste, warme Umarmung.
Deine Briele
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  #164  
Alt 18.11.2005, 19:15
Saphir Saphir ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

Liebe Briele,

Deine Nähe tut gut. Die Zeit vergeht wie im Flug, so dass ich nur ( vielleicht zum Glück) wenig Zeit zum Denken habe.
Mama ist vorgestern nach Hause gekommen. Sie wollten sie einfach so schnell wie möglich entlassen, u.a. auch wegen der Gefahr durch Krankenhausbazillen. Mama erbricht wieder häufiger, und natürlich ist sie auch wieder gestürzt, aber glücklicherweise nichts Schlimmes passiert. Sie hat so einen starken Schutzengel!!!!!!! Naja, nun liegt sie die ganze Zeit im Bett. Sie ist sehr schwach, und muß sich wohl erstmal erholen.
Ich bin so froh, dass sie nochmal nach Hause konnte, zwischendurch habe ich nicht daran geglaubt. Jetzt bete ich innerlich für eine ganz schöne Zeit für uns alle. Mama hat es so sehr verdient.
Liebe Grüße, und eine Umarmung, Saphir
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  #165  
Alt 20.11.2005, 20:47
Alina Alina ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

Liebe Saphir,

ich freue mich aus ganzem Herzen mit, dass deine Mama die Lungenentzündung überwinden konnte und nun zuhause sein kann bei euch.
Ja, und ich hoffe auch, dass euch noch viele schöne Tage miteinander bestimmt sind.Ich weiß, du wirst für deine Mama da sein ohne Wenn und Aber, so wie du das bisher auch gemacht hast. Saphir, ich weiß nicht, ob ich das alles so geschafft hätte wie du, als ich in deinem Alter war.

Ich bin sicher, ihr werdet schöne Tage haben.
Wie geht es dir mit deiner Angst ? Doch du klingst so ruhig und gefasst und verwendest deine Kraft für das, was jetzt ist.

Liebe Saphir, möge deine Mama noch viele Tage bei euch verbringen dürfen,
alles Liebe,
Alina
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