Krebs-Kompass-Forum seit 1997  


Zurück   Krebs-Kompass-Forum seit 1997 > Spezielle Nutzergruppen > Forum für Hinterbliebene

Antwort
 
Themen-Optionen Ansicht
  #1  
Alt 18.01.2013, 21:22
Viki Viki ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 07.09.2007
Ort: Süddeutschland
Beiträge: 174
Standard Wann kommt es endlich bei mir an

Vor einiger Zeit habe ich mich hier nach einigen Jahren im KK, meist nur lesend, verabschiedet. Aber es belastet mich noch einiges viel zu sehr um endgültig von hier Abschied zu nehmen.

5 ½ Jahre sind eine lange Zeit. Solange habe ich meine Mutter und beste Freundin während ihrer Krebserkrankung begleitet. Es waren Jahre mit viel Freude, Lachen, Besinnlichkeit Trauer, Angst und Hoffnung. Einen Monat nach der Diagnose des Brustkrebs 2007 habe ich mich beim KK registrieren lassen. Mein Vater, hatte Angst, dass die wichtigste Person in seinem Leben vor ihm Sterben wird. Diese Angst hatte ich nur ein bisschen, denn meine Mutter war stark, sehr stark und immer positiv gestimmt. Sie war der starke, alles zusammenhaltende Mittelpunkt unserer Familie.

Meine im Hintergrund lauernde Angst hielt ich mit endlosen Recherchen im Internet nieder. Sie war ja schon älter. Meine gesamte Umgebung meinte, was ist schon der Verlust einer Brust. In ihrem Alter wächst Krebs nur noch langsam. Dagegen sprach nach meinen Recherchen das G3. Sie wurde brusterhaltend operiert. Als sie erfuhr, dass sie bestrahlt werden sollte, meinte sie, nein, das nicht, lieber die Brust ganz weg. Und so geschah es. Sie bekam Tamoxifen, es ging ihr relativ gut damit. Ich bat sie, sich zur Nachsorge in eine onkologische Praxis zu begeben. Für diesen Rat war sie mir die nächsten Jahre sehr dankbar, denn nur durch die 3monatige Nachsorge mit Ultraschall wurde 2008 die erste Lebermetastase entdeckt.

Die nächsten Jahre waren von Dauerchemo, unterbrochen von RFA und zuletzt SIRT, bestimmt. Mit jeder neuen Chemo gewann sie wieder einige Monate Leben mit für ihr Empfinden guter Lebensqualität. Sie hing sehr am Leben. Der mehrmalige Verlust ihrer Haare und Fingernägel, ein ausgeprägtes Hand-Fuß-Syndrom und diverse andere Einschränkungen nahm sie gern in Kauf. Sie lebte. Sie ging in Konzerte und Theater. Nachdem mein Vater 2009 starb, verkaufte sie ihr Haus und zog in eine Wohnung in meiner Nähe. Ich machte mir immer Sorgen, wenn ich sie nicht erreichte, aber sie war dann allein oder mit Freundinnen unterwegs.

Sie fuhr mit dem Taxi jahrelang zur Chemo und wurde dort immer neben Patienten platziert, denen es nicht so gut ging, um diese wieder etwas aufzubauen. Sie dachte nie an sich sondern sorgte sich immer um andere. Bei jedem KontrollMRT zitterte ich mehr als sie. Falsch, ich glaube sie zitterte mindestens so, wollte mir das aber nicht zeigen. Sie sagte mir oft, dass sie mir ein schlechtes Ergebnis nicht gerne sagen würde, weil ich dann nicht mehr schlafen könne.

Die Lebermetastase vermehrten sich und wuchsen über die Jahre. Im Herbst wurde sie plötzlich schwächer, die Blutwerte sehr schlecht. Trotz Epo war eine Chemo nicht mehr möglich. Ihre Heilpraktikerin, die sie jahrelang begleitete, sagte ihr am 25. Oktober in meiner Gegenwart, dass es nun sehr schlecht aussehe. Diesen Termin konnte sie das erste mal nicht mehr allein wahrnehmen. Sie konnte nicht mehr selbst fahren und ich brachte sie hin. Wir schleppten sie dort die Treppe in den ersten Stock hinauf (2 Monate vorher lief sie noch flott allein hinauf). Die Erschöpfung war offensichtlich. Die Heilpraktikerin sagte ihr, eine Chemo wäre in ihrem Zustand wohl nicht mehr möglich, was ihr Onkologe auch bestätigte. Auf die Frage meiner Mutter, was dann geschähe, wurde ihr mit: „Dann wirst du wohl sterben“ beantwortet. Sie war schockiert.

Ich brachte sie nach Hause. Am nächsten Tag war sie noch am Boden und den Tag darauf suchte sie das Gespräch mit mir. Sie fing an sich mit dem Gedanken des nahen Todes vertraut zu machen und begann sich damit zu arrangieren. Ich nicht, mein Bruder nicht, meine Familie nicht, aber meine Mama. Sie erklärte uns, nun sei bald Ende der Fahnenstange und das sei völlig in Ordnung!!! Es war fast unerträglich. Aber ich war auch, obwohl verständnislos unendlich stolz auf sie.

Eine Woche später kam sie auf die Palliativstation, da sie Wasser im Gewebe anlagerte und sich nicht mehr gut auf den Beinen halten konnte. Sie wurde entwässert und nach 2 Wochen in einem desolaten Zustand nach Hause entlassen. Ich zog zu ihr und versorgte sie mit meinem Bruder Tag und Nacht, sie konnte das Bett nicht mehr verlassen. Am 20.12. erhielten wir einen Hospizplatz, am 21.12. starb sie dort überraschend schnell, als ich bei ihr war. Danke Mama, dass ich dabeisein durfte.
Dies ist heute genau 4 Wochen her, die Beerdigung liegt hinter uns und ich hab es immer noch nicht kapiert. Jeden Tag denke ich, Mama hat heute noch nicht angerufen oder, ich geh schnell rüber und frag, was ich für sie einkaufen soll. Jeden Abend will ich das Telefon neben mein Bett legen, es könnte ja was sein. Es kommt einfach noch nicht richtig an. Andererseits habe ich Angst davor was mit mir geschieht, wenn ich es endlich verstanden habe.

Der Text wurde jetzt doch länger als ich es vorhatte, ich hoffe Ihr versteht das.

Viki

Geändert von Viki (18.01.2013 um 21:23 Uhr) Grund: Absätze eingefügt
Mit Zitat antworten
  #2  
Alt 19.01.2013, 02:53
Arelia Arelia ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 21.12.2012
Ort: Österreich
Beiträge: 39
Standard AW: Wann kommt es endlich bei mir an

hallo viki,

es tut mir unendlich leid für dich, deine familie, deine mum. es ist ein schlimmer weg immer diese höhen und tiefen, das hoffen und die realität.

mir gings am anfang ganz gleich wie dir, ich geh mal schnell zu meiner mum, ich ruf sie kurz an, ich frag sie kurz um rat. was natürlich nicht mehr geht. da du so lange diese schwere zeit durchmachtest versteh ich dass du da ein bisschen länger brauchst um es zu vestehn, immerhin hast du 5 jahre das handy neben das bett gelegt und (warscheinlich) noch viel länger hat sie dich angerufen. lass dir zeit, irgendwann kommt es und ich will dich nicht erschrecken, aber es wird schlimm. aber das ist okay wenn es dann da ist kannst du anfangen alles zu verarbeiten und dann kommen auch die besseren zeiten. vielen hier geht es ähnlich aber das weisst du vermutlich schon.

ich wünsch dir viel kraft für die kommende zeit. es wird nicht leicht aber du wirst es schaffen


__________________
Lebe jeden Tag als wäre es dein letzter!
Miss u Mummy! 07.08.1960 - 21.01.2010
Mit Zitat antworten
  #3  
Alt 19.01.2013, 09:06
Benutzerbild von fraunachbarin
fraunachbarin fraunachbarin ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 04.11.2010
Ort: ulmer ecke
Beiträge: 1.150
Standard AW: Wann kommt es endlich bei mir an

liebe viki..
es tut mir leid, daß auch du deine mami verloren hast. sie muß eine tolle frau gewesen sein. ich hab meine mami am 15.okt verloren und ich brauchte auch eine ganze weile bis ich begriff, daß mami nie wieder kommt.
auch ich habe lange gemeint,sie anrufen zu können. aber irgendwann kam dann die trauerphase des realisierens. und ich hatte schwer zu kämpfen mit dieser endgültigkeit, mit diesem nie-wieder. das ist keine leichte zeit, aber sie ist sehr wichtig. die trauer hat verschiedene phasen und jede tut auch ihr gutes, damit wir lernen mit diesen schweren erlebnissen und dem verlust zu leben.
ich wünsch dir ganz viel kraft für diese schwere zeit. schreib dir hier weiterhin alles von der seele.. das befreit ein stück.
glg tine
__________________
MISS YOU MAMA
24.02.1944-15.10.2012
Mit Zitat antworten
  #4  
Alt 19.01.2013, 11:23
Viki Viki ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 07.09.2007
Ort: Süddeutschland
Beiträge: 174
Standard AW: Wann kommt es endlich bei mir an

Liebe Arelia, liebe Tine,

eure tröstenden und vor allem verstehenden Worte tun einfach gut

Liebe Grüße
Viki
Mit Zitat antworten
  #5  
Alt 19.01.2013, 20:10
Andrea1979 Andrea1979 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 17.08.2012
Ort: Österreich, Niederösterreich
Beiträge: 50
Standard AW: Wann kommt es endlich bei mir an

Hallo viki,

Ich kenne das leider nur zu gut. Mein Papa ist Ende August 2012 gestorben und ich hatte bis vor ca.2 Wochen das Problem das mein erster Gedanken und mein letzter Gedanken am Abend immer meinen Papa gehörten. Das hört sich jetzt vielleicht komisch an wenn ich Sage ich hatte das Problem, aber für mich war es wirklich ein Problem, denn es gab mir jeden Tag gleich in der früh einen maga Stich ins Herz. Es ist ja auch so das ich unter Tags sehr sehr oft an meinen Papa denke, denn ich vermisse ihn einfach sehr. Oft habe ich das Gefühl das er gleich bei der Türe rein kommt, einfach auf einen Kaffee zu uns kommt. Ich habe z.B. Auch noch die Telefonnummer von meinem Papa in meinem Handy eingespeichert was eigentlich total Schwachsinn ist, aber ich schaffe es auch nicht sie zu löschen.


Auch wenn er nicht mehr da ist, so habe ich oft das Gefühl das er mir doch ganz nah ist. Ich denke es dauert auch bei mir noch einige zeit einfach zu realisieren das er nicht mehr da ist, ich ihn nicht anrufen kann wenn ich Hilfe brauche. Ich nicht mehr mein Handy ins bett mitnehmen muss weil es ja sein könnte das er Hilfe von mir braucht.

Echt komisch. Ich hoffe du kennst dich bei dem Wirrwarr noch aus was ich geschrieben habe. und weißt was ich meine.

Alles liebe!!!!!!

Andrea
__________________
Mein Papa (53)
16.05.1959 - 29.08.2012+
Diagnose kleinzelliger Lungenkrebs am 14.06.2011
Mit Zitat antworten
  #6  
Alt 20.01.2013, 17:00
Viki Viki ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 07.09.2007
Ort: Süddeutschland
Beiträge: 174
Standard AW: Wann kommt es endlich bei mir an

Hallo Andrea,

doch, ich weiß genau was du meinst. Vorgestern habe ich tatsächlich die Telefonnummer meiner Mutter aus der Kontaktliste gelöscht. Heute tut es mir schon wieder leid. Ihr Telefon ist noch angemeldet und einerseits bin ich dauernd in Versuchung bei ihr anzurufen, um ihre Stimme auf dem Anrufbeantworter zu hören. Andererseits habe ich Angst davor, weil ich dann wahrscheinlich wirklich zusammenklappe.

Heute haben wir erstmals angefangen ihre Wohnung zur räumen, die Arbeit hilft, aber sobald ich die Tür aufsperre riecht es immer noch so gut nach ihr und ich bin mir sicher, dass sie gleich aus der Küche kommt um mich zu begrüßen.

Dir auch alles Gute

Viki
Mit Zitat antworten
  #7  
Alt 20.01.2013, 22:57
Arelia Arelia ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 21.12.2012
Ort: Österreich
Beiträge: 39
Standard AW: Wann kommt es endlich bei mir an

oh ja viki, das ist eine der schlimmsten sachen überhaupt, die wohnung räumen, da geht wieder ein kleines stück von ihr? und all die sachen und gerüche und erinnerungen lassen uns nicht los, aber wir machen weiter und immer weiter.
ich hatte damals nicht diese qual dass ich ihre stimme hören würde wenn ich bei ihr anrufe, was glaub ich gut war, ich weiss nicht ob du sie anrufen sollst oder nicht aber ich an deiner stelle würde es nicht tun. auch wenn es soo gut täte nur die stimme zu hörn, wirst du dort keine antwort auf fragen oder hilfe finden. sondern schmerz und trauer.

es tut mir sooo leid für dich!

__________________
Lebe jeden Tag als wäre es dein letzter!
Miss u Mummy! 07.08.1960 - 21.01.2010
Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)
 

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 14:37 Uhr.


Für die Inhalte der einzelnen Beiträge ist der jeweilige Autor verantwortlich. Mit allgemeinen Fragen, Ergänzungen oder Kommentaren wenden Sie sich bitte an Marcus Oehlrich. Diese Informationen wurden sorgfältig ausgewählt und werden regelmäßig überarbeitet. Dennoch kann die Richtigkeit der Inhalte keine Gewähr übernommen werden. Insbesondere für Links (Verweise) auf andere Informationsangebote kann keine Haftung übernommen werden. Mit der Nutzung erkennen Sie unsere Nutzungsbedingungen an.
Powered by vBulletin® Version 3.8.7 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, vBulletin Solutions, Inc.
Gehostet bei der 1&1 Internet AG
Copyright © 1997-2024 Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V.
Impressum: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Eisenacher Str. 8 · 64560 Riedstadt / Vertretungsberechtigter Vorstand: Marcus Oehlrich / Datenschutzerklärung
Spendenkonto: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Volksbank Darmstadt Mainz eG · IBAN DE74 5519 0000 0172 5250 16 · BIC: MVBMDE55