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  #1  
Alt 28.12.2008, 21:07
Walter Richter Walter Richter ist offline
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Registriert seit: 28.12.2008
Beiträge: 5
Standard Die Bilder an denen man hängt und sie loswerden will

Ich habe vor zwei Jahren meine Mutter an ausmetastasierten Brustkrebs verloren. Der Kampf hatte fünf lange Jahre gedauert und schließlich mit dem Tod geendet. Da ich der einzige Familienangehörige war, der für die Begleitungs- und Pflegearbeit in Frage kam, der übrige Familienrest hatte sich schon lange losgesagt, vollzog sich mein "Dienst", so wie es nenne, in rechter Isolation.
Es oblag dann zum Ende hin auch mir, mit damals 25 Jahren, die Entscheidung für das Abschalten der Apparate zu treffen. Die Leicheneinkleidung wurde auch von mir selber vorgenommen.

Es ist freilich etwas sehr wertvolles, Abschied nehmen zu können. Andererseits ist der Bilderwald eine Hypothek, die einen im Alltag stets irgendwie begleitet.
Nun, nach zwei Jahren kommen die Momente zurück, es reichen Gerüche und die Bilder der langen Nächte auf den Intensivstationen kommen wieder hoch. Das Klinikum, in dem sie lag war die reinste Katastrophe, mit einem Pflegeschlüssel von 1:50 in der Chirurgie, wozu sich jeder ausmalen kann, was das für die Umstände hieß.
Vor der letzten, geplanten, aber nie durchgeführten Chemo hat man sie solange vertröstet, bis es zu spät war.

Fünf Jahre Onkologie haben an mir ihre tiefen Spuren hinterlassen.

Ich würde mich freuen, so hier, der ein oder andere seine Erfahrungen niederschriebe, zu dem, was der Krebs an den Hinterbliebenen so übrig läßt.

Mit lieben Grüßen
Walter Richter
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  #2  
Alt 29.12.2008, 16:46
Ronnya Ronnya ist offline
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Registriert seit: 13.04.2008
Beiträge: 989
Standard AW: Die Bilder an denen man hängt und sie loswerden will

Hallo Walter,
auch mir tut es leid das du deine Mutter gerade in so jungen Jahren verlieren musstest.....

Du hast ja auch eine Menge mitgemacht und gesehen....
Natürlich hinterläßt das seine Spuren.
Diese ganze Zeit hat dich bestimmt verändert,und dich schlagartig erwachsen gemacht....

Ich finde es schön,das dein Weg dich hier ins Forum geführt hat...
Hier kannst du dir alles von der Seele schreiben....
Es gibt hier immer jemanden,der dir zuhört und vor allen Dingen dich versteht....
EIN HERZLICHES WILLKOMMEN !!!!

Zu deinen Bildern im Kopf,die du mit dir herumträgst,schreib ich dir später noch was...
Muss jetzt mit dem Hund raus.....
Dem drückt die Blase

Einen lieben Gruß
Regina
__________________
______________________
Erinnerungen ,die nicht verblassen,
bilden ein festes Fundament in unserem Inneren
Mein geliebter Vater - 16.6.2008
Und immer sind da Spuren deines Lebens
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  #3  
Alt 29.12.2008, 19:43
Tinuviel Tinuviel ist offline
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Registriert seit: 03.10.2008
Ort: on earth
Beiträge: 10
Standard AW: Die Bilder an denen man hängt und sie loswerden will

Hallo Walter,

meine geliebte Mutter ist Mitte Oktober gestorben. Sie hatte Lungenkrebs und zuletzt Lebermetastasen. Die Diagnose wurde im Herbst 07 gestellt, insofern lässt sich unsere Geschichte ganz sicher nicht mit Deiner vergleichen. Wir hatten wenig Zeit um uns auf den Tod einzustellen. Und da sie uns bis zuletzt in dem Glauben ließ, es würde alles wieder gut werden, waren wir mehr oder weniger unvorbereitet.

Es ist seltsam, immer noch, dass wir es nicht glauben konnten! Die Ärzte rieten ihr Mitte/Ende September ins Hospiz zu gehen, was sie ablehnte. Sie sprachen auch mit uns, aber es war so unwirklich. Wenige Wochen zuvor war sie noch ganz fit, fuhr Auto und erledigte ihren Haushalt selbst. Sie hat uns nicht gesagt, wie groß das Karzinom inzwischen war, wir wussten nur, dass es langsam wachsend wäre und dachten, sie hätte noch Jahre zu leben.

Ende September wurde sie aus der Klinik entlassen, sie konnten nichts mehr für sie tun. Und ab da ging es rasant abwärts, das war unglaublich. Jedesmal wenn ich sie besuchte erschrak ich, wie sehr sie seit meinem letzten Besuch wieder abgebaut hatte. Und dazwischen lagen nur Stunden! Sie war völlig abgemagert als sie starb, nur 10 Tage nach ihrer Entlassung.

Diese letzten 10 Tage werde ich wohl nie vergessen. Sie hatte große Angst, ein Blick in ihre Augen und man wusste es. Und so kannte ich sie gar nicht. Sie war immer die Starke, zeigte nie Schwäche. Es war unmöglich mit ihr darüber zur reden. Unvorstellbar! Aber für mich wurde es dadurch sehr belastend. Zu sehen, was passiert, aber nicht darüber reden zu können. Sie hat alles abgeblockt und so schwiegen wir bis zuletzt.

In den letzten Tagen redete sie ohnehin nicht mehr und schlief fast die ganze Zeit mit offenen Augen und Mund. Ich war mir nie sicher, ob und was sie noch mitbekam. Diesen Anblick werde ich wohl nie vergessen. Es war das erste Mal, dass ich einen Menschen beim Sterben begleitet habe.

Schon in den Wochen vor ihrem Tod bekam ich massive Schlafstörungen, daraus resultierende Konzentrationsprobleme, hatte Alpträume, Schwindel und noch viele andere körperliche Beschwerden. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Nachts, wenn ich die Augen schließe und schlafen möchte, kommen die Bilder wieder und dann ist es vorbei. Ich stehe auf und lese wieder ihre Patientenakte und bin immer wieder aufs Neue fassungslos, dass sie einfach nicht mehr da ist. Das kann alles nicht wahr sein! Wie im falschen Film komme ich mir vor.

Wir hatten ein enges Verhältnis, manchmal auch schwierig, aber sie war immer für mich da und hat mich unterstützt wo sie konnte. Sie fehlt mir so sehr. Jetzt ist sie tot und meine Kindheit ist entgültig vorbei. Ich habe keine Ahnung, wann mein Leben wieder Bodenhaftung bekommt, aber im Moment scheine ich davon weit entfernt zu sein.

Mia (die das erste Weihnachten ohne Mama überstanden hat!)
__________________
Die meisten Fehler, die wir im Leben begehen,
entstehen daraus, dass wir denken, wo wir
fühlen sollten und fühlen, wo wir denken sollten.
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  #4  
Alt 29.12.2008, 21:55
Nawinta Nawinta ist offline
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Registriert seit: 17.09.2007
Ort: ländlich/ am Tor zur fränkischen Schweiz
Beiträge: 136
Standard AW: Die Bilder an denen man hängt und sie loswerden will

Hallo Walter,

großen Respekt vor deiner Leistung.

Deine Mutter wahr sicherlich sehr froh dich gehabt zu haben.

Wie alt war deine Mutter?

Ich finde es sehr schlimm, dass ihr in dieser Zeit alleine gelassen worden seit und sich die Familie "losgesagt" hat.

Sorry, aber für was hat man den eine Familie?

Eine Familie soll doch in der Not zusammenstehen und sich einander helfen. Ich weiß jedoch auch, für diesen "Dienst" braucht es sehr viel Kraft und dies kann nicht jeder. Das Leid "er"tragen, mit tragen
Für denen an meisten getan worden ist, die wenden sich ab bzw. diese haben diese Kraft für solche "Dienste" nicht! (Kenne das auch bei uns. Aber Gott sei Dank habe ich eine große Familie und hatte sehr viele helfende Hände. Auch wenn man sich 1-2mal allein gelassen vor kam. Lag aber wohl mehr an meinen Management)

Als ich deine Überschrift lass, "Bilder an denen man hängt und sie loswerden will" dachte ich sofort an meinen Vater. Meinen Vater hat meine Mutter auf den Todenbett eine grüne Jacke mit Reisverschluß angezogen. Im Sarg sah ich ihn so. Dies hat mich 1 Jahr verfolgt. Auch der Traum, den ich 3Tage vor den Totestag meines Vaters hatte. Und auch der Traum den ich nach den Tod meines Vaters ca. 1 Jahr hatte.

Die Bilder die ich von meine Vater loswerden möchte, werden mich ein Leben lang begleiten. Sie sind aber schon sehr verblaßt. Gott sei Dank!! Und die haben nichts zu tun mit seinem Tod oder Leiden.

Die Bilder von Mutter die ich loswerden möchte, sind all diese in denen sie leiden müßte, in denen ich die Hoffungslosigkeit spürte, Ihre Angst, Ihren Schmerz. Ihre Tränen. Sie war immer so eine extrem starke Frau, der nichts und niemand etwas anhaben konnte. Sie hat gekämpft, gekämpft und niemals aufgegeben.
Nur dieser scheiß beschissener Krebs hat sie in die Knie gezwungen. Entschuldigt bitte die Wortwahl bei Krebs.
Und auch wir alle waren zu schwach für diesen Parasiten.
Ich hasse Krebs! und sehne den Tag herbei, an denen es keine "wildwuchernten Zellen" mehr geben wird.

alex
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  #5  
Alt 01.01.2009, 19:47
Walter Richter Walter Richter ist offline
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Registriert seit: 28.12.2008
Beiträge: 5
Standard AW: Die Bilder an denen man hängt und sie loswerden will

Ich danke Euch für die Antworten.

Ich habe nun zwei Jahre nach ihrem Tod anstandslos funktioniert, es halt nicht begriffen, das sie tot ist. Es ist die Zeit stehen gebleiben. Nun beginn sie wieder zu laufen, und alles kommt hoch. Nun bin ich eben mit schlaflosen Nächten, mit vollkommenen Erinnerungsrückfällen und einer panischen Angst vor Krebs gesegnet, gegen die alle Einwände nicht greifen, weil mir auf dem Fuße immer gleich ein Gegenbeweis aus meinem realen Erleben einfällt.

Es ist einfach Fakt, daß Krebs heute zu über 90 % früher oder später mit dem Tod einhergeht, ob das den Mediziniern nun paßt oder nicht. Es ist auch Fakt, daß der Mensch aus Milliarden an Zellen besteht, von denen jede potentiell unberechenbar ist, und alles im Grunde nur von der Regenerationsfähigkeit einer einzigen solchen abhängt.

Den Kampf mit der Alltagsangst hierzu, kann ich den Menschen überhaupt nicht verständlich machen, die leben irgendwo mit dem Bild der Schwarzwaldklinik, und der Vorstellung von einem Heilsboten namens Dr. Brinkmann, das aber Mediziner Thoraxdrainagen ziehen, obwohl der ganze Pleuraraum noch voller Luft ist, daß die Schulmedizin gerade mal stolz ist, eine Hand voll Krankheiten genetisch ableiten zu können, und über den Krebs kaum mehr weiß, als ein durchschnittlicher Biologiestudent, das greift im Verstand nicht.

Ich konnte neben der Krankheit meiner Mutter, die übrigens nur 49 Jahre alt geworden ist, mich mit Intriegen und Ränkespielen der Krebsärzte im Verbund mit den Pharmazeutikaherstellern herumplagen, mit Provisionschemos, und Bonusmodellen für Ärzte, die, und sei es auch völlig kontraindiziert nur das eine Zytostatika verwendet haben. Den ersten Krebsarzt meiner Mutter hat man sogar die Praxis ruiniert, weil er nicht mitgezogen hat. In der Uniklinik, in der meiner Mutter lag, wurden die Patienten nach Belegungsgesichtspunkten und in der sog. "Mischkalkulation Kasse-/Privat" auch mal kurzerhand zu Palliativkandikaten deklariert, wenn es "rentabel" erschien.

Ich konnte mir drei Tage im Zimmer meiner Mutter die Quälerei einer alten Frau ansehen, die man aus sog. haftungstechnischen Gründen korsettiert hatte, weil der Chefarzt schlicht zu feige war, für seine OP zu garantieren. Es haben ein Chef- zwei Oberärzte und ein halbes Geschwader Jungtürken in Weis drei Tage lang nicht bemerkt, das der Frau die Haut bis auf den Knochen durchgescheuert war, das sie im Korsett, im einene serösen Ausfluß eingelegt war. Veroperierte Werbegeschenke für Prothetik, daß man die ganze Wirbelsäule der Patientin gerade nochmal operieren durfte, trombotische ZVKs, am Hals, Patienten, mit Wirbelsäulenbruch mußten Leibesvisitationen nach Krankenkassenkarten über sich ergehen lassen, Wirbelbruch und Unfallschäden hin oder her.

Und als ich dann reklamiert habe, daß man ja eine Pneumonie ja im Krankenhaus übersehen habe, bekam ich die Antwort, daß soetwas auch durchaus woanders vorkomme, also nicht weiter Anlaß sei, sich irgendwie angesprochen zu fühlen.
Im Patientengespräch in der Nachsorge hat der Arzt telephonisch Reifen für seinen Sportwagen bestellt und meine Mutter nicht mal abgehorcht, obschon sie damals kaum noch Luft bekam.


Es muß in mir nur eine Zelle entarten und ich stehe vor der Wahl, mich diesem Irrsinn vollkommen hilflos auszuliefern, oder den Weg alles Zeitlichen zu nehmen.

Im Krieg geht es im Wenigsten, so doch wenigstens um Geschichte, um einen Dreckhaufen, den es zu erobern gilt, beim Krebs geht es doch nur noch um ein schmerzgelindertes Ende. Und wir haben nichteinmal das Gewehr in der Hand, sich illusionen über das eigene Vermögen machen zu können.

Vor der Ohnmacht bei Krebs verblasst sogar die Qual der Hölle.

Ich bin kaum dreisig Jahre alt und während alles um mich in der Glückseeligkeit von Familie und Karriere lebt, kann ich zusehen, wie ich mit den Bildern einer Wirklichkeit klarkomme, die keiner sehen will.

Ich komme mir mitunter vor, wie ein Gespenst, in Mitten eines tosenden Ozeans der Oberflächlichkeit. Es ist auch dies auch schlimmer, als jeder Krieg. Vor dem kann man nur schwer die Augen verschließen, weil Trümmer nunmal die Straßen säumen. Den Krebs gibt es ja offiziell nicht.

Was ich mit meinen Jahren gesehen habe, das reicht für zwei Menschenleben.

Christoph
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