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Alt 06.10.2010, 12:53
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Karolinchen Karolinchen ist offline
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Registriert seit: 21.08.2010
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Standard Irgendwann sehen wir uns wieder, Papa! Ich hoffe Du kannst mich von irgendwo sehen...

Wie einige von euch schon gelesen haben, ist mein Papa am 03.10. verstorben, nach einem langen Kampf wo er immer voller Hoffnung war, vom Speiseröhrenkrebs geheilt zu werden.

Links ist mein Papa!
Ich möchte euch gern von ihm erzählen, weil er ein ganz besonderer Mensch war. Er war immer Anlaufpunkt für alle Familienmitglieder in Not oder mit Kummer. Er hat immer ein offenes Ohr für die Sorgen seiner Mitmenschen gehabt, nie hat er gesagt "das geht mich nichts an" oder "da mische ich mich nicht ein". Er hat immer geholfen wo er kann und hätte sein letztes Hemd gegeben, wenn es jemand bräuchte.

In seiner Stadt war er bekannt wie ein bunter Hund, er sprach sowohl mit den Bettlern an der Klagemauer als auch mit besser situierten Menschen als er selbst es war, er konnte mit jedem gut.
Jeder konnte sich bei ihm ausweinen, doch er selbst hat sich nie beklagt. Nicht über sein Leben, nicht über sein Schicksal, nicht über seine Krankheit. Er war immer voller Hoffnung und Stärke, er hat trotz starker Schmerzen und Einschränkungen in dem letzten halben Jahr niemals gejammert oder sich beklagt, im Gegenteil, er sagte immer es ginge ihm gut, auch wenn es nicht so war.

Er war, obwohl er nur den Hauptschulabschluss hatte machen können (weil er nach dem Tod seines Vaters mit 15 schon seine 7 Geschwister versorgen musste), der belesenste Mensch den ich kenne. Er hat alle Bücher gelesen die ihm in die Hände fielen, bei uns zu Hause waren die Regale immer überfüllt und sogar im Bad lagen mehrere Bücher, damit er die Details nachschlagen konnte zu einem Thema. Er interessierte sich für so vieles: Klassische Musik, Musik überhaupt hat er gern gehört, Kultur, Geschichte, Tiere, die Natur, regionale Geschichte und historische Gebäude, Segelyachten und, und, und! Er war ein sehr guter Koch und liebte es, in der Küche neue Gerichte zu "kredenzen", wie er immer sagte. Er sagte oft im Scherz, Paul Bocuse hätte bei ihm das Kochen gelernt

Mein Vater war ein sehr guter Tänzer, und er liebte es auf Festen zu tanzen. Dafür mussten dann seine Geschwister öfter herhalten, die seinen eigenwilligen Tanzstil oftmals schon peinlich gefunden hatten. Er fegte nur so über das Parkett und schleuderte sie herum

Meine schönsten Erinnerungen an Papa, was auch sehr typisch für ihn war, sind die, wenn wir morgens an jedem Wochenende früh um 4 oder 5 aufstanden, er mit uns zur Tankstelle fuhr wo wir eine Cola, Reißverschlusswurst und Twix bekamen - meine Schwester nahm immer die Wurst mit Ketchup in der Mitte und ich mit Senf - und dann fuhren wir durch die Umgebung unserer Stadt, und machten eine Tierzählung. Wir führten eine Liste über die vielen Tiere, die wir dann sahen. Die Zählung begann immer in unserem eigenen Schrebergarten, in dem morgens um 5 ein junger Hirsch herumlief, und dann stiegen wir ins Auto um eine lange Runde zu drehen. Wir zählten Hasen, Kaninchen, Eulen, Habichte, Mäusebussarde, Rehe, Damwild, Sika-Hirsche, Füchse und Dachse. Außerdem fragte er uns bei jedem Kornfeld, was dort gesäht war.
Und wir sammelten "Opfer", das war Papas Idee gewesen. Jeder winkte unterwegs zu den Menschen die man sah, und wenn derjenige zurückwinkte, weil er dachte man würde ihn kennen, dann war er unser Opfer gewesen

Unsere MUtter hat immer geschimpft, weil unsere Touren immer bis 9 oder 10 Uhr dauerten, wenn wir dann mit Brötchen nach Hause kamen. Überhaupt hat mein Papa NIE den direkten Weg genommen, egal wo er hinging, er machte immer einen Umweg um die Landschaft zu begutachten. Wir hatten mehrere verschiedene Touren. Wenn es Einkaufen ging, dann musste Papa immer erst zum Hafen und mit den Fischern sprechen, bevor er dann einkaufen ging, vielleicht noch bei Oma vorbei, und dann nach Hause kam. Oder wir fuhren Einkaufen und dann eine lange Runde durch die Natur auf allen Schleichwegen der Umgebung.

Oft saß Papa auch auf seiner bestimmten Bank an der Strandpromenade und beobachtete das Meer. Das Meer, in dem auch sein Vater umgekommen war. Mein Vater wird auch auf der Ostsee eine Seebestattung bekommen, das hat er sich gewünscht.

Was ich besonders schön fand, dass nun, wo er so krank war, nicht mehr er auf den Runden fuhr, sondern ich fuhr dann die Runden mit ihm. Oder Mama, oder meine Schwester. Immer hat er sich darüber gefreut und hat sich bedankt, dass wir mit ihm die Runde gefahren sind. Er wollte immer überall noch die Schleichwege entlang, das war das Größte und darum wollte er immer mit wenn ich einkaufen sollte - egal wie schlecht es ihm ging!

Am Freitag findet seine Trauerfeier in der dänischen Kirche statt (wir sind alle auf der dänischen Schule gewesen und gehören der dänischen Minderheit an), gestern war seine Aufbahrung in der Kapelle, wo wir nochmal sehen konnten wie er in seinem ANzug aussieht. Er sah sehr friedlich und schön aus. Wir haben ihm seinen ANzug mitgegeben, den er letzten Dezember auf seiner Überraschungsparty zum 60. Geburtstag anhatte

Es ist ganz schön anstrengend, was man alles regeln und erledigen muss. Ich war jetzt die letzten Tage mit Mama beim Amt für die Sozialhilfe für den Beitrag zu den Bestattungskosten, dann für die Renten (Halbwaisen- und Witwenrente) müssen wir morgen auch nochmal hin, dann mussten wir schnell eine Annonce aufgeben und aussuchen wie der Sarg, die Kleidung, die Blumen sein sollen etc. - es gab so viel zu tun. Morgen backen wir zusammen Kuchen für die Trauerfeier am Freitag. Wir werden danach neben der Kirche in einem Raum mit der Familie und Freunden Kaffee und Kuchen haben.

Ich tröste mich momentan noch damit, dass er nur für mich nicht mehr sichtbar ist, aber irgendwo mit meinem verstorbenen Pferd und meinen 2 Hunden auf mich wartet. Den einen Hund davon hat Papa nämlich von mir bekommen, als er älter wurde, weil meine Eltern im Erdgeschoss lebten und es dem Hund dort besser ging. Papa hat immer gesagt "so einen guten Hund wie Dino finden wir nie wieder! Mir kommt kein Hund mehr ins Haus, außer ein Airedale Terrier!". Einen Gutschein für so einen hatte ich ihm vor 3 Wochen geschenkt - leider wurde daraus ja nichts mehr, er hatte sich so gefreut nach der Behandlung einen Hund auszusuchen, es sollte im Frühling losgehen!

Schade finde ich, dass Papa nun nicht mehr erlebt, mit wem ich zusammen bin, wen ich vielleicht irgendwann mal heiraten sollte, dass ich seine Meinung dazu nicht mehr erfahren werde, dass er keine Enkel gehabt hat, überhaupt, dass er so jung gehen musste. Ich hätte es ihm gerne alles abgenommen

Im Moment habe ich so ein gleichgültiges Gefühl, ich kann es nicht beschreiben. Ich rede über ihn, aber ich weine nicht um ihn, ich habe das Gefühl mir kann nichts Schlimmes mehr passieren, man kann mir nichts mehr wegnehmen, weil das Wertvollste mir schon genommen wurde. Ich finde es erleichternd, dass ich mich um nichts mehr sorgen muss, Papa war die letzte Zeit einfach erste Priorität und alles andere habe ich stehen und liegen lassen. Eine Bekannte von mir meinte dass ich wahrscheinlich viel später erst aktiv trauern werde, und wenn nicht dann müsste ich mir Gedanken machen. Meine Tante meinte, sie bewundert meine Stärke, eine andere meinte es sei meine Art mit der Trauer umzugehen, hyperaktiv zu werden und etwas zu unternehmen. Ich bin die Einzige, die anderen sind eher alle traurig und hilflos und verzweifelt. Ich bin ja traurig, mir tut es alles so sehr leid, aber ich kann und will jetzt nicht weinen, ich kann es nicht erklären.

Auf Papas Anzeige habe ich mir einen Spruch ausgesucht "Ich gehe zu denen die mich liebten und warte auf die die mich lieben", den fand ich so schön weil er nicht nur den Abschied, sondern auch eine Wiederkehr darstellt. Ich wollte etwas mit Hoffnung auf ein Wiedersehen, etwas, dem man noch Positives abgewinnen kann. Meine Mama und Schwester haben auch ein Zitat ausgesucht, aber ein anderes.

Schön finde ich auch dieses Zitat:
Das sind die Starken, die unter Tränen lachen,
eigene Sorgen verbergen und andere glücklich machen.

Franz Grillparzer (1791-1872)
Es passt gut zu Papa, weil er selbst ein sehr trauriger Mensch war, aber trotzdem immer gern gelacht und anderen geholfen hat.
__________________
Papa (20.12.1949-03.10.2010) -
die Zeit die ich mit Dir haben durfte war schön, ich wünschte Du hättest mehr davon gehabt - ich hoffe es geht Dir besser da wo Du jetzt bist! Und ich hoffe Du kannst mich von irgendwo noch sehen und an meinem Leben teilhaben, wenn Deins schon so plötzlich enden musste .

Geändert von Karolinchen (06.10.2010 um 13:08 Uhr)
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