Krebs-Kompass-Forum seit 1997  


Zurück   Krebs-Kompass-Forum seit 1997 > Spezielle Nutzergruppen > Forum für Angehörige

Antwort
 
Themen-Optionen Ansicht
  #1  
Alt 29.06.2016, 00:25
Dimolaidis Dimolaidis ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 28.06.2016
Beiträge: 47
Standard Erfahrungen eines Angehörigen

Hallo,

nun ist das eingetreten, was seit Ende 2012 klar war: mein Vater ist an Darmkrebs mit Lebermetastasen gerstorben. Da ich mir im Laufe der Erkrankung unzählige Stunden im Netz vertrieben habe um Therapien, Mittel gegen Nebenwirkungen etc zu finden, dachte ich, ich fasse mal das Erlebte zusammen. Vielleicht hilft es ja anderen in ähnlicher Situation.

Ausgangslage: Mein Vater wurde Ende 2012 2 mal bewusstlos. Beim ersten Mal wurden zu hohe Blutdrucksenker diagnistiziert, beim zweiten Mal kam nach einhergehenden Untersuchungen die Diagnose:

Darmkrebs mit Lebermetastasen, Stadium 4, k ras mutiert.

OP: Der Darmtumor wurde ohne Stoma entfernt, die Leber war nie im operabelen Bereich. Ein Arzt tippte auf ungefähr 2 Jahre Überlebenszeit.

1. Chemo:
Folfox 6. Alle 2 Wochen ins Krankenhaus. Tag 1: 4 Stunden lang Infusionen erhalten, dann für 48h die Pumpe an den Port, kurz ins Krankenhaus um sie entfernen zu lassen, 12 Tage frei.

Nebenwirkungen:

Das berühmte Kribbeln in den Fingern und Füssen. Wir kauften ihm Besteck mit Plastikgriffen, da das anfassen von Metall unangenehm war. Ging mit der Zeit etwas weg, ein gewisses Kribbeln blieb, war aber nie störend.

Verstopfung oder Durchfall. Das schwankt manchmal, wohl auch abhängig von der Dosierung. Bei Durchfall wirkte Lopedium, bei Verstopfung Lactulose oder auch mal abends ein alkoholfreies Bier.

Nach dem zweiten Chemotermin war er mal sehr schwach, schnell ausser Atem. Da war seine Gewichtsangabe für die Dosisberechnung zu hoch wie wir feststellten. Als das angepassst wurde, war es sofort weg. Immer darauf achten!

Die Chemo war ein voller Erfolg, die Tumormarker nur noch bei 3% des Ausgangswertes.

2. Chemo:
Nach 6 Monaten wurde deeskaliert auf Xeloda mit Avastin. Alle 4 Wochen ins Krankenhaus für die Avastin Infusion, dann 3 Wochen morgens und abends je 3 Tabletten, 1 Woche Pause.

Nebenwirkungen:

Wunde Füsse. Die vorderen Zehenballen waren rot und wund, die grossen Zehennägel manchmal leicht eitrig. Hier halfen abendliche Fussbäder mit Allgäuer Latschenkiefer Solebad, danach stach ich die Eiterblasen auf, entfernte den Eiter und machte ein Pflaster mit Tyrosur Creme darauf. Am nächsten morgen war der Eiter weg.

Da die Füsse wund waren kaufte ich ihm Nike Free 5.0. Unglaublich leicht, weich. Trotz der Nebenwirkungen konnte er morgend seine 2 x 20 minütigen Spaziergänge machen.

Nach ungefähr 6 Monaten stiegen die Tumormarker (an Hand dieser wird kontrolliert ob der Krebs in Schach gehalten wird, wie aktiv er ist) wieder, also Wechsel der Chemo.

3. Chemo:
Folfiri mit Aflibercept.
Gleiches Prinzip wie bei der 1. Chemo, alle 2 Wochen mit 48h Pumpe.

Nebenwirkungen:

Auf das Aflibercept reagierte mein Vater dicken Händen und Füssen, was sich als Nephrotisches Syndrom erwies. Die bildete sich nach Absetzen des Afliberceptes und verstärkter Eiweissernährung zurück. Chemo wurde nur mit Aflibercept fortgesetzt.

Als hier ebenfalls nach 6 Monaten die Tumormarker wieder stiegen, war die Frage, was nun? Da mein Vater K Ras mutiert war kamen Cetuximab oder Patumumab nicht in Frage. Der Arzt schlug eine lokale Behandlung, Tace vor. Ich wusste das es in der Uniklinik das Verfahren Sirt gibt und fragte den Arzt danach. Er stellte den Kontakt her, eine Sirt wurde durchgeführt.

SIRT: Man liest im Internet an Erfahrungen eher negatives, was mich zuerst auch beunruhigte. War vollkommen unnötig. Kurzbeschreibung: über eine Katheter werden kleine mit Strahlung geladene Glaskugeln in die Lebertumore implantiert, die den Tumor zerstrahlen und die zugangswege zu dem Tumor verstopfen, so dass er schlechter Nahrung (Blut bekommt). Zuerst muss per PET Ct nachgesehen werden ob das Verfahren überhaupt möglich ist, abulant. Dann werden bei einer Voruntersuchung (1 übernachtung) kleine Gefässe von der Leber zur Lunge oder zum Magen geschlossen, damit die Kugeln nicht im Körper zirkulieren. Simuliert wird das Verfahren dann mit kleinen "Gelatinekugeln". Wenn die dann nicht wandern, wandern auch die echten Kugeln nicht. Haupteingriff erfordert wegen der Strahlung dann 48h Quarantäne.

Nebenwirkungen gab es eigentlich keine. Er ruhte sich die ersten Tage etwas aus, begann dann wieder Spazieren zu gehen. Die Sirt wurde 2 mal, 1 mal in jedem Leberlappen durchgeführt.
Dann bekam er 2 Tacen (Chemo über Katheter dierekt in die Tumore injeziert). Diese 4 Behandlungen überbrückten 8 Monate.

Als die Tumormarker wieder stiegen kam die
4. Chemo:

Regorafenib. Diese Mittel wird wohl wegen schlechter Wirksamkeit mittlerweile nicht mehr von der deutschen Krankenkasse bezahlt. Bei meinem Vater halbierten sich die Tumormarker. Er vertrug die Dosis mit 3 Tabletten für 3 Wochen, dann 1 Woche Pause ganz gut. Gegen Ende der 3 Tablettenwochen wurde er etwas müder und der Appetit liess nach, aber das ging in der tablettenfreien Woche wieder weg.

Als dann nach 6 Monaten diese Chemo versagte blieb kaum noch etwas übrig. Mytomycin, Tas 102 war noch nicht auf dem Markt.....da Folfox am Anfang deeskaliert wurde, nahm man Fufox4.

5. Chemo: Fufox 4
Wöchentliche Chemo mit 24h Pumpe.
Diese erhielt er 4 Monate.

Dann wurde er schwächer, kam kurz ins Krankenhaus. Dann nochmal für 7 Wochen nach Hause ohne Chemo und verstarb dann friedlich einschlafend 42 Monate nach der Diagnose.

Persönliche Gedanken dazu:

Natürlich ging in der ersten Nacht nach der Diagnose die Welt unter. Noch nie mit der Krankheit beschäftigt, Bilder von kahlen Menschen denen schlecht....
Aber dann besuchte ich meinen Vater am darauffolgenden Tag und sah ihn genauso wie immer vor mir. Krebs heisst zwar das man schneller stirbt und man auch weiss woran, aber der Mensch bleibt ja immernoch der gleiche. Eigentlich lebte mein Vater 40 Monate vollkommen unabhängig selbst bestimmt. (In den letzten beiden Monaten brauchte er Hilfe beim Aufstehen, Anziehen etc. Aber selbst da war er bei klarem Verstand.) Er fuhr Auto, machte Urlaub, Ausflüge, Spaziergänge. Eigentlich das was die meisten alten Männer auch so machen. Viele bekannte bekamen von seiner Erkrankung nichts mit.

Natürlich kaufte ich auch das Krebsernährungsbuch, stellte etwas um. Dunkle Schokolade statt normaler, einige Gemüse bevorzugter als andere. generell as er aber sowieso gesund. Trotzdem ein wichtiger Punkt. Auf Alkohol verzichtete er komplett, er trank auswärts immer alkoholfreie Bier. Gab es auch im England oder Frankreichurlaub.

Bei einigen Chemos wie zB Avastin steigt der Blutdruck etwas an, was sich bei meinem Vater an einem roten Kopf zeigte. Er trank aber gern Kaffee. Da ich durch eine Kundenwerbung gratis an eine Nespressomaschine geraten bin, war die Lösung in den ersten Tagen nach der Chemo koffeinfreien Nespressokaffee mit Milch zu servieren. Es gibt immer eine Lösung. Man muss manchmal etwas grübeln, eine gute Apothekerin an der Hand haben, das Richtige bei Google eingeben. Aber am Ende kann man die auftretenden Einschränkungen irgendwie immer lindern.

Als ich mit ihm auf die Diagnose wartete fragte ich mich: Was ist besser? Ein schneller Tod eines Angehörigen oder ein langsamer wie bei Krebs? Damals beantwortete ich dies mit schnell. Heute sage ich, ich möchte nicht einen Tag der gemeinsamen Krebszeit vermissen. Ich konnte für ihn da sein, für ihn stark sein wenn er es mal nicht war und ihn dann ruhigen Gewissens gehen lassen in dem Wissen alles in meiner Macht stehende getan zu haben.

Krebs ist Lotto. Wer ihn bekommt, wer nicht, wie gut die Chemo wirkt. Das ist etwas worauf man keinen Einfluss nehmen kann. Wir als Angehörige können nur auf den Patienten Einfluss nehmen und da ist soviel Raum. Muss während Xeloda abends gegessen werden, Speiseplan an die Championsleague anpassen. Italiener spielen, wir mache eigene Pizza. Ist der Patient zu schwach um an einem Geb oder Hochzeitstag essen zu gehen, sucht man eben verschiedene Lieferdienste aus. Es erfordert viel Kraft viel Kraft zu geben, aber es bleibt nichts anderes übrig. Man darf daran nicht verzweifeln sondern muss die Zeit nutzen alles herauszuholen was man kann.

Ich danke der modernen Medizin für ihre Errungenschaften. Undenkbar mit irgend etwas anderem soviel Zeit geschenkt bekommen zu haben.
Mit Zitat antworten
  #2  
Alt 30.06.2016, 12:17
hpd777 hpd777 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 03.05.2011
Ort: Nordhessen
Beiträge: 88
Standard AW: Erfahrungen eines Angehörigen

Auch ich möchte dir danken. Alles Gute!
Mit Zitat antworten
  #3  
Alt 25.08.2016, 17:06
bellajo bellajo ist offline
Neuer Benutzer
 
Registriert seit: 04.04.2015
Beiträge: 6
Standard AW: Erfahrungen eines Angehörigen

Wenn es für Deinen Vater auch so war, dass er den Kampf um jeden Preis wollte,
dann war alles richtig so.

Ich bin selber Krebskrank, und ich darf leider von mir behaupten, es hat mich sehr hart getroffen, mit Mitte 40, bin ich nach 5 erfolglosen Therapien, sowohl verstümmelt als auch ein Palliativfall.

Wir dürfen nicht vergessen, das nur die Krebskranken selber entscheiden können ob sich die Schmerzen und das Leid lohnt.


Liebe Grüße
bellajo
Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)
 

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 16:58 Uhr.


Für die Inhalte der einzelnen Beiträge ist der jeweilige Autor verantwortlich. Mit allgemeinen Fragen, Ergänzungen oder Kommentaren wenden Sie sich bitte an Marcus Oehlrich. Diese Informationen wurden sorgfältig ausgewählt und werden regelmäßig überarbeitet. Dennoch kann die Richtigkeit der Inhalte keine Gewähr übernommen werden. Insbesondere für Links (Verweise) auf andere Informationsangebote kann keine Haftung übernommen werden. Mit der Nutzung erkennen Sie unsere Nutzungsbedingungen an.
Powered by vBulletin® Version 3.8.7 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, vBulletin Solutions, Inc.
Gehostet bei der 1&1 Internet AG
Copyright © 1997-2024 Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V.
Impressum: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Eisenacher Str. 8 · 64560 Riedstadt / Vertretungsberechtigter Vorstand: Marcus Oehlrich / Datenschutzerklärung
Spendenkonto: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Volksbank Darmstadt Mainz eG · IBAN DE74 5519 0000 0172 5250 16 · BIC: MVBMDE55