Krebs-Kompass-Forum seit 1997  


Zurück   Krebs-Kompass-Forum seit 1997 > Krebsarten > Gebärmutterkrebs

 
 
Themen-Optionen Ansicht
  #1  
Alt 29.09.2006, 20:36
ixitrixi ixitrixi ist offline
Neuer Benutzer
 
Registriert seit: 29.09.2006
Beiträge: 6
Standard Weibliche Identität und die Gebärmutter

MORITAT

Jetzt holen sie sie raus.

Mein archaischstes Organ. Es dämmert mir, dass mir das höchstens zur Hälfte Freude bereitet. Ich würde mich doch nicht allen Ernstes über meine Gebärmutter identifizieren, fragt halb erstaunt, halb entrüstet meine Gyn. Was heißt schon, mich „über sie identifizieren“? Sicherlich tu ich dies nicht in Bezug auf meine intellektuelle Identität.

Die Frage stellt sich plötzlich konkreter als irgendwann zuvor: Wie ist sie denn genau, meine „weibliche Identität“? Oder: Was an meiner Identität ist weiblich? Ganz zweifelsfrei mein Körper, mein Körperempfinden. Wie wird sich das ohne die Gebärmutter verändern? Wird es sich überhaupt verändern? Oder verändert sich nur die Vorstellung, die ich von meinem Körper habe?

Meine kleine Umfrage hat ergeben, dass angeblich der Orgasmus unverändert bleibt. Schön. Vielen Dank. Immerhin sehr erfreulich. Mit der Tatsache, dass sich die Verhütungsfrage nie wirklich in einer für mich befriedigenden Art und Weise beantworten ließ, hatte ich mich inzwischen auch mal mehr, mal weniger, abgefunden. Jetzt ist diese Frage endgültig und hundertprozentig geklärt. Vorbei das schizophrene Spielen mit dem Schwanger werden. Wenigstens in dieser einen Hinsicht bin ich jetzt sozusagen in Sicherheit vor mir selbst.

Die Auswirkungen der zyklischen körperlichen Veränderung, so mein Gedanke, die könnten schwächer werden. Immerhin wird nicht mehr jeden Monat eine neue Schleimhaut aufgebaut. Da die Eierstöcke drin bleiben, bleibt der hormonelle Zyklus eigentlich vorerst zwar der gleiche. Ist ja noch ein paar Jahre hin bis zu den Wechseljahren. Aber sichtbar wird er nicht mehr sein. Keine Blutung mehr. Abrupt, nie mehr. Das, was sich sonst in einem langsamen Prozess vollzieht. Das, was immer lästig war, plötzlich weg - -

Es wird auch eine nostalgische Erinnerung sein: die zusammengekrümmten Nachmittage mit Wärmflasche auf dem Sofa, schön regelmäßig, alle 26 Tage einmal. Die Gemütlichkeit dieser totalen Introversion. Zyklus ohne Blutung wird demnächst sein wie Jahreszeitenwandel ohne Laubwechsel. Fremd. Und ohne Eierstöcke wäre es direkt so, wie ein Umzug in die Tropen: nicht mal die Jahreszeiten mehr.

Gebärmutter: der Name sagt es, sie ist zum Gebären. „Austragen, zu Ende tragen“. Ein „Bär“ steckt auch drin, witzig. Ist aber, laut Lexikon, etymologisch unrichtig, dieses „ä“. Da ich schon eine erwachsene Tochter habe und mir für weitere Kinder a) der Mann und b) die Energie fehlen, brauche ich meine schöne Gebärmutter also nicht mehr wirklich. Eigentlich kann ich mich glücklich schätzen, dass mir der blöde Krebs erst jetzt passiert. Mikroinvasiv, das heißt, er hat noch nicht gestreut, gerade nochmal Schwein gehabt, kein Grund zur Panik, kein Drama.

Aber die Fantasien, die diese bevorstehende Operation auslöst, sind doch ganz erstaunlich. Der letzte Rest eines Kinderwunsches meldet sich plötzlich, und mit ihm die Frage: von wem hätte ich denn gern noch eins gehabt, von Roland, Ricky oder dem Vater meiner Tochter? Um nur die stilistisch gekürzte Variante der Liste zu nennen. Die Antwort ist Ricky, und ich dachte, über ihn wäre ich endlich weg. Bin ich vielleicht sogar, aber ein Kind hätte ich trotzdem noch gern von ihm gehabt, dem alten Blödmann. Und von dem Vater meiner Tochter eigentlich auch. Aber der war leider nicht mehr da. Und mit den anderen hätte es alles sowieso nicht richtig zusammengepasst. Vielleicht ist es besser so, wie es ist.

Ich bin meiner Gebärmutter dankbar für meine wundervolle Tochter!

Auch versuche ich, mir die Vorteile auszumalen, die das jetzt alles haben könnte: mehr Platz im Bauch, vielleicht auch für die Blase, vielleicht muss ich in Zukunft nicht mehr so oft zur Toilette. Endlich erwachsen, weil kein „Pipimädchen“ mehr… Vielleicht werde ich mich auch insgesamt leichter und fitter fühlen, wieder so ein bisschen „zum Bäume ausreißen“ wie damals mit fünf Jahren, bevor die Hormone begannen, ihr Unwesen zu treiben. Bevor es anfing, dass ich regelmäßig einmal im Monat in den Boden gezogen wurde. Bevor ich mich an den Tagen davor so schwer und zugleich schwach fühlte, dass selbst das Hochheben eines Päckchens Zucker sich zuweilen anstrengend anfühlte. Es ist schon interessant, was für Ausmaße ein Gefühl der Schwäche selbst in relativ jungen Jahren haben kann.

Und wenn ich überlege, wie lange ich dafür gebraucht habe, diese Zustände als mir zugehörig anzunehmen; mich ihnen hinzugeben, ohne mich auch noch zusätzlich selbst mit Depressionen für das Schwachsein zu bestrafen; denn das habe ich gelernt – entgegen all denjenigen Stimmen, die mir diese Seite des Weiblichseins unbedingt aberkennen wollten. „Reiß Dich doch mal ein bisschen zusammen“, so die vermeintlich konstruktive, in Wahrheit aber aggressive Aufmunterung mancher Männer.

Jetzt muss ich mir nur noch die Freude darüber zugestehen, dass es mit diesen Zuständen auch wieder ein Ende hat. Denn das ist meine stille Hoffnung. Ohne dabei zu denken, mir ginge ein Stück Weiblichkeit verloren. Zumindest keins, auf das ich nicht gut verzichten könnte. Wenn ich Weiblichsein nicht im masochistischen Sinne verstehen will.

Ganz ungeachtet des Standes, den die Medizintechnik inzwischen erlangt hat, und auch ungeachtet der Tatsache, dass ich die Operation vermutlich mit nur sehr geringen, womöglich sogar gänzlich ohne jede Schmerzen überstehen werde, erscheint mir das Entfernen der Gebärmutter schon wie ein Akt der Gewalt.

In ihr entsteht das Leben. Der Urquell. Dieses Mysterium, der Ort, vor dem die Männer sich fürchten, um den sie uns beneiden. Den sie erobern wollen, um an ihm ihre Kräfte zu erneuern. Die warme, kuschelige Höhle, in der mein Baby herangewachsen ist.

Darüber, dass auch in mir Urmütterlichkeit steckt, war ich selbst damals überrascht. Und erfreut. Darauf war ich nicht vorbereitet. Deshalb habe ich jetzt, wenn ich nicht für meine Gebärmutter kämpfe, so ein klitzekleines Gefühl von Schuld. So, als würde ich diese archetypische Form der Weiblichkeit verraten, im Stich lassen. Doch nicht wirklich Frau sein wollen? Und hier erneut die Frage: Was bedeutet das eigentlich?

Aber das Risiko ist mir zu groß. Wer weiß schon, ob selbst bei regelmäßigen Vorsorgen eine erneute bösartige Veränderung tatsächlich rechtzeitig erkannt wird? Ich habe keine Lust, mein Leben auf dem Altar der Weiblichkeit zu opfern.

Und würde ich vor die Wahl gestellt, mich zwischen meinem Kopfhaar, das auch langsam schütter wird, und der Gebärmutter zu entscheiden, muss ich gestehen, dass die Eitelkeit größer wäre. Ich würde mich für die Haare entscheiden, ganz klar.

So ziehe ich denn die Konsequenzen aus meiner Ambivalenz.

Vorbei die Hysterie. Es lebe der Uterus.

Womb und tomb, im Englischen reimen sie sich, der Mutterleib und das Grab. Hier sind wir am Anfang, dort am Ende des Lebens. Quasi Antonyme. Obwohl sie etymologisch nichts miteinander verbindet: vulva und tumba.
Kleine, feine, freie, kuriose Herleitung:
Hysterie, Hyterie, Hyterus, Uterus, Udaran: Bauch, Gebärmutter auf Altindisch.

HYSTEREKTO-ELEGIE

In meinem Bauch, da nagt ein Tier,
es knabbert innerlich an mir.

Ich bin so saftig und so süß,
für jedes Tierchen ein Genüß.

Jedoch in meinem Kopf hoch oben,
wo deshalb die Synapsen toben,

wird gerade die diktatorische indes ökologisch korrekte und nachhaltige
pro Mensch/contra Nager Entscheidung getroffen:

Tierchen, du musst vor die Tür!

Geändert von ixitrixi (02.10.2006 um 12:18 Uhr)
Mit Zitat antworten
 

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)
 

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 12:35 Uhr.


Für die Inhalte der einzelnen Beiträge ist der jeweilige Autor verantwortlich. Mit allgemeinen Fragen, Ergänzungen oder Kommentaren wenden Sie sich bitte an Marcus Oehlrich. Diese Informationen wurden sorgfältig ausgewählt und werden regelmäßig überarbeitet. Dennoch kann die Richtigkeit der Inhalte keine Gewähr übernommen werden. Insbesondere für Links (Verweise) auf andere Informationsangebote kann keine Haftung übernommen werden. Mit der Nutzung erkennen Sie unsere Nutzungsbedingungen an.
Powered by vBulletin® Version 3.8.7 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, vBulletin Solutions, Inc.
Gehostet bei der 1&1 Internet AG
Copyright © 1997-2024 Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V.
Impressum: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Eisenacher Str. 8 · 64560 Riedstadt / Vertretungsberechtigter Vorstand: Marcus Oehlrich / Datenschutzerklärung
Spendenkonto: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Volksbank Darmstadt Mainz eG · IBAN DE74 5519 0000 0172 5250 16 · BIC: MVBMDE55