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Alt 08.01.2015, 21:31
Ohana Ohana ist offline
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Standard Kleinzelliges Bronchialkarzinom - Hoffnung begründet?

Nächste Woche wird mein geliebter Papa 53.

Ich habe mir immer gewünscht, dass er mindestens 80 wird, aber seit knapp 3 Monaten wissen wir, dass dies sein letzter Geburtstag sein könnte. Er hat ein kleinzelliges Bronchialkarzinom, Staging: T4 N3 M0. Dazu eine mittelgradige Überblähung und Obstruktion. Der Tumor ist ca. 4 x 6 cm groß und mit dem Hauptbronchus und einer Arterie verwachsen - wobei der durch den Verschluss des Hauptbronchus entstandene nicht belüftete Bereich des Lungenlappens nicht mehr von der Tumormasse unterschieden werden kann – eventuell ist der Tumor kleiner…oder größer. Ein Bluterguss ist auch vorhanden; eine Probe konnte nicht entnommen werden, weil der Erguss in dem verschlossenen Lungenlappen liegt. Außerdem ist ein Lymphknoten im Mediastinum befallen. Kurz gesagt: Der gesamte linke Lungenflügel ist ein Schlachtfeld. Die anderen Organe, die Knochen und das Hirn sind bisher unauffällig.

Dass einen Menschen zweimal dasselbe Schicksal ereilen kann, hätte ich nie gedacht. Bereits mit 25 Jahren hatte mein Papa Krebs. Damals handelte es sich um Leberkrebs. Der Tumor war groß wie eine Grapefruit, eingekapselt und konnte operativ vollständig entfernt werden. Trotzdem sagten seine Ärzte: Die Chance auf Langzeitüberleben beträgt maximal 50 %. Seitdem lebte er ständig mit der Angst, dass der Krebs wiederkommt, die sich natürlich auch auf meine Mutter, meine kleine Schwester und mich übertrug. Zahlreiche Psychotherapien brachten nichts. Er war seitdem nie wieder richtig glücklich, ein depressiver, ängstlicher Mensch, der der Welt nichts Gutes zutraut. Zumindest körperlich ging es ihm jedoch seither gut. Er war ein schlanker, sportlicher Mensch. Nur das Rauchen konnte er nicht sein lassen…vielleicht half ihm dieses Suchtmittel, besser mit der Angst klarzukommen.

Seit letztem Frühling plagte ihn dann plötzlich ein qualvoller Husten, der ganz anders klang als der Husten, den er schon immer hatte (seitdem ich denken kann). Ich ahnte sofort, dass diese Geschichte kein gutes Ende nehmen wird. Zu einem Arztbesuch ließ er sich erst 3 Monate später überreden, als Blut im Auswurf war, er Gewichtsverlust und Müdigkeit bemerkte und keine Nacht mehr schlafen konnte, weil er sich beim Husten sogar eine Rippe gebrochen hatte. Bis dahin spielte er den Husten immer als „Raucherhusten“ herunter. Wir glaubten ihm, oder besser…wir redeten uns ein, dass er Recht haben muss. Aber 36 Jahre Rauchen und Arbeiten in der Metallindustrie (Aluminium) - das geht nicht spurlos an einem vorüber.

Er hat von jetzt auf gleich aufgehört zu rauchen und bekommt nun eine palliative Radio-Chemotherapie. 4 Chemos und 28 Bestrahlungen hat er nun hinter sich (2 Chemos folgen noch). Außerdem bekommt er ab nächster Woche eine Boost-Bestrahlung (wo der Tumor sitzt/saß) - Kann mir ggf. einer den Sinn davon erklären?
Die Blutwerte sind zeitweise grenzwertig, müde ist er natürlich auch, aber ansonsten ist er unheimlich fit und zäh, arbeitet gut mit und steckt die Behandlung – wie sein Hausarzt sagt – so gut weg, wie er es sehr selten bei einem Patienten erlebt hat. O-Ton: „Wenn Sie eine Mütze tragen, sieht man Ihnen gar nicht an, was sie durchmachen“.

Nach der 6. Chemo ist eine 4-wöchige Erholungspause mit Kontroll-CT und anschließender Schädelbestrahlung geplant. Dann erst werden wir sehen, ob die erhoffte Vollremission geklappt hat. Mein Papa möchte keine Zwischenkontrolle. Dass der Tumor schrumpft, steht außer Frage. Er hustet im Vergleich zu vorher kaum mehr (durch die Bestrahlung wieder etwas mehr), ist wieder belastbarer, kann tiefer Luft holen und der Tumormarker ist auch rückläufig. Nebenwirkungen oder Komplikationen sind bisher nicht aufgetreten.

Sein Ernährungszustand ist super: Er hat seit der Diagnose sogar 5 kg zugenommen (keine Wassereinlagerungen!). Jedoch lehnt er die von mir vorgeschlagene Zucker-/Kohlenhydratarme Ernährung zur Unterstützung der Chemo mit dem Ziel, dem Tumor die Nahrung zu entziehen, ab. Er liebt Kuchen und Schokolade und vor allem Kartoffeln. Einen Besuch beim Psychologen lehnt er, aufgrund der Ereignisse in der Vergangenheit, ebenfalls ab. Man könne ihm ja sowieso nicht helfen, meint er. Und überhaupt kann man Ärzten nicht vertrauen. Er ist ziemlich depressiv, zeitweise leicht aggressiv, und das einzige, was er am Tag „schafft“, sind ca. 30 Minuten Spaziergang, manchmal mit meiner Mama einkaufen gehen und sich seinen grünen Tee mit Ingwer zuzubereiten, während der Fernseher von früh bis spät läuft. Zusätzlich nimmt er noch Granatapfelextrakt und Rote-Beete-Saft zu sich (soll laut einigen Studien hilfreich für das Immunsystem sein). Er hält die gesamte Welt für böse und ungerecht und akzeptiert die Krankheit nicht. Er informiert sich nicht über Behandlungsalternativen usw. – das mache ich. Habe einige Bücher über Ernährung gelesen, mich eingehend über Lungenkrebs informiert, mit Professoren über mögliche Studienteilnahmen gesprochen, den Ärzten „Dampf“ gemacht wenn es mal nicht so lief… Bei ihm habe ich eher das Gefühl, dass er nur auf die Medizin vertraut und sich ansonsten seinem Schicksal hingibt. Natürlich hofft er noch auf die äußerst unwahrscheinliche Heilung oder zumindest auf noch ein paar Jahre Lebenszeit. Aber richtig dran arbeiten tut er nicht, weil ihn seine Angst lähmt. Seine Strategie heißt: Verdrängung.

Ich bin immer noch so schockiert und kann es nicht wahrhaben. Ich bin 28 und muss mich darauf vorbereiten, dass mein Vater nie seine Enkelkinder kennenlernen wird. Es ist einfach nur unfassbar. Nichts würde ich mir sehnlicher wünschen, als ihm zu helfen. Ich würde ihm einen Lungenflügel spenden, wenn ich könnte, nur leider hilft auch das nicht. Wir haben ein sehr inniges Verhältnis, ein Art Seelenverwandtschaft würde ich behaupten, kuscheln viel, reden zusammen, sehen uns täglich. Meine Eltern sind oft bei uns zum Essen oder wir gehen zusammen spazieren und reden. Aber wirklich helfen kann ich nicht.

Ich habe noch kein einziges Mal vor ihm geweint, weil ich stark für ihn sein will. Aber ich weiß nicht, wie lange ich das noch schaffe.

Manchmal denke ich: Er hat es schon einmal geschafft, warum nicht nochmal? Es gibt Ausnahmen und jemand, der einen so guten Allgemeinzustand hat, hat vielleicht bessere Chancen als ein geschwächter 80-Jähriger mit zahlreichen anderen Erkrankungen, der ebenfalls in der Statistik auftaucht und einer von den 95 % ist, die es nicht schaffen?

An anderen Tagen bereite ich mich innerlich schon auf den Abschied vor. Wie soll das alles nur werden? Meine Mama mit 50 schon Witwe und alleine mit dem großen Haus – und dem Kater, den sie jetzt als Kurzschlussreaktion zur „Ablenkung“ angeschafft haben. Ist es wirklich so hoffnungslos? Im Internet liest man überall: Mittlere Überlebenszeit: 8 – 12 Monate, 5 % Chance auf Langzeitüberleben. Kann er nicht zu den 5 % gehören? Die Ärzte haben ihm – zum Glück – keine Prognose genannt. Das wollten wir auch gar nicht wissen. Und er weiß bis heute nicht, wie gering die Chance ist. Ist es falsch, es ihm zu verschweigen?

Und dann quält mich immer dieses Mitleid und dieser Vorwurf, ihn nicht einfach gegen seinen Willen beim Arzt abgesetzt zu haben. Ich habe es gehört. Ich weiß, es klingt wie Hokus-Pokus, aber ich habe an seinem Husten gehört und an seinen Augen gesehen, dass es Krebs ist und wusste, dass man ihm sowieso nicht mehr helfen können wird. Habe ich deshalb vielleicht nicht so beherzt darauf gedrängt, dass er zum Arzt geht? Habe ich ihm unterbewusst die letzte schöne Zeit ohne diese quälende Gewissheit gegönnt?

Ich bin am Ende mit den Nerven und mit meinem Latein. Wie soll ich mich nun weiter verhalten?
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